Raus aus der Reserve

Musik-Kolumne In diesem Sommer stürmen die Frauen das Feld: nicht nur bei der Fußball-WM, auch in Funk und Fernsehen sitzen Musikerinnen nicht länger auf der Bank

Soso, jetzt ist es also soweit: Frauen-Fußball-WM.

Was ich mir dazu in den vergangenen Wochen an Hochglanzvermarktung und Klischee-Mantren antun musste, verdient keiner weiteren Erwähnung. Außer als Kreuzchen beim Bullshit-Bingo.
Aber hier geht es ja um Musik und der WM-Sommer motiviert bisweilen auch zur positiven Auseinandersetzung mit weiblichen Leistungen. Die Journalistin Pinky Rose forderte in ihrer Radiosendung „Stunk und Schmu“ vergangene Woche neue Geschlechtervorbilder – sogar mit Ausrufezeichen. Im Infotext zur Sendung hieß es:
Zart oder hart, darauf wollen sich die WM-Fußballerinnen nicht länger herunterbrechen lassen - genau wie immer mehr junge Musikerinnen. Ob Ada das Image der strengen Beats mit Gesang auf "zarten Pfoten" durchbricht, oder umgekehrt Sängerinnen mit lieblichen Stimmen und ebensolchem Aussehen sich mit bitteren Texten gegen die Engelsschublade wehren, das Feld der Rollenklischees wird von beiden Seiten aufgerollt.

Klingt wie ein bossa-nova-geschwängerter Sommercocktail oder wie Testspiel.de schrieb, „wunderbar verträumt und versponnen“. Aber die Boom Clap Bachelors kommen weder aus Brasilien noch aus dem Lummerland, sondern aus Dänemark. Das Produzenten- und DJ-Kollektiv besetzt die weibliche Stimme ihrer Songs gerne mit wechselnden Sängerinnen, unter anderem mit der nicht ganz unbekannten Lykke Li. Die Schwedin hat Anfang des Jahres ihr zweites Album veröffentlicht und wer die Musikerin als süße Kleinmädchenstimme von Songs wie „Dance, Dance. Dance“ oder „Little Bit“ kannte, war von „Wounded Ryhmes“ wohl erst mal enttäuscht. Denn dort schwingt Lykke Li sich erfolgreich zur grollenden Voodoo-Göttin auf, mit donnernden Percussions und dunstigen Gesangsspuren.

Über Lykke Li sagt auch Pinky Rose, „klingt lieb, ist aber nicht lieb gemeint“.

Und ja, bitte nicht immer vom äußeren Erscheinungsbild auf das Innenleben schließen oder auch, anders herum gedacht, das Recht zu haben, zart und lieblich Musik zu machen, ohne Klischees bedienen zu wollen sondern schlicht aus der Überzeugung für diese Art von Musik.

Auch Klaus Walter stellte seine Sendung „Was ist Musik“ am gestrigen Sonntag in den Dienste der Women’s Power, genauer unter das Motto „Von Girls, Maids und Mädchen“. Die Tatsache, „dass mir ständig Mädchen unterkommen, in denen eigentlich Frauen stecken“, nennt Walter als Anlass der Sendung. Platz hatten dort die Dum Dum Girls, genauso wie The Slits, Santigold oder die Begründerinnen des Riot Girl Movement Bikini Kill. Deren Sängerin Kathleen Hannah äußerte sich neulich erst despektierlich über das feministische Potential junger Musikerinnen wie Katy Perry oder Ke$ha.
Gleichzeitig reanimiert Hannah ihre Soloprojekt Julie Ruin, mit dem sie 1997 eine Auszeit von Bikini Kill nahm. Deshalb gab es bei Klaus Walter auch diesen Song zu hören

Übrigens, wer das hier rechtzeitig liest, kann sich die Sendung am Dienstag, den 28. und Mittwoch den 29. morgens um 11 bzw. 8 Uhr in der Wiederholung anhören.

Und last but not least. Den Sommer der Frauen macht sich auch arte zu nutze: Unter „Summer of Girls“ laufen ab dem 1. Juli jeweils am Dienstagabend Reminiszenzen an die weiblichen Ikonen der vergangenen 50 Jahre – aus Musik und Film und überhaupt der gesammelten Popkultur. Moderiert werden die Folgen von Wir-Sind-Helden-Mitglied Judith Holofernes. Na, das klingt doch nach einem Schmankerl. Quasi als Trailer interpretiert Eliza Doolittle den Song einer der einflussreichsten Popmusikerinnen überhaupt:

Bis auf die küssenden römischen Legionäre im Video ist der Song nicht ganz mein Fall, aber ich bin gespannt, was uns arte da sonst noch so präsentieren wird. Auch wenn ich mich frage, ob es dann nächstes Jahr einen „Summer of Boys“ geben wird, oder ob man den Herren einen „Summer of Men“ zugestehen wird. Aber solange es die Fußball-WM der Frauen bleibt und nicht die der Mädchen sieht doch alles rosig, äh goldig aus.

Verena Reygers, Jg. 1976, bloggt auf und schreibt als freie Journalistin über Bands, Konzerte und neue Platten. Sie findet, Mädchen sollten wild und gefährlich leben, solange sie stets ein buntes Pflaster in der Tasche haben. Auf freitag.de schreibt sie in einer zweiwöchentlichen Kolumne über Frauen und Musik. Zuletzt: "Trennungskummer Phase 1-5"

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