Auweia! Der Sieg des Kapitals landete auf meinem Schreibtisch. Ulrike Herrmann von der taz, gelegentlich wertet sie den ARD-Presseclub auf, zielt, wie schon mit Hurra, wir dürfen zahlen (2010), auf mich, den in Finanzdingen fremdelnden Mittelständler. Ein Verlierer-Typ, der sich als Sieger sehen will, jedoch furchtsam ist und daher seiner Selbstausbeutung zustimmt. Einer, der sich für reich hält, obgleich er ärmer wird. Sinkende oder stagnierende Einkommen, mehr Lebensarbeitszeit, sinkende Ersparniserträge und geringere soziale Absicherungen von Lebensrisiken halten „Mustermanns“ wie mich davon ab, die eigentlichen Gewinner, jenes eine Prozent, weiterhin glücklich zu machen.
Ulrike Herrmann erzählt in ihrem neuen Buch die Geschichte der Finanzwirtschaft lebendig, witzig, hintersinnig und reich an Beispielen. Sie erklärt den Unterschied zwischen Kapital und Geld, erläutert, dass die uralte Marktwirtschaft nicht jenem jungen Kapitalismus gleicht, der um 1760 in England geboren wurde. Ich erfahre, warum es reiner Mittelstandswahn ist, aus dem Unbehagen an der wachsenden Ungerechtigkeit, Maschinenstürmern ähnlich, gegen das Kapital und seine Inkarnation, das Geld, anzurennen. Angesagt wäre eine aktive Politik gegen die ungerechten Entstehungs- und Verteilungsbedingungen.
Maschinenstürmern ähnlich
Systematisch zerstört Ulrike Herrmann die Vorurteile und Mythen rund um das Wirtschaftsgeschehen. Dafür geht es historisch von Mesopotamien über Aristoteles und China bis zum munteren Derivatehandel in London und New York, der erneut floriert wie vor der Lehman-Pleite. Ich lese, warum nur Staaten mit hohen Löhnen und guter sozialer Absicherung vom Welthandel profitieren und folgerichtig den größten Anteil der Weltwirtschaft (80 Prozent) miteinander abwickeln.
Hohe Löhne bedingen eine beständig steigende Produktivität, die auch konsumiert werden kann. Sie fördern den Drang zu realen Innovationen, so, wie sie einst im Hochlohnland England den Kapitalismus zur Welt brachten. Sie sichern die Binnenkonjunktur und bringen in einem gemeinsamen Wirtschaftsraum Wohlstand für alle, wie es sich Karl Marx, aber auch Adam Smith und Ludwig Erhard ausdachten. Mythisch ist es, zu glauben, die von vernetzten Großkonzernen und Finanzinstituten gelenkte Wirtschaft käme ohne massive Regulierungen aus. Konzessionen und Subventionen garantieren bis auf Weiteres die leistungslose Vermehrung der Profite. Neuerdings kommt noch eine staatliche Ausfallversicherung, eine umfassende Risikoübernahmegarantie hinzu.
In Deutschland wickelt ein Prozent der größten Unternehmen circa 65 Prozent des Umsatzes ab. Die 3,5 Millionen Kleinunternehmen tragen hingegen zur Wertschöpfung wenig bei. Sie stehen dafür in jener brutalen Konkurrenz, die den Neoliberalen vorgeblich so heilig ist. Hier gilt die Marktwirtschaft, während bei Finanzen, notwendigen Gütern wie Energie, Wasser, Lebensmitteln und Rohstoffen zunehmend die Großen das Geschehen in ihrem Sinne steuern. Der moderne Kapitalismus ist längst eine Planwirtschaft und keineswegs ein vertraglich garantiertes, freies Spiel freier und gleicher Kräfte.
Konkurrieren die Deutschen ihre EU-Nachbarn mit niedrigen Löhnen und hoher Produktivität nieder, so müssen diese Länder sparen und sparen sowie Kredite bei unserer Kapitalelite aufnehmen. Nach dem Honeymoon größter Profite und ständiger Exportüberschüsse muss der Rückschlag folgen. Armut treibt weder Wirtschaft noch Wohlstand, sie reproduziert sich selbst!
Spekulation und internationales Kreditwesen produzieren weiterhin mit selbstgeschneiderten Produkten enorme Buchgewinne, die realwirtschaftlich nicht produktiv sind. Investitionen in Produktionen und Dienstleistungen können solche Renditen nicht erwirtschaften, obwohl sie die eigentlichen Schöpfer von mehr Wohlstand und Sicherheit sind. In seltsamer Partnerschaft glauben aber viele Systemkritiker, neoliberale Ökonomen, Politiker und wir Bürger, die Anlagemärkte seien entscheidend. Güter wie Gesundheit, Nahrung, Wohnung und Umwelt vertragen den Kapitalismus nicht. Die Floskel, alles habe seinen Preis, sie ist auf wiederholte Krisen und die zerstörerische Produktivität des Marktgeschehens geradezu angelegt.
Die klitzekleine Schwäche oder gerade Stärke dieses mit großem Genuss zu lesenden Sachbuchs ist Ulrike Herrmanns Utopie einer anderen Wirtschaft. Sie fällt knapp und ergebnisoffen aus, denn die Autorin ist keine Hellseherin. Das ist sehr sympathisch.
Der Sieg des Kapitals: Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen Ulrike Herrmann Westend 2013, 288 S., 19,99 €
Christoph Leusch lebt in Frankfurt und bloggt alias Columbus auf freitag.de
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