Unmittelbar nach dem 11. September - gerade wurden islamistische Extremisten für die Terroranschläge in den USA verantwortlich gemacht - erhob Barbara John ihre Stimme. Die Berliner Ausländerbeauftragte warnte als erste deutsche Politikerin davor, Moslems unter Generalverdacht zu nehmen. "Wir dürfen uns nicht von dem Gift infizieren lassen, andere Menschen wegen einer bestimmten Religion oder Nationalität auszugrenzen", erklärte die CDU-Politikerin. Bei Berliner Vereinen seien bereits Anrufe eingegangen, "in denen Moslems beschimpft wurden".
Barbara John ist Deutschlands dienstälteste Ausländerbeauftragte. Am 5. Dezember beging sie ihr 20jähriges Dienstjubiläum. Die 63jährige CDU-Politikerin hätte auch unter einer Ampel-Regierung w
egierung weitergemacht. "Solange ich mein Geld selbst verdienen kann, werde ich doch nicht der Allgemeinheit auf der Tasche liegen. Da bleibe ich ganz konservativ", wies sie Gerüchte zurück, sie wolle das Dienstjubiläum für einen inszenierten Rücktritt nutzen wie einst Hans Dietrich Genscher. "Ich bin doch nicht der deutsche Außenminister!" Und sie fügte hinzu, dass sie in 20 Dienstjahren nicht einen Tag krank gewesen sei. "Das ist mein Verständnis von Konservatismus."Als John im Dezember 1981 durch Richard von Weizsäcker in das Amt berufen wurde, war sie die erste Ausländerbeauftragte, die sich ein Bundesland leistete. Es war eine Zeit des Neuanfangs der Satellitenstadt Berlin; ein mentaler Wechsel von der Provinzialität zur Weltstadt sollte stattfinden. Die Lehrerin für Deutsch als Zweitsprache stand für die Weltläufigkeit, die es damals in der Stadt schon gab. Für John hatte auch gesprochen, dass sie zuvor jahrelang Bezirksverordnete in Kreuzberg gewesen und damit in der Landes-CDU verankert war. Die rot-grüne Koalition, die 1989/90 kurzzeitig die Stadt regierte, ließ die streitbare CDU-Politikerin im Amt. Auch jüngst von Seiten der Ampel-Verhandlungspartner gab es kaum Signale, die Ausländerbeauftragte mit eigenem Personal besetzen zu wollen. Und das sicher nicht nur, weil auf Landesebene in den Reihen der SPD, der Bündnisgrünen und der FDP nur wenige sich in diesem unbequemen Politikfeld, auf dem jahrelang die CDU die Themen setzte und die anderen Parteien sich auf Schadensbegrenzung beschränkten, einen Namen gemacht haben. Nur 1997 musste John um ihr Amt fürchten: Das Büro der Ausländerbeauftragten war auf einer internen Streichliste ihrer eigenen Partei aufgetaucht.Als Barbara John im Frühsommer vor einem sozialen Abstieg der türkischen Berliner warnte und deren noch fehlende Integrationsbereitschaft anmahnte, löste sie kontroverse Diskussionen aus. Die türkische Gemeinschaft wies die Schuldzuweisung zurück und war entsetzt, dass solche Töne gerade von einer Frau kamen, die sich immer um Sachlichkeit und Sachkenntnis bemüht hatte. In Johns eigener Partei waren die Reaktionen weniger heftig. Jeder zweite männliche Arbeitslose in Berlin, stützte die Ausländerbeauftragte ihre These, sei türkischer Herkunft.Auch wenn der Vorwurf fehlender Integrationsbereitschaft sicher verkürzt ist - er verschiebt die Ursachen von einer jahrelangen Ausgrenzungspolitik hin zur subjektiven Schuld der Betroffenen -, hat er einen rationalen Kern. Dass John sozialen Sprengstoff oft eher erkennt als andere Politiker, liegt sicher an der Struktur ihres Büros. Die rund 40 Mitarbeiter haben viermal in der Woche Sprechtag. Lange bevor das Büro öffnet, drängen sich im Treppenhaus der Potsdamer Straße Nr. 65 Menschen, die Hilfe suchen. Da kommen türkische Fußballspielerinnen, denen die Eltern das Hobby verbieten wollen, weil in der Zeitung gestanden hat, sie kickten "gegen die Eltern und gegen den Islam". Da kommt ein indischer Gastronom, der sein Aufenthaltsrecht verlieren könnte, weil das Restaurant schlecht läuft und er seine Familie von den Einnahmen nicht mehr ernähren kann. Auch Deutsche haben sich schon an Johns Büro gewandt, etwa wenn sie ein ausländisches Kind adoptieren wollten und die Behörden nicht mitspielten. Oder britische Diplomaten, weil Geschäftsreisende von Berliner Polizisten misshandelt wurden. Durch ihre Mitarbeiter erfährt Barbara John von solchen Problemen eher als viele andere Politiker. "Manchmal komme ich mir vor wie ein Stadt-Maulwurf, der sich in Räumen und Gängen bewegt, die für andere nicht zu existieren scheinen", resümiert die 63jährige pragmatische Frau ihre langjährige Tätigkeit.Barbara John ist über die Parteigrenzen hinweg geachtet. Kritisiert wird sie vom Berliner Flüchtlingsrat. "Wir hätten uns von ihr mehr Protest gegen das Asylbewerberleistungsgesetz gewünscht, das dazu führt, dass Flüchtlinge ohne Bargeld in Massenunterkünften zusammengepfercht werden", so Rita Kantemir vom Rat. "Auch die Kämpfe um eine Altfallregelung für langjährig hier lebende abgelehnte Asylbewerber oder dafür, dass jugendliche Flüchtlinge eine Ausbildungserlaubnis erhalten, haben wir und nicht Frau John ausgetragen." Die PDS-Flüchtlingspolitikerin Karin Hopfmann formuliert es weniger hart: "Ich halte Frau John für eine engagierte Politikerin, die sich gegen Diskriminierungen von Migranten stark macht. Ihren politischen Ansatz bei der Rückführung von Flüchtlingen, etwa aus Bosnien, teile ich aber nicht." Hinter den politischen Kulissen wird ein Neuzuschnitt ihres Amtes diskutiert. Viele von Johns Amtskollegen nennen sich längst "Beauftragte für Migration" oder "für Integration". Sie dehnen ihre Zuständigkeit von Ausländern auf deutschstämmige Spätaussiedler aus. Gerade in der CDU gibt es Widerstände, beide Gruppen zusammenzulegen. John teilt diese nicht. "Immer mehr Spätaussiedler bringen nichtdeutsche Partner mit. Beide Gruppen vermischen sich doch und haben ähnliche Integrationsprobleme." Aber über den Zuschnitt ihres Ressorts könne sie nicht entscheiden, das sei Sache der künftigen Koalition, betont sie. "An mir soll es nicht liegen."Seit Mai bekleidet Barbara John ehrenamtlich eine Professur für Ethnologie an der Humboldt-Universität. Sie will bei Studenten Neugier auf eine multikulturelle Stadt wecken. "Natürlich habe ich auch ohne die Professur genug zu tun, aber die Humboldt-Uni hat mich gefragt", sagt sie. Und: Sie könne sich vorstellen, jedes Amt abzulehnen, nur nicht eine Professur.