Als wäre ewiges Pilzwetter, so schießen sie aus dem Boden und verführen, Fliegenpilzen gleich. Ohne Ende tönt es Sicherheit, Sicherheit über alles. Die Sicherungsgesetze mit dem Versprechen bürgerlicher Sicherheit wuchern national und international so hypertroph, dass sich selbst ein alter Experte, unter menschenrechtlicher und radikaldemokratischer Perspektive, als den ich mich wohl bezeichnen kann, schier den Überblick verliert. Seit dem 11. September 2001 ist vollends kein Halten mehr. Diese Gesetze entsprechen durchgehend in ihrer rechtlich ausfransenden Form und ihrem eingriffsvermehrenden Inhalt dem Typus von Ermächtigungsgesetzen. Nur in ihrem Einzugsbereich schwanken sie.
Als einer der jüngsten Fliegenpilze kann der bayerische Entwurf zur
ntwurf zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes einen Beleg liefern. Die Begründung zum Gesetzentwurf stellt heraus, welche Notwendigkeit bestünde, die Befugnisse der Polizei zu erweitern, ohne die daraus resultierenden Konsequenzen zu verheimlichen: "Macht die Polizei von solchen Befugnissen Gebrauch, so greift sie in die Grundrechte der hiervon betroffenen Personen ein, was ... das Vorliegen einer entsprechenden gesetzlichen Ermächtigung voraussetzt." Man muss mit Karl Kraus die demokratisch trainierten Politiker nur zitieren. Der bayerische Entwurf sicherheitskonkurriert mit solchen aus Hamburg, aus Hessen, aus Niedersachsen und will vom Bundesinnenministerium möglichst verfassungsändernd bundesgesamt übertrumpft werden.Genese von SicherheitsapparatenDie vergangenen 30 Jahre sind durch periodisch wiederkehrende Fluten des Aus- und Umbaus der Sicherungsapparaturen gekennzeichnet.Zuerst die Flutwelle wider den bundesdeutschen Terrorismus à la RAF, Bewegung 2. Juni und Rote Zellen in den siebziger Jahren. Was wurde nicht alles aufgeboten: Straf- und Strafprozessrecht wurden sogar nach herkömmlichem Rechtstaatsverständnis - in entscheidenden Paragraphen wie dem 129a StGB oder prozessrechtlich durch die Einschränkung der Rechte der Verteidigung - bis zur Unkenntlichkeit verändert. Die Bundesanwaltschaft und das Bundeskriminalamt erhielten mehr Kompetenzen und Mittel. Neue Fahndungsmittel wie Raster- und Schleierfahndung wurden bürgerrechtsverachtend eingesetzt. Prävention war erstmals das Zauberwort. Immerhin lebte schon der Antiterrorismus von einer seither nicht mehr aufgegebenen polizeilichen "Errungenschaft": jede Bürgerin und jeder Bürger wurde zum potenziellen Täter, also grundsätzlich verdächtig. Die prinzipielle Unschuldsvermutung aller, von der eine Demokratie lebt, gehört seither in die kriminologische Mottenkiste.Im berühmten Volkszählungsurteil von 1983 begründete das Bundesverfassungsgericht das "informationelle Selbstbestimmungsrecht" jedes Menschen. Eine Fülle von Gesetzen im Umkreis innerer Sicherheit hat der Gesetzgeber seither novelliert, angefangen vom Bundesverfassungsschutzgesetz, immer Bezug nehmend auf das Urteil zum hoch gehaltenen Datenschutz. Doch das Merkwürdige und zugleich ungeheuer Bezeichnende ist: Die Gesetze rund um die "Innere Sicherheit" und ihre Institutionen haben keinerlei bürgersichernderen Charakter. Das Gegenteil war und ist der Fall. Die Kompetenzen der einschlägigen Ämter, insbesondere der Polizei sowie der innen- und außengerichteten Geheimdienste, wurden "vorwärtsverrechtlicht", nämlich so ausgedehnt, dass nötige, grundrechtsschützende Folgerungen aus dem informationellen Selbstbestimmungsrecht im rechtsverdrehendem Slalom umfahren werden können.Die deutsche Vereinigung hatte es auch sicherheitsrechtlich-expansiv in sich. Zuerst wurden die Verfassungsschutzämter auf die östlichen Bundesländer erstreckt. Sie wurden von ihrer ideologisch-antikommunistischen Fixierung in Richtung selbstbestimmter "Extremismus"-Erkundung der Inländer geradezu "emanzipiert". Sonst hätte man sie abschaffen müssen, so unnötig wie ein Kropf wie sie waren. Man hätte von der Stasi lernen können, dass diese Art von Sicherungseinrichtungen sogar nichtdemokratischen Herrschaften schadet, von demokratisch verfassten nicht zu reden. Der BGS, der Bundesgrenzschutz, in den frühen fünfziger Jahren, vor der Remilitarisierung schon als Truppe gegen potenzielle Invasionen aus der DDR zustande gekommen, durfte selbstredend