Precht und Welzer bei Lanz: Ab ins Theater damit!

Theatertagebuch Groteske Dialoge, stereotype Charaktere, rasantes Tempo: Unsere Autorin sah die Lanz-Sendung über das medienkritische Buch von Harald Welzer und Richard David Precht und dachte: Das muss auf die Bühne. Da war sie nicht die einzige
Medialer Tausendsassa Richard David Precht
Medialer Tausendsassa Richard David Precht

Foto: Andreas Rentz/Getty Images

Regelmäßig gibt es in der deutschsprachigen Theaterszene entnervtes Augenrollen darüber, dass es keine richtig gute Gegenwartsdramatik gibt. Zwar ist die Bühnenlandschaft gepflastert mit Stipendien, Festivals und Preisen, die dazu angetreten sind, die Gegenwartsdramatik zu fördern, aber die meisten dieser Arbeitsergebnisse scheinen ihr kurzes Leben ausschließlich in diesen Veranstaltungen zu fristen.

Wenn es jedoch einem Gegenwartsstück nur mal halbwegs gelänge, so erfolgreich zu sein wie – sagen wir mal – die Talkshow „Lanz“ im ZDF, dann müsste sich das Theater um den Publikumsschwund keine Sorgen mehr machen. Gemeint ist die Ausgabe von letzter Woche, als der Soziologe Harald Welzer und der All-Inclusive-Philosoph Richard David Precht zu Gast waren, um ihr medienkritisches Buch Die vierte Gewalt vorzustellen.

Unabhängig vom Inhalt, um den es da angeblich gehen sollte (deutsche Leitmedien scheuchen die Politik vor sich her, indem sie Mehrheitsmeinung machen, die gar keine ist), rieb ich mir während der Sendung die Augen, wie theatral und komödienhaft das Ganze daherkam.

Hier waren alle Zutaten für ein sogenanntes Well-Made-Play enthalten: messerscharfe Dialoge, fiese Pointen, rasantes Tempo, stereotype Charaktere sowie eine Aneinanderreihung von grotesken Dialogen, die den desolaten Zustand unserer Gesellschaft bloßlegen. Ein Well-Made-Play ist genau das – gehobener Boulevard mit einer dunklen Kehrseite. So war es auch hier bei „Lanz“. Diese Talkshow müsste auf die Bühne!

Dinnerparty im Livestream

Handlung und Charaktere, etwas angepasst, wären dann ungefähr folgende: Markus ist ein erfolgreicher Talkshow-Host und sehr befreundet mit Richard David, einem medialen Tausendsassa und Autor. Beide betreiben einen gemeinsamen Podcast. Der Autor wiederum kennt Harald sehr gut, mit dem er ein Buch geschrieben hat, das schon im Vorfeld für Furore sorgte, weil im Ankündigungstext von „Selbstgleichschaltung der Medien“ die Rede war (eine Nazi-Referenz zieht immer).

Markus lädt zur allgemeinen Entspannung der Lage zu einer mondänen Dinnerparty ein, die im Livestream übertragen wird. Hinzu kommen zwei Journalisten, eine Frau und ein Mann, Vertreter der großen Medien des Landes, die in besagtem Buch kritisiert werden. Nach anfänglichem Geplauder gerät der Abend jedoch aus dem Ruder, es kommt zu heftigen Wortgefechten und handgreiflichen Angriffen, besonders auf die Frau.

Die Inszenierung muss Wert auf Gestik und Mimik der Figuren legen sowie auf deren sprachliche Eigenheiten. Die Journalistin lächelt tapfer ihr sardonisches Lächeln. Markus denkt lange über alles Mögliche nach. Harald lacht oft ungläubig und wirft die Hände in die Luft. Der Journalist klappert ungläubig mit den Augen. Im Zentrum des Geschehens steht der Autor Richard David, der alle Aussagen über sein Buch für eine Lüge hält. Er besitzt ein aggressives Naturell, er kann vor Zorn kaum stillsitzen. Er glaubt mittlerweile, die Journalistin versteht gar nicht, worum es geht. Der geschlossene Frieden am Ende (Markus hält das Buch trotzdem für lesenswert) ist nur ein scheinbarer und kann den tiefen Riss kaum verdecken. Man verlässt das Theater in Aufruhr über die unheilbare Idiotie der Gegenwart.

Nachdem also dieser Theaterkassenschlager an meinem inneren Auge vorbeigezogen war, sah ich später auf Twitter, dass die Autorin Anne Rabe das Offensichtliche bereits in Angriff genommen hatte. In einem Tweet verkündete sie, dass sie das Theaterstück Lanz. Halbgott des Gemetzels auf ihrer Seite veröffentlicht habe.

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