Prophezeiungen

A–Z Für den 28.05.2015 hatte Nostradamus ein Erdbeben geweissagt, das ganz Kalifornien erschüttern soll. Solche Vorhersagen sind natürlich Quatsch. Oder? Das Lexikon
Ausgabe 22/2015
Prophezeiungen

Foto: Attila Kleb/Imago

A

Aberglaube Die Prophetie steht nicht im Ruf einer exakten Wissenschaft. Die Trefferquote ist eher bescheiden, und trotzdem kommen wir ohne Prophezeiungen nur schwer aus. Sie sind nun mal ein Grundpfeiler des Aberglaubens, dem wir nicht so entwachsen sind, wie wir das gerne hätten. Eine Reihe für den Alltagsgebrauch bestimmter Orakelmethoden liefern uns nicht nur scheinbare Gewissheit über die Zukunft, sondern geben uns sogar das Gefühl, Kommendes ließe sich beeinflussen. Wer lässt sich nicht alles die Zukunft aus Lebenslinien oder Karten lesen? Doch auch aus dem Kaffeesatz spricht die Zukunft, genauso wie aus den Skulpturen beim Bleigießen. Und dann sind da die Bauernregeln, die ebenfalls allzu oft bemüht werden, wenn sie eine wünschenswerte Zukunft voraussagen. Sogar die Sieben-Tage-Wettervorhersage (➝ Wetter) ist ein Stück Prophetie. Und der Siebenschläfer soll eben vor allem dann seine Gültigkeit haben, wenn am entsprechenden Tag die Sonne scheint. Benjamin Knödler

B

Bibel Die Bibel enthält zahlreiche Prophezeiungen. Viele sollen sich auf die Ankunft Jesu Christi beziehen. Während fundamentalistische Christen diese Prognosen für bare Münze nehmen, halten sie Religionswissenschaftler für nachträgliche Interpretationen. So bezieht sich das Matthäus-Evangelium auf über 100 Stellen im Alten Testament, um Jesu Bedeutung herauszustreichen. Mit der Offenbarung des Johannes hat das Neue Testament ein eigenes Prophezeiungsbuch. Es handelt von Katastrophen, dem Kampf mit Satan, dem Weltgericht und der Entstehung der neuen Welt als ewiger Hort geretteter Seelen. Die Evangelikalen interpretieren die Offenbarung als Fahrplan in die anbrechende Endzeit. Auch hier sieht die Bibelwissenschaft im Text eher eine Durchhalteschrift für die von den Römern verfolgten Christen in Kleinasien. Es würde ja auch kein CDU-Politiker deklamieren, er sei nur Interimsmanager für eine kommende Zeit. Tobias Prüwer

F

Frech Ich war 13 Jahre alt, als meine Englischlehrerin mir während des Unterrichts folgende Prophezeiung machte: „Mit so einem frechen Gschau wirst du nie einen Mann finden!“ Ich kann mich gut erinnern, was ich in diesem Moment empfand: eine Mischung aus Belustigung und dem Gefühl, dass sie mir da etwas ziemlich Unverschämtes an den Kopf geworfen hatte. Ich fragte mich, was daran schlecht sei, frech zu kucken, ja ob es nicht Männer gäbe, denen genau dies gefiele. Zumindest hatte mich meine Umwelt nicht das Gegenteil gelehrt. Kokette Frauen kannte ich viele, und sie alle hatten mindestens einen Mann ( Aberglaube). Eigentlich mochte ich meine Lehrerin, die aussah wie eine schön alternde Squaw, bunte Wollmäntel trug und schwere Ohrringe mit echten Steinen, die ihren Ohrläppchen zu schaffen machten. Vielleicht trauerte sie der Unverblümtheit ihrer Jugend hinterher. Ich habe jedenfalls nie Probleme gehabt, einen Mann zu finden – vielleicht gerade wegen meines frechen Gschaus. Sophia Hoffmann