seinen (Un-)Geist ebenfalls nicht aufgeben. Er wurde aufgestockt und ausgestattet mit Funktionen einer Bundespolizei, die nun gewaltmonopolig die ausgedehnten Grenzen sichert.Das außengerichtete Pendant zum Verfassungsschutz, der von den Nazis kaum personell verändert 1954/55 übernommene BND (Bundesnachrichtendienst) hat sogar, dank Vereinigung, erstmals eine gesetzesförmige Ausstattung erhalten. Deren sicherheitserhöhende Effekte für die BürgerInnen der BRD dürfte gegen Null oder darunter tendieren. Wie weit die herrschaftswichtigeren Wirtschaftsinteressen von diesem circa 6.000-Personen-Unternehmen gesichert werden, mag dahin stehen. Im Regal der Skandale nimmt er in jedem Fall einen prominenten Platz ein. Darum will ihn die Bundesregierung, um ihre Welt-Interventionsrolle "wohlinformiert" mitspielen zu können, von Pullach nach Berlin verlagern. Wer spricht in solch fülligen Hartz-Zeiten schon von Kosten.Die neunziger Jahre waren darüber hinaus durch die Perfektionierung der länderspezifischen Polizeigesetze geprägt. Das Land Niedersachsen eröffnete Anfang der neunziger Jahre den Reigen. Das Polizeirecht, und mit ihm auch das Demonstrationsrecht, wurden in der Hoffnung verändert, die Massenproteste um die versäumte Entsorgung der Kernkraftwerke rund um Gorleben besser in den Polizeigriff zu bekommen. Polizeiliche Festnahmen und "Sicherheitsverwahrungen" für mehrere Tage und ähnliches mehr wurden in eine rechtliche Form gegossen.Ein alter SicherheitstrickPrävention lautet das Hauptziel, das über allen Sicherheitsgesetzen und deren Folgen steht. Hiermit wird suggeriert, es gehe nur darum, dass Vorsorge allemal besser sei als Nachsorge, die wie die Reue zu spät kommt. Dort, wo der Staat als Inhaber des Monopols von Gewalt auftritt, bedeutet Prävention nicht die Vorsorge einer Familie für den Winter, fürs Alter, für Bildung und Beruf. Dort besagt sie vielmehr, dass staatliche Instanzen auf der Suche nach verdächtigen Erscheinungen überall herumstochern können. Die Bürger- und Menschenrechte werden zugunsten der Eingriffsrechte des Staates mehr und mehr eingeschränkt. An die Stelle von Selbstbestimmung, Unversehrtheit der eigenen Person und Wohnung, Demonstrationsfreiheit und anderen, immer nur aktiv zureichend gefassten Grund- und Menschenrechten, tritt die polizeiliche Bestimmung der Freiheit. Die präventive Kehre selbst wäre nicht möglich gewesen, ohne die enorme Erweiterung der technologischen Mittel, mit deren Hilfe auch herkömmliche Rechte unterwandert und Grenzziehungen überschritten werden können.Fragt man, warum die Sicherungsnetze, die rechtlichen Kompetenzen und die Eingriffsmittel der Polizeien (und anderer Sicherheitsapparate) immer öfters und immer weiter ausgeworfen werden, darf man sich mit den pauschalen und statistisch einseitigen Hinweisen der Innenminister und des ihn legitimierenden Trosses nicht zufrieden stellen lassen. Die Staatssicherer versäumen vor allem zweierlei: Zum einen stellen sie die Frage nach den Ursachen nicht und wenn, versäumen sie, die von ihnen für immer in- und extensivere Eingriffe geforderten, mehr oder minder sublimen Gewaltmittel zu überprüfen.Deshalb bleibt das jeweilige Ergebnis ansichts versprochener und tatsächlich errungener Sicherheit auch höchst fragwürdig und mager, wenn nicht kontraproduktiv. Tatsächlich erfolgreich ist der Gesetzgeber nur in der Durchlöcherung und Aufweichung der Grund- und Menschenrechte. Der leider fast immer wirksame Sicherheitstrick besteht freilich darin, gerade die verbleibende und veränderte Kriminalität und die Sicherheitsrisiken als Vorwand für neue präventive Sicherheitsmaßnahmen in Anschlag zu bringen.Will man den eigenen Verstand bewahren, darf man als Kritiker aus Sicht der Menschenrechte gerade in Sachen Sicherheit nicht ins Gegenteil der von den herrschenden Institutionen und ihren ministeriellen Mundschenken immer erneut gezielt entfesselten "Sicherheitspanik" verfallen. Ihr erliegen, mangelhaft informiert und ihrerseits sozial gesichert, allzu viele Bürgerinnen und Bürger. Aber gerade weil die Formen der Gesetze oft keine bürgerliche Rechtssicherheit mehr gewährleisten, sind Selbstdenken und Grundrechte begründendes Misstrauen die erste Bürgerpflicht.
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