Prostitution im Weißen Haus

Der Fall Jeff "Gannon" Falscher Journalist mit falschem Namen und halbseidener Vergangenheit als Stichwortgeber bei den Pressekonferenzen von George W. Bush

Kurios nennt die New York Times die Propagandamaschinerie des Präsidenten und reagiert damit auf einen Vorfall, der deutlichere Worte verdient. Der Guardian spricht von einem "Betrüger und Prostituierten", der im "press room" des Weißen Hauses platziert worden ist. Wir dokumentieren eine Analyse des ehemaligen Clinton-Beraters Sidney Blumenthal, die am 17. Februar in der britischen Zeitung erschienen ist.

Der Presseraum des Weißen Hauses ist in der Vergangenheit schon oft ein Ort von Intrigen und merkwürdigen Ereignissen gewesen. Aber der jüngste Skandal hat eine bisher nie dagewesene Qualität.

Die Geschichte begann mit einer Serie von Fragen an Präsident Bush während seiner Pressekonferenz am 26. Januar. Ob seine Administration damit einverstanden sei, dass konservative Kommentatoren Zahlungen von der Regierung erhielten? Zuvor war bekannt geworden, dass drei Medienunternehmen geheimgehaltene Verträge mit der Regierung abgeschlossen hatten. "Wir brauchen eine gute, unabhängige Beziehung zwischen dem Weißen Haus und der Presse", so die kurze Entgegnung des Präsidenten, der daraufhin seinen Pressesprecher das Wort an Jeff Gannon erteilen ließ. Sofort erhob sich Gannon, Bürochef von Talon News in Washington, von seinem Stuhl, um die Demokraten im Kongress anzugreifen: "Wenn Sie, Herr Präsident, das amerikanische Volk erreichen wollen, wie können Sie dann mit Leuten zusammenarbeiten, die sich von der Realität vollkommen entfernt haben?"

Ungefähr zwei Jahre lang ist Gannon von Scott McClellan, dem Pressesprecher des Präsidenten, immer wieder um Fragen gebeten worden, um von schwierigen Themen abzulenken. "Er ist ein fantastischer Bürochef, ein erstklassiger Korrespondent im Weißen Haus" - so lobte ihn der ultrakonservative Fernsehsender Fox News. In rechtslastigen Radio-Shows wurde Gannon häufig als Experte genannt und zitiert. Aber wer ist Gannon eigentlich?

Seine seltsame Art, Fragen an den Präsidenten zu stellen, die keine Fragen, sondern nur Gefälligkeiten sind, wurde irgendwann verdächtig. Talon News, so fand man heraus, gehört einer Gruppe von Republikanern aus Texas. In einem bemerkenswerten Artikel hatte Gannon seinerzeit geäußert, dass John Kerry womöglich als "erster schwuler Präsident" in die Geschichte eingehen könne ...

Mittlerweile ist bekannt geworden, dass Jeff Gannon unter falschem Namen zum Stichwortgeber des Präsidenten gemacht worden ist. Sein richtiger Name lautet James Dale Guckert. Er hat keinerlei journalistische Ausbildung. Seine frühere Bewerbung für die Pressekonferenz des Kongresses war gescheitert. Später allerdings fand das Weiße Haus einen Trick, um das übliche Prüfungsverfahren zu umgehen. Guckert alias Gannon bekam einfach für jeden Termin in der Pressekonferenz des Präsidenten einen Ein-Tages-Ausweis. So konnte man den Sicherheitscheck des FBI vermeiden.

Guckert ist nicht nur ein falscher Journalist mit falschem Namen, sondern auch in anderer Hinsicht eine schillernde Figur. In der Vergangenheit hat er auf Internetseiten, wie etwa Militarystud.com, MaleCorps.com, WorkingBoys.net und MeetLocalMen.com seine Dienste als "schwule Begleitung" angepriesen. Dutzende Fotos, auf denen "Gannon" in dramatischen nackten Posen zu sehen ist, verdeutlichen, was er meinte.

Man muss sich klar vor Augen führen, was im Weißen Haus des George W. Bush passiert. Dort darf ein Hochstapler unter falschem Namen, platziert von einer republikanischen Organisation, dem Präsidenten zur Seite stehen, wenn es für ihn brenzlig wird. Und dieser Hochstapler, den man vor einer Überprüfung durch das FBI abschirmt, streut schwulenfeindliche Gerüchte über den Gegenkandidaten des Präsidenten, während George W. Bush seinerseits Vorurteile über Schwule bedient und in den Pressekonferenzen einen Mann zu Wort kommen lässt, der nicht nur ein Betrüger, sondern selbst ein schwuler Prostituierter ist.

Unter George W. Bush ist das Weiße Haus für die Presse weniger zugänglich als jemals zuvor. Immer wieder sind Medien eingeschüchtert worden, wenn ihre Reporter Stories gebracht haben, die der Regierung nicht passten. Parallel dazu ist Fox News zum quasi offiziellen Regierungskanal geworden. Und Hunderte von rechtslastigen Radiosendungen, konservative Zeitungen, Zeitschriften und Internetseiten werden mit dem republikanischen Apparat koordiniert.

Einen Agenten direkt in der Pressekonferenz des Weißen Hauses zu platzieren, war ein gewagtes Unternehmen. Bis zu seiner Enttarnung war er nützlich für Bush. Nun verdeutlicht der Fall "Gannon" mehr als alles andere, was die Republikaner unter Pressefreiheit verstehen. Trotzdem reagierte Regierungssprecher McClellan mit zynischer Gelassenheit auf die Affäre: "In dieser Zeit einer sich ständig verändernden Medienlandschaft ist es nicht leicht zu entscheiden, wer ein Journalist ist und wen man aufrufen soll." Das ist natürlich blanker Unsinn. McClellan weiß genau, wer ein Journalist ist und wer nicht. Aber er kann darauf vertrauen, dass allen Affären zum Trotz das neue System der Machtkonzentration wunderbar funktioniert.


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