Re-Import

Antisemitismus und Islamismus Viele Jugendliche haben ein offenes Ohr für Vorurteile

In Berliner Kiezschulen oder Jugendclubs wird "Du Jude" gelegentlich als Schimpfwort gebraucht. Juden seien die Feinde der Muslime, behaupten insbesondere Jugendliche aus Familien islamischer Herkunftsländer. Auf der Suche nach der Ursache solcher Feindseligkeiten stößt man auf Medien wie den Satellitensender Al-Manar, die antisemitische Vorurteile verbreiten, die von Jugendlichen mit Migrationshintergrund oft aber als "ihre Quellen" betrachtet werden, die ihnen glaubwürdiger erscheinen als deutsche.

Mit dem Zusammenhang von radikalem Islamismus und Antisemitismus beschäftigten sich vergangene Woche ein Dutzend Referenten, die das Zentrum für Antisemitismusforschung (ZfA) zu einer Tagung geladen hatte. Kennzeichnend für den modernen Antisemitismus ist die Vorstellung, dass Juden die Weltherrschaft anstrebten und Israel zu diesem Zwecke nur als Pseudostaat benutzten. Der Nahostkonflikt dient dabei als Folie, die es ermöglicht, latent vorhandene antisemitische Vorurteile wieder offen auszusprechen und einer nicht unbeträchtlichen Anzahl von Jugendlichen in den europäischen Zuwanderergesellschaften ein Ventil bereitstellt.

Die Tagungsteilnehmer stimmten weitgehend darin überein, dass die arabische Welt keinen originären Antisemitismus kenne. Die judenfeindlichen Stellen im Koran liefern kaum eine Vorlage für strukturellen Antisemitismus, stattdessen zeigt die Geschichte eher, dass das in der arabischen Welt kursierende antisemitische Gedankengut aus Europa importiert worden ist. Der Islamismus wiederum ist nicht religiös begründet, sondern politisch, er bedient sich aber religiöser Bilder, um die politischen Ziele zu transportieren. Den Beginn des islamistischen Antisemitismus datierte der Orientalist und Politikwissenschaftler Bassam Tibi auf das Jahr 1928 mit der Gründung der Muslimbruderschaft in Kairo. Dabei unterscheidet er den politisch-institutionellen Islamismus vom djihadistischen, wie er sich im Terrorismus äußert. Den Islamismus prägten seit den siebziger Jahren vor allem nationalistische und islamistische Kräfte im Iran, die bis heute massiv mit einem jüdischen Feindbild operieren. Diese beeinflussten auch den Nahostkonflikt, der erst seit dieser Zeit "islamisiert" wurde.

Dem Feindbild der Juden steht das "Kollektiv der Unterdrückten" gegenüber, mit dem sich hierzulande viele Araber und Muslime solidarisieren. Sie treten damit in eine Opferkonkurrenz mit den Juden, die Jochen Müller vom Forschungsinstitut Memri analysierte. Dieser Opferdiskurs ist mit antisemitischen Ressentiments eng verwoben, sodass man von einem Re-Import des Antisemitismus sprechen könnte.

Der Journalist Ahmed Senyurt, selbst türkischer Abstammung, hält Jugendliche der dritten Generation für extrem anfällig für derlei Stereotype. Er sprach von einer "Dialogindustrie", die die Opferdiskurse perpetuiere und sich davor scheue, unangenehme Fragen zu stellen. Dagegen forderte Senyurt, sich öffentlich und ohne falsche Rücksichten mit Organisationen wie Milli Görüs auseinandersetzen. Milli Görüs ist mit 26.000 Mitgliedern die größte islamistische Gruppierung in Deutschland. Sie wird vom Verfassungsschutz beobachtet, auch wenn sie sich seit einigen Jahren als demokratisch und integrationsorientiert präsentiert.

Die Debatte rührte immer wieder an grundsätzlichen Fragen: Wo verlaufen die Grenzen einer toleranten Demokratie? Welche Werte halten unsere Gesellschaft zusammen? Wie bedrohlich sind Parallelgesellschaften? Haben wir einen falschen, romantisierten Begriff von Multikultur, der die Augen davor verschließt, dass auch Migranten antisemitische Ressentiments pflegen?

Zu diesem Thema veranstaltet die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (KIGA) Workshops mit Schülern und Jugendlichen. Ihr Mitarbeiter Günther Jikeli erklärt, dass die erwähnte Opferkonkurrenz häufig die Identifizierung mit der palästinensischen Sache einschließe, ohne dass Jugendliche viel Sachkenntnis über den Nahostkonflikt hätten. Diese Identifikation gehe manchmal so weit, dass Jugendliche positiven Bezug auf die aktuell in Israel stattfindenden Selbstmordattentate nehmen. Einzelne phantasierten sich schon einmal in die Rolle der Selbstmordattentäter. Allerdings sind die Einstellungen der Jugendlichen noch keineswegs so gefestigt, dass hier nicht Aufklärung zu leisten wäre. Jikali machte bei den Rollenspielen während der Workshops auch positive Erfahrungen: "Wenn ihre Masken fallen, sind sie offen für eine Diskussion."


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Geschrieben von

Connie Uschtrin

Redakteurin Politik

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