Profanglas

Südquerhausfenster Gerhard Richters erhellendes Kunstwerk für den Kölner Dom

Gerade die großen Sakralbauten hierzulande scheinen mit sehr deutschem Antlitz und gewaltigen Zügen einen spirituellen Zugang eher zu verstellen als zu ermöglichen. So erinnert der Berliner Dom in seiner pompösen Kompaktheit an eine preußische Waffenschatulle, während der Kölner Bau nicht wenig Ähnlichkeiten mit einem ruinenhaften Flakabwehrturm aufweist. Die Grundlage des Gebäudes, die Domplatte, scheint massive Geologie zu versprechen, nicht Transzendenz.

Daher kann das jüngst eingeweihte, von dem Maler Gerhard Richter neu gestaltete Südquerhausfenster am Dom nur gelobt werden. Das Fenster, dessen ursprüngliche Komposition mit dem Zweiten Weltkrieg verloren ging, trägt merklich zur Lichtung der schweren Halle bei. Ein Gewinn, der beinahe verhindert worden wäre: Manche Altvorderen der Kölner Gemeinde hatten den Wunsch nach Darstellung von "Märtyrern des 20. Jahrhunderts" geäußert, den Richter freilich ausschlug. Im Gegensatz dazu orientierte sich der Künstler an seinem Bild 4096 Farben aus dem Jahre 1974. Das 113 Quadratmeter große Fenster setzt sich aus per Zufallsgenerator angeordneten, quadratischen Glasplättchen zusammen, die aus einem Spektrum von 72 Farben getönt sind.

Wenn man das Werk nun aus einiger Entfernung betrachtet, entsteht eine schier ungeheuere Bewegung: Die Pigmente beginnen zu flirren, wie in einem gigantischen Kaleidoskop sucht das verwirrte Auge nach Ordnungspunkten, um bekannte Formen zu identifizieren und sich bei Widererkennung niederzulassen. Die Anordnung der Farben gestattet dem Sinnesapparat solche Ruheplätze allerdings nicht.

Die Fensterwand wirkt in Großausschnitten wie ein Fernsehtestbild, scheint in Gänze aber wie aus groben Computer-Pixeln zusammengestellt. Hier findet die kognitive Irritation durch den Wirrwarr der Farben ihre Fortsetzung. Die große Illusion des religiösen Pomps erscheint in den Versuchen der perfekten digitalen Darstellung von Wirklichkeit und Phantasie im Cyberspace ihren Nachfolger gefunden zu haben. Die grobe Verpixelung entlarvt die digitale Traumwelt, weil sie das gestochen scharfe Computerbild wieder in seine Bestandteile zerlegt. Es ist erstaunlich, wie gut die Brechung der jenseitigen Täuschung in diesem riesigen Gotteshaus funktioniert; nicht umsonst wird die "bekennende Profanität" von Richters Werk gefeiert.

Trotz dieser Zwielichtigkeit integriert sich das Fenster in den spirituellen Rahmen, der ihm angedacht ist. Doch ist es in einer vom rechten Glauben abgefallenen Welt überhaupt statthaft, jenseits von kunsthistorischer Katalogisierung über Sakralkunst zu raisonnieren? Die Frage ist zu bejahen, schließlich lässt sich in den religiösen Monumentalbauten ein Indiz dafür finden, wie viel Reichtum und Schaffenskraft aus der Gesellschaft hervordrängen kann und in einer vernünftigeren Ordnung zur Verfügung stünde. Die Emphase, mit der die Huldigung des Jenseits weiterhin betrieben wird, man denke nur an die immer noch unvollendete Sagrada Familia in Barcelona, eröffnet auch einen Korridor aus dem verdinglichten Alltag hinaus.

Der Reichtum, der das neue Südquerhausfenster ermöglicht hat und sich auf 370.000 Euro beläuft, stammt von 1.200 Stiftern; Gerhard Richter selbst verzichtete auf ein Honorar. Noch ein Stück gewagter, quasi als Brechung der Brechung, wäre es gewesen, hätte er im unteren Bereich des Fensters ein Künstlerpiktogramm eingelassen, um den gegenwärtigen Trend der völligen Vermarktung der Kunst und des Künstler im Label Ausdruck zu verleihen. Schließlich werden Richters profanere Bilder den Mechanismen des Kunstmarktes folgend nach der künstlerischen Himmelfahrt im Kölner Dom weiter an Wert gewinnen. Ebenso hätte man die Namen der Stifter zur Geltung bringen können.

Diese scheinbar unverschämt kulturindustrielle Idee ist nicht neu. Schon die Zünfte des Mittelalters ließen sich mit den Zunftwappen auf den von ihnen gestifteten Kirchenfenstern verewigen, was man etwa im Freiburger Münster bestaunen kann.


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