A–Z Soziales Netzwerk oder Partnerbörse – wer seine Nutzer als Versuchstiere missbraucht, macht Schlagzeilen. Dabei hat das Herumprobieren mit der Psyche eine lange Tradition
Artischocke Decknamen geheimer Operationen klingen oft harmlos. Die von der CIA zwischen 1951 und 1953 initiierte „Operation Artischocke“ war alles andere als das. Das Forschungsprogramm beschäftigte sich mit Bewusstseinskontrolle, um möglichst effektive Verhörmethoden für inhaftierte Doppelagenten des Kalten Krieges zu entwickeln. Dabei stützte man sich auf Erkenntnisse von Versuchen, die die Nationalsozialisten an Gefangenen in Konzentrationslagern durchgeführt hatten. Die Versuchsreihen fanden in geheimen Verhörzentren statt, auch auf deutschem Boden, im Camp King am Rande des Taunus. Mithilfe von Drogen wie LSD, Elektroschocks und Folter führte man Gehirnwäschen durch, nach erfolgreichen Geständnissen sollte das Erinnerungs
namen geheimer Operationen klingen oft harmlos. Die von der CIA zwischen 1951 und 1953 initiierte „Operation Artischocke“ war alles andere als das. Das Forschungsprogramm beschäftigte sich mit Bewusstseinskontrolle, um möglichst effektive Verhörmethoden für inhaftierte Doppelagenten des Kalten Krieges zu entwickeln. Dabei stützte man sich auf Erkenntnisse von Versuchen, die die Nationalsozialisten an Gefangenen in Konzentrationslagern durchgeführt hatten. Die Versuchsreihen fanden in geheimen Verhörzentren statt, auch auf deutschem Boden, im Camp King am Rande des Taunus. Mithilfe von Drogen wie LSD, Elektroschocks und Folter führte man Gehirnwäschen durch, nach erfolgreichen GestXX-replace-me-XXX228;ndnissen sollte das Erinnerungsvermögen der Inhaftierten ausgelöscht werden. Viele der Versuchsopfer starben oder begingen Selbstmord. Die CIA versuchte, auch den berüchtigten Nazi-Arzt Kurt Blome für ihre Zwecke zu gewinnen. Die deutsche US-Botschaft machte ihr aber einen Strich durch die Rechnung, indem sie Blome kein USA-Visum ausstellte. Sophia HoffmannAugenfarbe Im April 1968, kurz nach Martin Luther Kings Ermordung, führte Jane Elliott ihr erstes Antidiskriminierungsexperiment durch. Die Grundschullehrerin teilte ihre Klasse anhand der Augenfarbe in zwei Gruppen. Die blauäugigen Schüler erklärte sie für klüger und reifer gegenüber den braunäugigen. Ermutigt durch diese willkürliche Diskriminierung zeigten die Blauäugigen rasch Überlegenheitsgefühle, während sich die anderen in ihre Rolle als Minderwertige fügten. Am nächsten Tag drehte Elliott den Spieß um. Die nun als überlegen Klassifizierten zeigten sich immerhin etwas sensibler gegenüber Diskriminierung.Daraus formte Elliott eine Aufklärungskampagne, die sie berühmt machte, die aber nie unumstritten blieb. Man warf ihr diktatorisches Agieren, Psychodruck und das bewusste Erzeugen von Stress vor. Ob ihr Training wirklich Vorurteile abbauen hilft, konnten Studien auch nie aussagekräftig belegen. ZDF neo zeigte im Juli ein an Elliotts Methode angelehntes TV-Experiment, das insgesamt im Vagen blieb. Tobias PrüwerIInternet „Wir experimentieren mit Menschen.“ Das klingt nicht schön, ist im Internet aber wohl Usus. Das erklärte zumindest Christian Rudder, Präsident der Online-Partnerbörse OkCupid. Die Seite hatte vergangene Woche mit Psycho-Experimenten für Aufregung gesorgt. So wurde manchen Usern vorgetäuscht, dass ihre Vorlieben in einem höheren Grad mit einem potenziellen Partner übereinstimmten, als dies tatsächlich der Fall war. Mit dem Ergebnis, dass sie mehr Nachrichten mit diesem Kandidaten austauschten, als sie das bei einem niedrigeren Grad der Übereinstimmung normalerweise tun.OkCupid ist kein Einzelfall. Auch Facebook verärgerte seine User jüngst mit einem ähnlichen Experiment. Das soziale Netzwerk hatte den Newsfeed von 7.000 Nutzern manipuliert. Zwar waren die Experimente durch die AGB gedeckt, trotzdem war die Empörung groß. Auch weil beide Male die Betroffenen nicht wussten, dass sie Teil eines Experiments waren. Und wer spielt schon gern