Sie war braun, kratzte, kostete 2,50 Mark und roch etwas streng. Die Henkel zerfransten nach spätestens einem halben Jahr, und wurden dann liebevoll umhäkelt und mit Leder verstärkt: die Jutetasche aus Bangladesch. 1978 begann sie ihren Siegeszug. Zwei Jahre zuvor war sie in der Schweiz "erfunden" worden, traf dort jedoch auf kaum Resonanz. In Deutschland ist das anders. "Jute statt Plastik" war der Slogan einer ganzen Generation von engagierten Christen bis hin zu politisierten Jugendlichen und Studenten. Der Slogan traf den Nerv der Zeit, die Tasche wurde Symbol gegen die Überfluss- und Wegwerfgesellschaft, der Inbegriff eines neuen Umweltbewusstseins und des Engagements für die Dritte Welt. Gestartet hatten die Kampagne die Kirchen, kirchliche Hilfswerke und die
die GEPA. "Man hat die Ungerechtigkeit an vielen Ecken gespürt, es war klar, dass unser Lebensstil zu Lasten der Dritten Welt geht", erinnert sich Gerd Nickoleit vom Wuppertaler Fairhandelshaus GEPA an das damalige Lebensgefühl. "Es gab so etwas wie eine Aufbruchsstimmung, wir wollten anders leben. Die Jutetasche am Arm war das Zeichen dafür, dass man Teil dieser Bewegung war. Die Frage nach Gerechtigkeit in Verbindung mit Umweltproblemen, das hat die Leute gepackt. Es ging nicht mehr darum, eine Spende für die Armen zu leisten, sondern selber zu handeln, aktiv unseren Lebensstil zu verändern."In den Innenstädten tauschten die Aktionsgruppen Plastiktüten gegen Jutetaschen mit Informationen über den Rohstoffverbrauch bei der Plastiktütenherstellung und die Lebensbedingungen der Frauen in Bangladesch. "Die neuen Taschen waren Kult, gingen weg wie warme Semmel", schwärmt Mitinitiator Heiner Grysar vom katholischen Hilfswerk Misereor. "Die Reaktion hat uns völlig überfahren, wir hatten bei weitem nicht mit so viel Nachfrage gerechnet. Die Frauen in Bangladesch kamen sogar in Produktionsnöte, weil wir so viele gebraucht haben."Insgesamt fünf Millionen Jutetaschen wurden für Deutschland hergestellt. Die Produzentinnen waren etwas verwundert, dass die deutschen Abnehmer partout ungefärbte Jute statt knallbunt gefärbte haben wollten. "Wir hatten die Frauen aus Bangladesch zu unserer Kampagne nach Deutschland eingeladen", so Nickoleit, "und die verstanden überhaupt nicht, warum wir ihre Jutetaschen kauften. Sie waren völlig fasziniert von den hiesigen Plastiktüten und haben sie massenhaft gesammelt, um sie mit nach Hause zu nehmen."Während die Jutetasche in Deutschland dem ökologischen Bewusstseinswandel begleitete, veränderte sie in Bangladesch die gesellschaftliche Stellung der Produzentinnen. Plötzlich verfügten sie über eigenes Einkommen, konnten ihre Familie ernähren und sogar vorsorgen für die Zeit nach dem Juteboom. So setzten sie das Kapital für eigene Kleinunternehmen wie Hühner- oder Fischzuchten ein. Der Jutetaschenboom hielt sich bis weit in die achtziger Jahre und schwappte auf andere Länder über. Auf dem groben Stoff verewigten die unterschiedlichen Bewegungen ihre Forderungen: Von "Jute statt Plastik" über "Südafrika wird schwarz", "Atomkraft Nein Danke", "Nicaragua libre" bis hin zu "Frieden schaffen ohne Waffen". Der alternative, ungefärbte Beutel begleitete die Grünen in den Bundestag und ist mittlerweile sogar im Museum gelandet.Im Stadtbild taucht die Kulttasche der siebziger und achtziger Jahre heute nicht mehr auf, sie wurde abgelöst vom geruchsloseren und strapazierfähigeren Baumwollbeutel. Doch sie wirkt bis heute nach und ist verantwortlich für das schlechte Gewissen an der Supermarktkasse, wenn man doch wieder zu Plastik greift. Und Stein des Anstoßes ist die Plastetüte bis heute: In China soll sie anlässlich der Olympiade verboten werden. Denn für den Tütenkonsum der rund 1,3 Milliarden Chinesen müssen jährlich rund fünf Millionen Tonnen Rohöl raffiniert werden. Australien will sie noch in diesem Jahr aus dem Verkehr ziehen und auch in Bremen wird zurzeit über ein Plastiktütenverbot diskutiert. Angesichts der Plastikteppiche auf den Weltmeeren, der mehr als 100.000 daran sterbenden Meerestiere und der Verknappung der Erdölreserven ist zumindest der zweite Teil des Erfolgsslogans "...statt Plastik" noch immer gültig. In Deutschland werden nach Angaben des Umweltbundesamtes mit 5,3 Milliarden Plastiktüten jährlich sogar mehr hergestellt als noch 1978, statistisch sind das 65 Tüten pro Person. Im Wuppertaler Fairhandelshaus werden auf jeden Fall wieder Jutetaschen in Bangladesch geordert, 5.000 Stück mit dem Aufdruck "Jute statt Plastik", versteht sich.