H

Horoskope „Pluto beschert der ausgeglichenen Waagenseele diese Woche ein Wechselbad der Gefühle.“ So oder ähnlich liest sich fast jedes Horoskop, das über die künftige Liebe, das Berufsleben oder die Gesundheit Auskünfte erteilt. Ob Tages-, Wochen-, Jahres- oder Partnerhoroskope, den Prophezeiungen sind keine Grenzen gesetzt und so hat sich das Horoskop zur eigenen Textform aufgeschwungen: eine Mischung aus Mahnung, viel Mutmachen und der Planetenstellung. Insbesondere die astrologische Note verpasst den Horoskopen eine gewisse Autorität, auf die sich so mancher besonders dann gerne stützt, wenn schwere Entscheidungen bevorstehen. Natürlich könnte man auch Rat bei Freunden oder Familie suchen, doch die scheinbare Objektivität macht mitunter mehr Eindruck. Im Grunde sind Horoskope jedoch viel mehr eine Selbstbefragung denn eine Befragung der Zukunft, schließlich sind sie zumeist so formuliert, dass vieles Auslegungssache bleibt. Und die Antwort auf die Fragen weiß man eigentlich schon selbst. Benjamin Knödler

M

Martin Armstrong Der US-Ökonom Martin „The Forecaster“ Armstrong machte schon als junger Mann als Münzhändler, später als Rohstoffanalyst ein Vermögen. Anfang der 80er Jahre entwickelte er ein Computermodell, das auf Konjunkturzyklen und der Zahl Pi beruht. Damit konnte er – angeblich – den Crash von 1987 tagesgenau vorhersagen, ebenso den Kollaps des Nikkei 1989, das Platzen der Dotcom-Blase 2000, den Zusammenbruch der russischen Märkte 1998 und die Eurokrise 2009. Mit seiner Firma Princeton Economics beriet er große institutionelle Anleger. Im September 1999 stürmte das FBI sein Büro und verhaftete Armstrong wegen gewerbsmäßigen Betrugs. Er weist die Vorwürfe bis heute zurück. Die Bank, bei der er das Anlegergeld von japanischen Kunden – rund 700 Millionen Dollar – geparkt hatte, bekannte sich später schuldig, wobei keiner der Banker ins Gefängnis musste.

Martin Armstrong saß zwölf Jahre in Haft. Ohne Urteil. Er sollte zum Schweigen gebracht werden, behauptet er. Martin Armstrong sagte nach seiner Freilassung 2011 vorher, dass sich Anfang 2015 der Schweizer Franken vom Euro abkoppeln wird. Und für Oktober 2015 den nächsten Crash. Elke Allenstein

O

Orakel Es war Winter, ich flog an den Bodensee, märchenhaft verschneite Wälder, Kurhotels. Ich wollte zur bekannten Fastenklinik Buchinger, um eine Geschichte für den Freitag zu schreiben. Schon beim Eintreten fühlte ich mich wie eine Patientin, dabei war ich ja gar nicht zum Fasten hier. Morgens saß ich dann trotzdem neben dicken arabischen Scheichs und ausgehungerten französischen Models beim Müsli-Frühstück, alle Kalorien waren genau abgezählt. Ich hörte nicht auf, an Sandwiches zu denken, aber man könnte ja erst mal einen ausgedehnten Spaziergang machen.

Dann traf ich Dr. Françoise Wilhelmi de Toledo zum Gespräch, die mit ihrem Mann dieses Haus führt, eine schmale, charismatische Frau. Sie hält Vorträge übers Heilfasten und begleitet regelmäßig Exerzitien. Wir unterhielten uns auch darüber, wie man festen Boden findet, als Frau, in einer unsicheren Arbeitswelt, in unsteten Beziehungen (➝ Frech). Wilhelmi de Toledo sah mich gütig und bestimmt an: „Sie sollten in Zukunft mehr Yoga machen. Und ein Kind bekommen!“, orakelte sie. Ich versuchte, ernst zu bleiben. Ein halbes Jahr später war ich schwanger. Und betrieb Gymnastik. Nach der Geburt schickte ich ihr eine Nachricht: „Es ist ein Junge. Sind Sie eine moderne Kassandra?“ Ein paar Tage später kam ein Paket mit Baby-Bio-Shampoo. Maxi Leinkauf

S

Sonntagsfrage „Welche Partei würden Sie wählen, wäre am nächsten Sonntag Bundestagswahl?“ Seit den 80ern orientiert sich die Politik stark an der Meinungsforschung. Sie misst regelmäßig aktuelle Trends der Wähler, aber entgegen mancher medialen Suggestion nicht tatsächliches Wahlverhalten. Die Stichprobe kann die Gesamtheit der Wahlbeteiligten gar nicht repräsentativ abdecken. Außerdem kommen strategische Überlegungen hinzu, wenn dann wirklich Wahl ist, es spielt dann auch die individuelle politische Grundhaltung eine größere Rolle.