ungefragt Versuchskaninchen? Benjamin KnödlerLLeipzig Lang vor dem Hype der Psychologie als Wissenschaft und Couch-Therapie wurde in Leipzig das weltweit erste „Institut für experimentelle Psychologie“ gegründet. Der Mediziner und Philosoph Wilhelm Wundt (1832–1920) rief es 1879 zunächst als private Einrichtung ins Leben. Vier Jahre später wurde es zum universitären Institut, Wundts Credo folgend: „Sobald man einmal die Seele als ein Naturphänomen und die Seelenlehre als eine Naturwissenschaft auffasst, muss auch die experimentelle Methode auf diese Wissenschaft ihre volle Anwendung finden können.“ Mit naturwissenschaftlicher Exaktheit sollte das Bewusstsein erforscht werden. In Experimenten zu Reaktionszeit oder Reizreaktionen versuchte Wundt, das Feld der Psyche zu durchmessen. Auch wenn er später weitgehend in Vergessenheit geriet, scharte er doch eine Gründergeneration um sich. Mit Edward Titchener studierte der Vater des Strukturalismus bei ihm. James McKeen Cattell, der der erste Psychologieprofessor der USA wurde, lernte in Leipzig genauso wie Granville Stanley Hall, der Begründer der Kinderpsychologie. TPLobotomie Die Lobotomie ist einer der größten Fehltritte der Neurochirurgie. Sie wurde in den 30er Jahren zur Behandlung von Psychosen und Verhaltensstörungen entwickelt und 1949 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Mit einem eispickelähnlichen Werkzeug wurden den Patienten beliebig Nervenbahnen zwischen Thalamus und Frontallappen durchtrennt. Der Zugang erfolgte durch die Augenhöhlen. Psychiater Walter Freeman begriff sich als Schutzheiliger der Lobotomie und sah sie als Universalmittel. Er fuhr in den Vereinigten Staaten mit seinem „Lobomobil“ Klinik um Klinik ab, um täglich Dutzende Patienten zu behandeln – viele gegen ihren Willen. Man schätzt die Zahl seiner Patienten auf 3.600. Die grausame Absurdität wird nur davon übertroffen, dass die Lobotomie in den USA der 50er auch als hilfreich galt, um Homosexualität und eine kommunistische Gesinnung zu kurieren. Felix-Emeric TotaMMarktforschung Dass Unternehmen versuchen, Kunden so viele Waren wie möglich zu verkaufen, bildet das Fundament einer Konsumgesellschaft. Psycho-Experimente sind in der Marktforschung deshalb ein wichtiges Mittel, um Käuferverhalten zu untersuchen und die Taktiken zu verfeinern. So wird mit Experimenten etwa untersucht, welche Werbung am besten wirkt.Auch die Platzierung der Produkte im Supermarkt ist das Ergebnis handelspsychologischer Experimente. So wird verglichen, an welchen Stellen innerhalb eines Ladens verschiedene Dinge am besten verkauft werden. Das Gemüse am Eingang zeigt, wie frisch alles ist, Grundnahrungsmittel wie Milch stehen im hinteren Teil, damit man an möglichst vielen Regalen vorbei muss – und es ist auch kein Zufall, dass die Markenprodukte auf Augenhöhe sind, während man sich nach No-Names bücken muss. BKMilgram-Experiment Stanley Milgrams Untersuchungen zur Macht der Autorität zählen zu den meistzitierten Psycho-Settings. Im 1961 erstmals durchgeführten Experiment (siehe Bild links) wurden Zivilisten dazu gebracht, anderen Leuten (vermeintliche) Stromschläge zu versetzen. So sollte der unwissende Proband (P) einem ins Experiment eingeweihten Schüler (S) elektrische Ladungen verpassen, wenn dieser beim Bilden von Wortpaaren einen Fehler machte. Die Intensität konnte bis zur tödlichen Dosis erhöht werden. Ein Versuchsleiter (V) ermunterte die Teilnehmer, auch dann weiterzumachen, wenn die Schüler Schmerzen mimten. Rund 60 Prozent der Probanden gingen bis zum Maximum, eine Zahl, die sich in zig Neuauflagen des Tests wiederholte. Hannah Arendts viel gescholtene Bemerkung von der Banalität des Bösen wird so ansatzweise klar. TPRRatten Als „Little-Albert-Experiment“ ging der Versuch in die Geschichte der experimentellen Psychologie ein. Im Glauben, man könne Menschen durch wiederholte Reize zu bestimmten Reaktionen bringen, setzte John B. Watson den elfmonatigen Albert, der weiße Ratten