Tony Benn,
78 Jahre alt, ist der große alte Mann der Labour Partei. Er hat auf allen nationalen Antikriegsdemonstrationen gesprochen und war auf zahllosen Veranstaltungen aufgetreten. Benn gehörte von 1950 bis 2001 dem britischen Unterhaus an. Er verließ es, um mehr Zeit für Politik zu haben und sich nicht mehr von der kontrollbesessenen Parteispitze gängeln zu lassen. Benn war während der sechziger und siebziger Jahre in den Labour-Regierungen von Harold Wilson und James Callaghan Post-, Technologie-, Energie-, Handels- und Industrieminister und ist einer der wenigen Linken, die in ihrer Amtszeit radikaler geworden sind.
FREITAG: Der Krieg im Irak hat trotz vehementer Proteste stattgefunden - hat die Antikriegsbewegung ihren Kampf verloren und Tony Blair gewonnen?
TONY BENN: Nein. Ich habe in meinem ganzen Leben keine so starke internationale Friedensbewegung gesehen. Außerdem steht noch lange nicht fest, wann der Krieg beendet sein wird. Er kann lange dauern - wie in Vietnam oder Nordirland. Am Ende wird gewiss kein befreiter Irak stehen, den Bush und Blair versprochen haben. Schließlich gibt es in Britannien eine enorme Wut und ein großes Misstrauen: Niemand glaubt dem Premier noch ein Wort. Anfang Mai finden hier Regionalwahlen statt, mit möglicherweise katastrophalem Ausgang für Labour.
Warum hat sich Blair überhaupt auf Kriegskurs begeben?
Ich kann keine Gedanken lesen. Blair hätte die Möglichkeit gehabt, Bush zu stoppen. Wenn er Chiracs Haltung übernommen hätte, wäre es Bush schwergefallen, der Öffentlichkeit eine »Koalition« zu präsentieren. Aber Britannien hängt in vielerlei Hinsicht viel stärker von den USA ab als etwa von Frankreich - und das nicht nur in Form der »besonderen Beziehungen«, die diese beiden Staaten pflegen, sondern auch ganz real. Die USA könnten uns beispielsweise jederzeit die Atomwaffen wegnehmen, mit denen wir den ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat begründen - die sind uns nur geliehen. Ohne US-Unterstützung könnte die britische Armee keine einzige Atomrakete abfeuern.
Trotzdem: Warum hat sich der sonst so auf die öffentliche Meinung bedachte Blair in einen Krieg gestürzt, den die Mehrheit der Briten ablehnt?
Er glaubt wohl tatsächlich, er habe etwas zu sagen - bei der Palästina-Frage oder der Rolle der UN beim Wiederaufbau des Irak. Aber Bush hat jüngst das Wort UNO nur erwähnt, weil Blair ihn darum bat. Aber es wird keine Rolle für die UN geben. Dennoch wird Blair an Bushs Seite bleiben. Der Mann ist besessen; er erinnert mich an den Premier Anthony Eden während des Suez-Krieges 1956. Ich saß damals schon im Parlament, Eden war voll auf den Krieg fixiert - so ist es auch bei Blair, der wie ein Plattenspieler klingt, auf dem immer und immer wieder dieselbe Platte läuft.
Aber wusste die Regierung nicht, auf was sie sich da einlässt? Immerhin hat Großbritannien aus dieser Region schon einmal abziehen müssen.
