Raus aus dem Energiecharta-Vertrag!

Gastbeitrag Das Beispiel RWE zeigt, wie Konzerne mit internationalen Klagen versuchen, Klimamaßnahmen zu torpedieren, um Milliarden an Entschädigungen zu erhalten
Das RWE-Kraftwerk Eemshaven
Das RWE-Kraftwerk Eemshaven

Foto: Imago/Jochen Tack

Die Niederlande haben Ende 2019 ein Gesetz verabschiedet, welches die Verbrennung von Kohle ab 2030 verbietet. Nun zerrt der deutsche Energiekonzern RWE das Land vor ein internationales Schiedsgericht und fordert 1,4 Milliarden Euro Entschädigung, weil das RWE-Kraftwerk Eemshaven von dem Gesetz betroffen ist. Grundlage für die Klage ist der umstrittene Energiecharta-Vertrag, der es ausländischen Unternehmen einfach macht, die Kosten für Klimamaßnahmen in exorbitante Höhen zu jagen.

Dabei schickt RWE seit geraumer Zeit eine Werbekampagne nach der anderen ins Rennen, um der Öffentlichkeit einzuimpfen, dass die „NeueRWE“ grün und erneuerbar sei und der Konzern sein altes Image als größter Klimakiller Europas hinter sich gelassen habe. Bisheriger Höhepunkt war die geradezu groteske Behauptung, der Konzern verfolge wissenschaftlich fundierte Klimaziele, die im Einklang mit dem Pariser Klimaschutzabkommen stünden.

In Deutschland steigt RWE erst 2038 und nicht spätestens 2030 aus der Kohleverstromung aus – für das Erreichen der Pariser Klimaziele mindestens acht Jahre zu spät. Ebenso wie in Deutschland musste auch in den Niederlanden erst ein Gesetz erlassen werden, um RWE überhaupt zum Kohleausstieg zu bewegen. Aus freien Stücken hätte RWE sein 1.560 MW-Kraftwerk Eemshaven nicht spätestens 2030 abgeschaltet, um im Einklang mit den Pariser Klimazielen zu agieren. Dafür lieferte der Konzern diese Woche mit seiner Klage gegen die Niederlande den endgültigen Beweis.

RWE entschied sich bewusst dafür, nicht vor ein niederländisches Gericht zu ziehen, sondern die Möglichkeiten des umstrittenen Energiecharta-Vertrages auszunutzen, da das Unternehmen dort mit deutlich höheren Entschädigungssummen rechnen kann. Auf unverschämte 1,4 Milliarden beläuft sich nach Angaben niederländischer Medien die geforderte Entschädigungssumme. Nur zum Vergleich: Bei den im November 2020 erfolgten Auktionen erhielt RWE für die Steinkohlekraftwerke Hamm und Ibbenbüren, die über eine vergleichbare Kapazität wie Eemshaven verfügen, 216 Millionen Euro für die sofortige Stilllegung. Aber aufgrund der absurden ECT-Schiedsgerichtsverfahren darf sich RWE wohl berechtigte Hoffnungen auf eine zehnstellige Entschädigungssumme machen.

Die Allgemeinheit darf zahlen

Auch in Deutschland ist noch mit ähnlichen Klagen zu rechnen. Der öffentliche-rechtliche Vertrag der Bundesregierung mit RWE und den anderen Braunkohle-Unternehmen enthält zwar eine Verzichtsklausel, die verhindern soll, dass Unternehmen den Energiecharta-Vertrag für Entschädigungsklagen nutzen, aber laut der NGO Client Earth ist diese nicht wasserdicht. Insbesondere Aktionäre seien nicht an die Verzichtsklausel gebunden, weshalb die Möglichkeit bestehe, dass ausländische Aktionäre Schiedsgerichtsverfahren einleiten können. Des Weiteren sei ungewiss, ob Investitions-Schiedsgerichte die Verzichtsklausel berücksichtigen und sich für unzuständig erklären würden.

Am Beispiel RWE wird deutlich, welch beispiellose Klagewelle ins Haus stehen könnte in den nächsten Jahren. Das toxische Gemisch aus fossilen Fehlinvestitionen, Kapitalinteressen und grotesken Energiecharta-Klagemöglichkeiten vor intransparenten Schiedsgerichten schränkt den politischen Handlungsspielraum für echte Klimamaßnahmen massiv ein, weil diese dann nur noch zu exorbitanten Kosten möglich sein werden. Viele Regierungen werden sich dreimal überlegen, ob sie wirkungsvolle Klimaschutzgesetze erlassen wollen, wenn sie zum Dank Milliarden-Entschädigungen für fossile Investitionsruinen bezahlen müssen. In Europa mehren sich die Stimmen, die einen Ausstieg aus dem Energiecharta-Vertrag fordern. Die Bundesregierung muss sich diese Position zu eigen machen und aus einem Vertrag aussteigen, der eine reale Bedrohung für eine klimagerechte Politik und unsere Demokratie darstellt.

Und RWE? Der Konzern sollte endlich aufhören, der Öffentlichkeit Sand in die Augen zu streuen. Das Unternehmen kassierte seit 2017 dreistellige Millionensummen für die „Sicherheitsbereitschaft“ uralter Braunkohleblöcke, Entschädigungen von 2,6 Milliarden Euro für den viel zu späten Braunkohleausstieg 2038, 216 Millionen für unrentable Steinkohle-Kraftwerke und möglicherweise bis zu 1,4 Milliarden Euro für Eemshaven. Alles auf Kosten der Allgemeinheit. Gleichzeitig setzt RWE die Zwangsumsiedlung mehrerer Dörfer am Tagebau Garzweiler fort, als gäbe es keinen Kohleausstieg und keine Klimakrise. Erst vor wenigen Tagen schaffte der Konzern in Lützerath mit der Zerstörung von Häusern Fakten, trotz eines laufenden Gerichtsverfahrens zum Verbleib des Dorfes.

Es gehört schon eine gehörige Portion Dreistigkeit dazu, dies der Öffentlichkeit als Strategie verkaufen zu wollen, die im Einklang mit den Pariser Klimazielen sei. Weder dürfen wir uns von RWE einlullen noch die Politik aus der Verantwortung lassen. Es ist an der Zeit, das kurzfristige Profitinteressen fossiler Konzerne endlich weniger wichtig genommen werden als das Wohlergehen der Menschen.

Sebastian Rötters ist Kohle- und Energie-Campaigner der Organisation urgewald

Kathrin Henneberger ist eine Energie- und Klimapolitikerin aus dem rheinländischen Braunkohlerevier

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