Die russische Regierung versucht, mit der Einschränkung der Gaslieferungen den Westen zur Aufgabe seiner Wirtschaftssanktionen zu erpressen. Durch den Lieferstopp wird aber nicht bloß Gas teurer. Mit ihm nutzt Moskau auch eine Schwäche des westlichen Wachstumsmodells der vergangenen Jahre, das stark auf neuen Schulden basierte. Denn der Gas-Stopp treibt nun die Inflationsrate nach oben, was die Zentralbanken zu drastischen Zinserhöhungen veranlasst. Dies – und weniger der hohe Gaspreis – dürfte der Euro-Zone eine Rezession bescheren und den Preis für den Wirtschaftskrieg in die Höhe treiben.
Auf globale Finanzkrise, Eurokrise, schwaches Wachstum und schließlich die Coronapandemie reagierten die großen Ökonomien des Westens stets
ens stets auf ähnliche Weise: Die Regierungen kompensierten den Ausfall der privaten Nachfrage mit neuen Schulden, die auf immer neue Rekorde stiegen. Finanzierbar blieben diese Schulden durch die Hilfe der Zentralbanken: Sie setzten die Leitzinsen auf null Prozent, kauften über Billionen Dollar und Euro Schuldscheine auf. Darüber drückten sie das Zinsniveau, hielten Kredite billig, die Nachfrage aufrecht und sicherten so die Kreditwürdigkeit von Unternehmen und Staaten.Das daraus resultierende „befremdliche Gleichgewicht der Weltwirtschaft“, so die Natixis-Bank, bestand aus einem eher kränklichen Wirtschaftswachstum und einem fragilen Finanzmarktboom, die durch zusätzliche Verschuldung gestützt wurden. Angesichts der Geldvermehrung wuchsen an den Finanzmärkten zwar gelegentlich „debasement fears“ (Goldman Sachs), also die Furcht davor, dass das Geld sich von seiner Basis löst und eine große Entwertung ansteht. Aber angesichts der niedrigen Inflation war das Zinstief irgendwie gerechtfertigt.Russland verschärft Dilemma der ZentralbankenDiese Rechtfertigung entfiel mit dem Post-Corona-Boom: Explodierende, durch diverse Hilfspakete angefeuerte Nachfrage und Lieferkettenengpässe trieben die Inflationsrate ab 2021 in die Höhe. Da gleichzeitig aber eine konjunkturelle Erholung stattfand, sahen die Zentralbanken darin kein Problem und machten sich bereit, schrittweise die Zinsen zu erhöhen, um Boom und Inflation abzukühlen. Dann aber kamen Ukrainekrieg, Sanktionen und Gaslieferstopp. Sie treiben nicht nur die Preise in die Höhe, sondern belasten auch die Konjunktur im Westen. Damit stehen die Zentralbanken nun vor einem Dilemma, das Russlands Regierung offensichtlich verschärfen will.Über den Twitterkanal „PutinDirect“ lancierte sie gerade eine Rede, die Russlands Präsident im Juni auf dem Sankt Petersburger International Economic Forum vor Vertretern des globalen Südens gehalten hat. Durch das „Anwerfen ihrer Gelddruckmaschinen“, so Wladimir Putin, hätten die G7-Staaten jahrelang „ihre beispiellosen Defizite finanziert“. Sie kauften weltweit Güter und Dienstleistungen ein und „lenkten die Rohstoffflüsse in ihre Richtung“.Die Lieferanten des Westens, so Putin, erhielten für ihre Güter „neu gedrucktes Geld“ – doch angesichts des „globalen Inflationssturms fragen sich viele Entwicklungsländer: Warum soll man Dollar und Euro akzeptieren, wenn sie direkt vor unseren Augen an Wert verlieren?“. Infolge dieser Entwertung, prognostizierte Putin, werde in den nächsten Jahren „die Ökonomie der imaginären Werte unausweichlich ersetzt durch eine Ökonomie der realen Werte … Die Reserven werden aus sich abschwächenden Währungen in handfeste Ressourcen wie Agrargüter, Energieträger und Rohstoffe konvertiert“.Schulden machen oder Rezession erleidenPutins Versuch, das Vertrauen in die Weltwährungen zu erschüttern, ist einerseits zum Scheitern verurteilt. Die „Konversion in handfeste Werte“ wird nicht stattfinden. Denn erstens mögen Öl, Gas und Weizen zwar „real“ sein. „Wert“ jedoch haben sie nicht an sich, sondern nur, weil der Westen für sie zahlt, und nur so viel, wie der Westen für sie zahlt. Zweitens sind Rohstoffe eben Waren und kein Geld, also kein universaler Reichtum. Dies sind auf globaler Ebene nur Dollar, Euro, Yen und ein paar andere Währungen. Auch wenn sie derzeit an Wert verlieren, bleiben sie letztgültiger Maßstab des Reichtums, solange sie nicht durch ein anderes Geld ersetzt werden. Und hier ist keine Alternative in Sicht. Insofern träumt Putin nur von einer Schwächung des Westens.Andererseits aber setzt er an einer realen Schwäche an: Der Westen hat über Jahre das Vertrauen in seine Währungen strapaziert, indem er seine Wachstumsschwäche durch neue Schulden kompensierte. Das mag zwar nicht zum Ende der Weltwährungen führen. Aber es zwingt die Zentralbanken dazu, mitten in der Krise die Zinsen massiv zu erhöhen, um das Vertrauen in ihre Währungen zu erhalten. Mit den steigenden Zinsen kommt die Rezession und wird das globale Schuldengebäude wackelig. „Putins Strategie ist klar“, schreibt Alfonso Peccatiello, Autor des Finanznewsletters The Macro Compass: „Hartnäckige Inflation bedeutet höhere Zinssätze und das bedeutet Schmerzen für hyperfinanzialisierte Ökonomien.“ Die westlichen Staaten stehen damit vor der Wahl, zur Milderung der Rezession neue Schulden zu machen und damit das Vertrauen in ihre Währungen zu unterminieren. Oder die Rezession zu erleiden und darauf zu hoffen, dass dadurch die Inflation wieder sinkt.