Die alte Elite kann nicht begreifen, was Blair da tut. Sie versteht etwas von der arabischen Welt - die war ja einst Teil des Britischen Empire. Über Mesopotamien fiel Dschingis Khan her, jetzt sind Blair und Bush die neuen Barbaren. Die Konservativen ahnen, dass dieser Feldzug nicht gut ausgeht. Wenn ein Imperium nur noch mit Gewalt aufrecht erhalten werden kann, bricht es irgendwann zusammen. Ich habe vor kurzem mit Douglas Hurd, einem früheren konservativen Außenminister, gesprochen. Er kritisiert den Krieg - und zwar nicht aus moralischen oder politischen Erwägungen, sondern aus rein pragmatischen: Es sei »nicht in unserem Interesse«, sagte er mir. Neulich rief mich sogar ein ehemals führendes Kabinettsmitglied der Konservativen an: »Könnt ihr den Blair nicht irgendwie loswerden?«, fragte er mich. Dabei ist Blair der beste konservative Premier, den die je hatten. Er hat Labour im Griff, setzt Thatchers Privatisierungen fort und kann die Gewerkschaften nicht leiden.
Da müssten ihn die Tories doch lieben.
Tun ja manche auch. Aber liberale Tories wie der ehemalige Premier Edward Heath erleben derzeit eine Regierung, die wegen ihrer Allianz mit der amerikanischen Rechten das Verhältnis zu Europa gefährdet. Blair hat ein Referendum über den britischen Beitritt zur Währungsunion versprochen, aber es wird nicht stattfinden. Erstens könnte er nach seinen jüngsten Ausfällen gegen Frankreich und Deutschland kaum glaubhaft über »europäische Identität« sprechen und schon gar nicht für eine gemeinsame europäische Außenpolitik werben. Zweitens wird die Regierung der Bevölkerung jetzt kaum die Möglichkeit geben wollen, ihr eine Lektion zu erteilen.
Es gibt ja auch kaum eine Kundgebung, auf der nicht von einem »Regimewechsel daheim« die Rede ist.
Blairs Gegner werden immer zahlreicher, besonders in der Labour Partei. Aber es wäre falsch, einen Führungswechsel in der Partei jetzt vorantreiben zu wollen. Gegen den Krieg gingen Mitte Februar in London zwei Millionen Menschen auf die Straße. Für einen Sturz des Premiers kämen kaum 2.000 zusammen.
Er sollte also im Amt bleiben ...
Politisch wird Tony Blair die nächsten fünf Jahre nicht überleben, wahrscheinlich tritt er früher ab. Aber jede Debatte um seine Person und mögliche Alternativen würden nur von den wesentlichen Fragen ablenken. Die riesigen Märsche der vergangenen Wochen waren nicht nur ein Massenprotest gegen den Kriegskurs der Regierung, sondern auch Demonstrationen für die Demokratie. Auch die Missachtung der UNO war ein Verstoß gegen demokratische Prinzipien: Bush und Blair haben das überwältigende Votum der UN-Generalversammlung gegen ihre Angriffspläne schlichtweg ignoriert.
Derzeit sieht es kaum so aus, als ob die UNO künftig überhaupt noch handlungsfähig wäre.
Die Vereinten Nationen entstanden aus dem Zweiten Weltkrieg heraus. Vielleicht trägt ja dieser Krieg dazu bei, dass sie nun reformiert und demokratisiert werden - mit Wahlen zur Generalversammlung, mit einem gewählten Weltsicherheitsrat, in dem nicht mehr alte Kriegsallianzen, sondern die bevölkerungsreichsten Länder ständig vertreten sind. Wir brauchen eine UNO, die den IWF, die WTO und die Weltbank kontrolliert ...
Wie soll das klappen?
Diese Friedensbewegung ist ja auch eine Bewegung für eine bessere Weltordnung. Das geht natürlich nicht von heute auf morgen. 1832 besaßen in Britannien nur vier Prozent der Bevölkerung ein Stimmrecht, ausschließlich reiche, weiße Männer. Heute wird die Welt von etwa vier Prozent der Bevölkerung beherrscht. Britannien wurde seinerzeit langsam demokratisiert - Gleiches müssen wir mit der UNO tun.
Eine große Aufgabe für die Friedensbewegung.
Auch die USA werden bald wieder Interesse an einer starken UNO haben, spätestens wenn der Kalte Krieg mit China einsetzt.
Das Gespräch führte Pit Wuhrer
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