Publikationenvermehrung durch Eigenplagiat

Geistiges Eigentum Magnus Klaue macht sich Gedanken über eine verbreitete, aber noch etwas unterbelichtete Textsorte
Dieses Kinn gehört Bildungsministerin Annette Schavan
Dieses Kinn gehört Bildungsministerin Annette Schavan

Foto: Johannes Eisele / AFP / Getty Images

Lange nichts mehr gehört von Karl-Theodor zu Guttenberg. Oder den anderen Politikern, denen im vergangenen Jahr im Zuge einer von Plagiatsjägern im Internet organisierten Kampagne wissenschaftliche Unredlichkeit nachgewiesen oder auch nur nachgesagt worden ist. Von der Tatsache abgesehen, dass die ehrenamtlichen Fahnder fast nur in den bürgerlichen Parteien nach Plagiatoren gesucht haben, verband die Fälle der Ton der Empörung, mit dem redliche Bürger die Beweise für das präsentierten, was insgeheim alle ahnten: Politiker verdienen ihre Meriten nicht durch produktive Arbeit, sondern stehlen Klügeren ihre Gedanken.

Wiederaufgeflammt sind diese Ressentiments, als jüngst bekannt wurde, Bildungsministerin Annette Schavan habe sich in ihren wissenschaftlichen Arbeiten des Eigenplagiats schuldig gemacht. Als Eigenplagiat werden drastische Formen akademischen Selbstrecyclings bezeichnet. Dabei handelt es sich um eine Praxis, die auf moderate Weise nicht nur im Wissenschaftsbetrieb geduldet, sondern von ihm gefordert wird. Um sich beim Wettbewerb um die raren Festanstellungen durch eine lange Publikationsliste auszuzeichnen oder von den Ausschüttungen von VG Wort so viel wie möglich zu profitieren, wird der nahezu gleiche Text unter verschiedenen Titeln, in Übersetzung oder in unterschiedlicher Kapitelanordnung mehrfach publiziert. Wird er bei jeder Neuveröffentlichung in gewissem Maße verändert oder ergänzt, handelt es sich um kein Eigenplagiat. VG Wort bewertet jede Neupublikation wissenschaftlicher Bücher oder Aufsätze, die mindestens zehn Prozent neuen Text erhält, als „wesentlich neu bearbeitete Auflage“. Überdies ist es im akademischen Betrieb immer üblich gewesen, eigene frühere Aufsätze wiederzuveröffentlichen. Ein Eigenplagiat liegt nur vor, wenn der Autor gezielt darüber hinwegtäuscht, dass es sich um die bloße Wiederverwertung eines älteren Textes handelt.

"Die Gedanken sind frei"

Unabhängig davon, ob der Vorwurf des Eigenplagiats gegen Schavan sich bewahrheitet, erlaubt der eigentumsrechtlich kuriose Fall – kann ich zum Gegenstand eines von mir begangenen geistigen Diebstahls werden? – Reflexionen, die auch die übrigen Plagiatsfälle erhellen. So begünstigt nicht so sehr die Unverschämtheit des Täters das Plagiatsunwesen, sondern eine Gesellschaft, die jeden geistig Arbeitenden zwingt, seine Gedanken als Ressourcen und seine Hervorbringungen als Waren anzusehen. Ohne das daraus folgende Paradox, dass meine Gedanken vom Augenblick ihrer marktförmigen Verwertung an nicht mehr mir gehören, obwohl ich ihr Urheber bin, wäre das Phänomen des Eigenplagiats unmöglich, denn es setzt die Trennung von Werk und Person voraus. Durch diese Trennung, die den Autor als Urheber seines Werkes setzt, ist aber auch der Begriff der Originalität erst denkbar geworden. Und Originalität bedeutet nicht, ständig Neues hervorzubringen, sondern auch, ständig an Eigenes anzuknüpfen. Um Entlehnungen von Plagiaten und Plagiate von geistiger Treue zu sich oder anderen zu unterscheiden, muss daher das Verhältnis von Eigenem und Fremdem im je besonderen Fall auch qualitativ bestimmt werden. Es wäre viel für die Plagiatsdebatte gewonnen, wenn sich daran alle hielten.

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