Quer durch den Orangenhain

Spielfilm „Der Kuckuck und der Esel“ will das deutsche Kino mit Gewalt verbessern, stürzt dabei aber selbst ab
Ausgabe 36/2015

„Wird schon werden, mit Herrn Halmer”, sagt Conrad Weitzmann (Thilo Prothmann), braune Lederjacke, gescheitelte Haare, halbwilder Bart. Weitzmann hat Jahre an einem Drehbuch gesessen, hat öffentlich-rechtliche Sender belagert, die Mails im Ordner abgeheftet. Jetzt sitzt er in der ausgebauten Datsche am See, den kampfeslustigen Vater und die adipöse Schwester zur Seite. Auch die stumme Großmutter in der Ecke macht irgendwie mit – bei der Entführung des Fernsehredakteurs Stuckradt Halmer (Jan Henrik Stahlberg), zuständig für Kinokoproduktionen, der hier in den Keller gesperrt wird. So soll es werden mit Halmer und dem Drehbuch zu Weitzmanns Debütfilm mit dem Titel Der Orangenhain.

Der Gedanke, den Redakteur einer öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt zu entführen, damit die Arbeit vorangehe, ist einsichtig. Hierzulande entsteht kein Kinofilm (eine Ausnahme: dieser) ohne Mitsprache festangestellter Fernsehredakteure. Andreas Arnstedts zweiter Spielfilm Der Kuckuck und der Esel verlängert also den Verdacht, dass durch die Ängste, Ahnungslosigkeit und Machtbeweise der Redakteure die Qualität des deutschen Kinos leidet, auf die Leinwand.

Arnstedt hat vermutlich Erfahrung. Der Umstand etwa, dass Stuckradt Halmer im Drehbuch statt des Westjordanlandes gleich mal „den von Israel besetzten Gazastreifen“ lesen will, auch weil Streifen „so schön eng“ klingt, klingt vollkommen plausibel nach Redakteurseinwand. Ob Gaza nun besetzt ist oder nicht – die Liebesgeschichte auf der Titanic ist ja auch ersonnen.

Im Ansatz interessant, geht es mit Der Kuckuck und der Esel rasch bergab. Arnstedt verfrachtet sein Personal in ein Setting, das nach Staffage aussieht und auf Kuriosität setzt. Vater Ephraim hat ein Konzentrationslager überlebt, für die israelische Armee gekämpft, später ist er noch desertiert. Sein seelischer Schaden siedelt in Witzigkeit. Die Schwester hatte es mit Halmers Schmachtserie Schneeflocken auf Sylt, sie ist der körpergewordene Couchabend mit Chips und Glotze.

Unterdessen stellt die Oma in der Weitzmann-Datsche aus der Ecke mal ein Bein, die Wände sind mit Billigholz getäfelt, es gibt Wurst, die Knüppel heißt. Der Kleinbürger als Kaleidoskop: Jagdtrophäen, Wachstischtücher, Gartenmöbel am Retro-Saum – ziemlich bunt hier und von allem etwas viel. Wo bei Arnstedt, der als Schauspieler angefangen hat (unter anderem Gute Zeiten, schlechte Zeiten und Küstenwache), Kino draufsteht, ist viel Fernsehen drin. Die Kritik am System weist in die harmlose Welt des öffentlich-rechtlichen Abendprogramms.

Aus den Figuren erwachsen weitere Probleme. Müsste Weitzmann nicht ein verschrobenes Genie sein, das unerkannt eine einfühlsame Liebesgeschichte im Westjordanland erdacht und dramatische Strukturen entwickelt hat, die hochpolitisch sind? Die fiktive Orangenhain-Idee klingt eher so, als könnte die ARD-Filmeinkaufsorganisation Degeto den Film problemlos produzieren. Kein Wunder, dass Halmer dadurch auf sein Lieblingswort „ambivalent“ kommt, sein „Steckenpferd“.

Genau an den Stellen, an denen Arnstedt seinen Redakteur auf den Arm nehmen will, gräbt er an der Grube, in die sein Film selbst stürzt. Der Ausgangsgedanke verläppert sich, weil der Film die Putzigkeit der Weitzmann-Welt der Kritik vorzieht, das Komödiantische dem Konflikt. Die Charaktere sind flach, fast immer schimmert durch sie das Konstrukt, das sie sind, ihre Funktion. Die Schrägheit wirkt dick aufgetragen, wie Sahne auf dem Sonntagskuchen. Und wo Der Kuckuck und der Esel an Spannung verliert, dudelt zuverlässig ein giorafeidmanesker Soundtrack, damit man nicht vergisst, dass es melancholisch, heiter oder gar jüdisch zugeht. – Wird so nicht. Auch nicht mit Herrn Halmer.

Info

Der Kuckuck und der Esel Andreas Arnstedt Deutschland 2014, 95 Minuten

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