Bühne Der Texaner Robert Wilson inszeniert „Faust I und II“ am Berliner Ensemble. Herbert Grönemeyer hat Musik komponiert, die darin nichts zu suchen hat
Beruflich hat er eigentlich schon alles durch, der 1941 geborene Mann aus Texas. Gleichwohl stolziert er unverdrossen weiter durch alle Genres und Kunstarten: Schauspiel und Oper, Musical und Pop-Performance, avanciertes Musiktheater, ja selbst vor der Avantgardemusik macht er nicht Halt. Seit über 40 Jahren kredenzt Robert Wilson ein Theater der Überraschungen und Einfälle. Dass derweilen einige seiner Theatermittel schon etwas in die Jahre gekommen sind, ist wiederholt festgestellt worden.
Tatsächlich scheint manches abgenutzt. Etwa die Balanceakte auf Hochrädern, Stelzen und Drahtseilen oder die Bilderrahmen mit Szenen darin, die Rembrandt oder Rafael gemalt haben könnte. Häufig gleichen sich die Leere der Räume und die Raster bewegter Marionetten
rionetten und Scherenschnitte. Wilson repetiert das interesselose Wohlgefallen an der Form und der menschlichen Gestalt nicht nur, er hat es längst zur Tugend erhoben. Denn seine Ästhetik ist absichtslos. Robert Wilson ist kein Rebell, er ist ein Ästhet, der den Niederungen der Kunst durchaus zuneigt.Gleichwohl: Unstillbar scheint die Fantasie dieses hochgebildeten, fantasievollen Künstlers. Wilson fasst an, was ihm schmeckt und seinen Theaterbilderhunger stillt. Musik ist durchaus ein Vorzugsgebiet. Claude Debussys Pelleas et Melisande und die Oper Einstein On The Beach mit der infantilen Musik von Philip Glass hat er gemacht, selbst Luigi Nonos schwieriges Spätwerk Prometeo mit seinen extremen Klangreduzierungen und -dehnungen. Der Regisseur liebt den Kontrast. Für das Hebbeltheater inszenierte er Gertrude Steins Saints and Singing als Operette. In den Bilderrahmen eines Abendmahls gesetzt, sterben darin 13 frische, reformatorisch gestimmte, opulent gewandete Figuren, jede mit einem Kelch Wein in der Hand, den Gifttod.Shakespeares Wintermärchen, Büchners Dantons Tod und Leonce und Lena, Brechts Lindberghflug und Die Dreigroschenoper indes brachte Robert Wilson die Jahre über auf die Bühne von Claus Peymanns Berliner Ensemble. Faust I und II nun nach Goethe ist jetzt der vorläufige Höhepunkt seiner Arbeit an diesem Haus.Singegruppen-KitschEs ist ein so erstaunliches wie befremdliches Projekt. Erstaunlich vor allem wegen der gebotenen schauspielerischen Leistungen, befremdlich, weil die meiste Musik die Szenen eher stört, als dass sie diese bereichern würde. Herbert Grönemeyer hat eine Performance aus Rock, Folklore und Singegruppen-Kitsch geschaffen. Musik, die, nimmt man einige Wendungen mit Cello, Konzertgitarre und dergleichen Instrumenten aus, darin eigentlich nichts zu suchen hat. Robert Wilson indes, offen für alle Musik, scheint damit zufrieden gewesen zu sein.Konsequent hingegen, auch neu, ist sein Umgang mit den gewählten Texten des Faust. Goetheverse, klar artikuliert, genießen wider Erwarten den Vorrang. Inhalte bestimmen – keineswegs selbstverständlich – Struktur und Logik der Aufführung. Daneben darf Wilsons Welt der Marionetten und Pantomimen, der Masken und magischen Tänze ihr Wesen treiben. Ein Herangehen, das Respekt abnötigt. Sprechtalente sind bei diesem Faust gefragt, obenan steht Textverständlichkeit, was paradoxerweise Verfremdungen notwendig einschließt. Die Sphäre der Hexen und Geister, die Szenen im Himmel schreien förmlich nach sprecherischer Ungestalt. Groß ist die Eröffnung durch Faust (Fabian Stromberger). Dunkel, gebeugt, geschunden wirkt die sprechende Gestalt, die in Zeitlupe und sonorem Tonfall nach vorn tritt, während Mephisto zwischendrin ein Roboterspielzeug gackern lässt. Es überrascht, wie hier aus dem einzelnen Faust im Handumdrehen vier werden. Teils kommen ihre Stimmen wie im Hörspiel quadrophon von allen Seiten. Margarete und Gretchen erscheinen verdreifacht und wirken bisweilen wie bleiche, krähende Lemuren. Allerorten regiert die Fratze, die Grimasse. Wilson probiert auch technisch die sonderbarsten Möglichkeiten durch. Ein ganzer Stab hilft ihm dabei. Der optisch-akustische Aufwand, die Fantasien dieses dreieinhalbstündigen Faust-Projekts umzusetzen, ist enorm.Wie so oft ist weniger Faust, sondern der widerstreitende Mephisto die Seele, die den Zuschauer packt. Christopher Nell gibt ihn famos. Seine Mobilität liefert dem Ganzen Schliff und Glanz. Eine Figur, die unentwegt dort ist, wo man sie nicht vermutet, deren Zunge nie stillsteht, deren Augen und Finger flink sind wie die Augen und Krallen der klugen Ratten in den Kellernischen, eine Figur, die kein Gerüst kennt, das zu erklimmen zu gefährlich wäre. Auch artistisch eine große Leistung. Die Helena-Paris-Kaiser-Szene in Teil II gehört zu den verbogensten der Inszenierung. Jedem, der sie sieht, dürfte die Geldgier von heute erst recht als etwa erscheinen, das nur Hohn verdient. Die Krone wittert noch mehr Reichtum, und der bunt betuchte Rest läuft mit. Alle Bewegung ist eckig. Hier wird – unabsichtlich – Wilson politisch. Hier stellt er sich zu sich selbst quer, was der Sache gut zu Gesicht steht.Placeholder infobox-1
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