Die Sonntagsfrage formuliert also keine Prognose, sondern ist Zwischenstandsmelder mit bedingtem Rückschlusspotenzial. Auch hier ist zum Leidwesen der Prognostiker das Unvorhersehbare am Werk. So gestand das Allensbach-Institut nach der Landtagswahl in Baden-Württemberg 1996, die Prozente der Republikaner unter die Fünf-Prozent-Hürde gedrückt zu haben, um Wähler abzuschrecken. Die Partei erreichte schließlich neun Prozent. AfD-Chef Bernd Lucke behauptete Ähnliches vor der Bundestagswahl 2013: Beweise, dass das Forsa-Institut AfD-Werte manipuliert hat, konnte er nicht vorlegen. Seitdem nennt ihn der Institutsleiter ungestraft Lügen-Lucke. Tobias Prüwer

W

Wahrnehmung Warum glauben so viele Menschen an Hellseher? Fast jeder hat schon einmal von aberwitzigen Voraussagen gehört, die sich dann bewahrheitet haben. Das kann doch kein Zufall gewesen sein! In Wirklichkeit ist alles eine Frage der verzerrten Wahrnehmung: Wenn ein extrem unwahrscheinliches Ereignis eintritt, redet die ganze Welt darüber, verbreitet sich das über Medien und Mundpropaganda. Oft lassen sich die Prophezeiungen auch ganz unterschiedlich deuten, irgendwie auch als das, was tatsächlich später passiert. Wenn sich eine Voraussage jedoch als falsch herausstellt, wird sie einfach schnell vergessen. So entsteht in den Köpfen ein falscher Eindruck. Vielleicht sollte jemand mal die unendliche Liste der falschen Prophezeiungen aufschreiben. Felix Werdermann

Wetter Der Erfinder des Sieben-Tage-Trends hat sich vermutlich schon vor Jahren nach San Diego, Kalifornien (300 Tage Sonne im Jahr), abgesetzt und schämt sich kein Stück dafür, dass man hierzulande montags schon schlechte Laune bekommt, wenn wieder einmal fette Wölkchen das nächste verregnete Wochenende ankündigen. Er hat die Wette aber nicht mit Claudia Kleinert gemacht, der Joan Harris der Tagesschau und der Tagesthemen. In einer Talkshow sagte die Wettermoderatorin einmal klipp und klar: Prognosen, die weiter als drei Tage reichen, sind unseriös. Halten wir uns also an die Wetterleute in der Münchner Bavaria und auf dem Mainzer Lerchenberg. Was sich Wochen im Voraus prophezeien lässt: Egal wie nass es auch wird, am Ende seiner Moderation im ZDF sagt Gunther Tiersch: „Machen Sie’s gut.“ Christine Käppeler

X

Xavi Hernández i Creus Wenn einer im 16. Jahrhundert die Französische Revolution, Napoleon und für nächstens Erdbeben vorhersagt, kann ihm Weitblick attestiert werden. So jemand sieht die Ordnung der Dinge. Da passen wolkige Sätze wie „Der junge Löwe wird den alten besiegen / auf dem Schlachtfeld in einem einzigen Duell“ auf Heinrich II., kurz darauf beim Freizeitspiel tödlich verwundet.

Die Nummer sechs sagt kaum etwas, misst 1,70 Meter: Allerweltsgesicht, untätowiert, allürenfrei. Aber auch er: Einsicht in die Ordnung. Während Nostradamus aus der Ordnung Unheil und Ende herauslas, schuf Xavi eine Ordnung. Eine, die bald unauflösbar war und überraschend umschlug – ansatzlos erwuchs dem Gegner Unheil. 17 Jahre war Xavi elegantester Raumausstatter für seine Mitspieler des FC Barcelona.Nostradamus sah nur das Beben, wo tatsächlich Xavis Karriere endet. Lennart Laberenz

Z

Zahlen Wie steht es um die Wirtschaft? Politiker hängen an Konjunkturprognosen wie Junkies an ihrer Nadel. Dabei stellen sich die Voraussagen häufig als falsch heraus. Erstens kann kein Modell die Wirklichkeit vollständig erfassen. Zweitens wird immer (notwendigerweise) versucht, von der Vergangenheit auf die Zukunft zu schließen. Drittens kann eine Konjunkturprognose die Politik beeinflussen und die wiederum die Konjunktur selbst. Trotzdem geben die Institute ihre Zahlen immer auf die Nachkommastelle genau an, das erweckt zumindest den Eindruck der Präzision. Ehrlich wäre aber eine Spanne zwischen zwei Zahlen. Felix Werdermann

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