liebte, einer fragwürdigen Situation aus: Immer, wenn das Kind die Ratten streicheln wollte, schlug Watson mit einem Hammer auf eine Eisenstange. Bald ließ der Junge verängstigt von den Ratten ab. Dieses Experiment begründete den Behaviorismus, der uns durch Watsons Vorläufer Pawlow (Pawlow-Reflex) geläufiger ist. Es war der Ausgangspunkt aller Lerntheorien und verhalf der Idee der „Black Box“ – des Menschen als konditionierbare Maschine – zu wissenschaftlichem Ruhm. Lion Feuchtwanger hat über das Watson-Experiment, das übrigens getürkt gewesen sein soll, in den Petroleuminseln 1923 ironisch geschrieben. Ulrike BaureithelRorschachtest „Was erkennen Sie auf diesem Bild?“: Bei dieser Frage denken die meisten: „Ah, die Tintenklecksbilder!“ Der Rorschach-Formdeuteversuch ist ein kontroverser, in der Popkultur oft referierter psychodiagnostischer Test. Er wurde 1921 vom Schweizer Hermann Rorschach veröffentlicht und später mit Theorien der Freud’schen Schule zum sogenannten Unbewussten verbunden. Durch diesen projektiven Test versuchen Psychoanalytiker, ein ganzheitliches Persönlichkeitsprofil des Patienten zu erschließen. Was der Proband in den Bildern zu erkennen glaubt, soll Rückschlüsse auf seine Persönlichkeit geben. Während der Testphase notiert sich der Psychologe etwa die Äußerungen des Probanden, ob er das Motiv dreht oder näher rangeht. Vorher wurde dem Patienten gesagt, dass es keine richtigen oder falschen Deutungen gebe. Zur Auswertung bedarf es noch eines wörtlichen Protokolls und einer Nachbefragung. Ursprünglich bestand der Test aus zehn Tintenklecksbildern, heute gibt es fast ein Dutzend Parallelserien. TOTSStanford Prison Experiment „Well, that escalated quickly!“ Das Stanford Prison Experiment wurde 1971 von den US-amerikanischen Psychologen Philip Zimbardo, Craig Haney und Curtis Banks an der Stanford University durchgeführt. Es erforschte das menschliche Verhalten im Ausnahmezustand der Gefangenschaft und war auf 14 Tage angelegt, musste jedoch nach sechs Tagen abgebrochen werden. Schon am Morgen des zweiten Tages brach der erste Aufstand aus. 24 Studenten, die bei vorangegangenen Persönlichkeitstests durchschnittlich abgeschnitten hatten, waren per Münzwurf in einer Gefängnissimulation in Wärter und Gefangene eingeteilt worden. Die Wärter hatten die Aufgabe, für Ruhe und Ordnung zu sorgen, und waren befugt, alle nötigen Maßnahmen zu ergreifen. Man kann sagen, einige der Insassen hatten damit ihre Probleme. TOTWWelle 1967 unternahm der amerikanische Geschichtslehrer Ron Jones mit seiner Klasse das Sozialexperiment The Third Wave – um vor der Anziehungskraft faschistischer Bewegungen zu warnen. So widerlegte er Äußerungen der Schüler, dass der Nationalsozialismus „bei uns nicht vorkommen könne“. Durch straffe Organisation, Identitätsstiftung und den Drill zu blinder Disziplin wurden die Jugendlichen innerhalb kürzester Zeit zu manipulierbaren Mitgliedern einer totalitären Gruppe. Nach fünf Tagen beendete Jones das Experiment und schrieb seine Erfahrungen in einem Buch nieder, das als Vorlage für den Roman The Wave (Die Welle) von Morton Rhue diente, bis heute ein Lektüre-Klassiker an deutschen Schulen. 1981 wurde das Buch fürs US-TV verfilmt, 2008 folgte ein deutscher Kinofilm mit alternativem, bösem Ende. SHZZuschauen „Big Brother is watching you“ prophezeite George Orwell einst in seinem dystopischen Roman 1984. So war es mehr als konsequent, dass die Mutter aller Realityshows bei ihrer Erstausstrahlung 1999 in den Niederlanden den Namen Big Brother trug. Das anfangs stark umstrittene Format expandierte weltweit. Mittlerweile haben wir uns daran gewöhnt, Menschen in Echtzeit bei ihren intimsten Handlungen zuzusehen. Solche auf puren Voyeurismus angelegten Psycho-Experimente haben sich zur ganz normalen Abendunterhaltung entwickelt, sei es beim Dschungelcamp, bei der Bachelorette oder Germany’s Next Topmodel. Homo homini lupus – oder so. SH
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