Ratzingers Hoffnung

Hoffnung und Nächstenliebe Mit seiner Enzyklika "Spe salvi" unterschlägt der Papst, an welchen Widerständen die Hoffnung der Menschen tatsächlich scheitert

Laut Internetrecherche ist der Song Give me hope mit der ausdrücklichen Absicht geschrieben worden, das Geldsammeln für eine wohltätige Stiftung, eine Charity, zu erleichtern. In dieser Anekdote liegt der Zusammenhang von Hoffnung und Nächstenliebe, von spes und caritas, unbestreitbar auf der Hand. Die große Frage ist aber, ob sich dieser Zusammenhang universalisieren und radikalisieren lässt, so wie dies Joseph Ratzinger als Benedikt XVI. in seiner am 30. November veröffentlichten Enzyklika Spe salvi - durch Hoffnung gerettet - behauptet.

Diese Frage hat zwei besonders problematische Elemente: eine scholastische Unterscheidung, nämlich die zwischen Liebe überhaupt (amor, philia) und Nächstenliebe (caritas, agape), und eine geradezu konstruktivistische Komplexitätsreduktion, der gemäß Hoffnung allein auf der Liebe zum fleischgewordenen Gott, also Jesus Christus, gründen könne.

Gemäß dem einschlägig kompetenten Erzbischof Bruno Forti geht es in dieser Enzyklika um "eine Erinnerung daran, dass für den Christen die Hoffnung kein ›Etwas‹ ist, das heißt kein in die Zukunft gerichteter Wunsch (Ich bleibe gesund), sondern ein ›Jemand‹, auf den ich alle Sorgen werfen kann: Jesus Christus, das Fleisch gewordene Wort." Eine Rückkehr zur christlichen Hoffnung gebe dem Leben des Einzelnen und der Geschichte der Menschheit neuen Sinn und sei deshalb eine konkrete Form der Liebe zu unserer Zeit.

In dieser Diagnose wird die heutige Krise der Menschheit auf den Verlust "christlicher Hoffnung" zurückgeführt. Das ist - trotz der starken Position der römisch-katholischen Kirche als Weltreligion - einfach anmaßend: Die allermeisten Menschen haben diese christliche Hoffnung noch nie gehegt, können sie also auch nicht "verloren" haben. Und warum sollte ihre "Liebe zu unserer Zeit", sofern sie angesichts der sich türmenden Probleme überhaupt noch die Kraft dafür aufbringen, eine vor der gewöhnlichen Liebe ausgezeichnete (christliche) "Nächstenliebe" sein - deren besondere Grundlage der christliche Gott in seiner Fleisch gewordenen Gestalt ist?

In dieser Anmaßung steckt zum einen, als ein so weit berechtigtes Moment, dass Hoffnung in der Tat nicht allein "auf Sachen" bezogen werden kann, wie es schon Ernst Bloch beredt ausgeführt hat, sondern immer auch auf handelnde Personen bezogen ist; zum anderen aber, dass diese Suche nach Gründen der Hoffnung gleichsam kurz geschlossen wird auf den besonderen Gegenstand der Heilsverkündung der Kirche, "das Fleisch gewordene Wort". Müssen wir nicht zumindest auch eigenständig nach tragfähigen Gründen der Hoffnung im Umgang mit uns selbst und im Zusammenhandeln mit anderen suchen? Sicher ist es dringend, sich "Hoffnung zu geben", aber müssen wir Menschen dies nicht eben doch "selber tun", auch die römisch-katholischen unter uns, indem handelnde Menschen sich gemeinsam und wechselseitig Grund zu der Hoffnung geben, "es schaffen zu können"?

Der von der Enzyklika nahegelegte Übersprung in der Suche nach Hoffnung läuft aber nicht nur Gefahr, die anderen Menschen zu überspringen, mit denen zusammen wir uns als Menschen allein "Hoffnung geben" können. Dieser Übersprung dient auch als Motiv, um alle Analysen zur Lage unserer modernen Zivilisation beiseite zu wischen, die - von Bacon bis zu Marx - untersucht haben, an welchen menschengeschaffenen Widersprüchen zu arbeiten sein wird, damit menschliche Hoffnung tragfähige Grundlagen findet. Es mag eine docta spes, eine auf Gelehrsamkeit gestützte Hoffnung, sein, was sie dem modernen Leser zu bieten hat. Eine aufgeklärte Hoffung ist es nicht.

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Geschrieben von

Frieder Otto Wolf

Ich lehre als Honorarprofessor Philosophie an der Freien Universität Berlin, bin Mitinitiator des Forums Neue Politik der Arbeit und Humanist.

Frieder Otto Wolf

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