Der Rest ist Schweigen: Hans-Joachim Watzke (links) und Karl-Heinz Rummenigge
Foto: team 2/imago
Schweigen ist wieder in Mode, ja, es wird als Form des Streits derzeit gesellschaftlich sogar kultiviert. Und wenn schon nicht das Schweigen, so auf jeden Fall das Nicht-miteinander-Reden und das Aus-dem-Weg-Gehen. Es ist die Demonstration eigener Macht durch das Ignorieren des Anderen. Die Sache hat allerdings einen Haken: All das funktioniert nur, wenn dem Schweigen eine laute, öffentliche Redewut vorausgeht, wenn das große Wort die Stille einläutet. So wie vergangene Woche bei Karl-Heinz Rummenigge. Der hat im Zentralorgan des Fan-Gejohles, in der Sport-Bild, kurzerhand den Kalten Bundesliga-Krieg ausgerufen: Süd-Rot gegen Nord-Gelb, Rekordmeister gegen Ex-Meister, Millionäre gegen Malocher, eine Welt gegen die andere.
Eigentlich geht es um Peanuts, genau genomme
nuts, genau genommen um die konkrete Höhe eines Darlehens, das der FC Bayern den Dortmunder Borussen 2004 gegeben hat. Nachdem Dortmund-Präsident Hans-Joachim Watzke Bayerns designierten Präsidenten Karl Hopfner der Lüge bezichtigt hatte, ging es eine Weile hin und her, bis Rummenigge nun ein Machtwort sprach: „Wir müssen hier nicht kuscheln“, sagte er. „Dann haben wir aktuell eben ein wenig Eiszeit.“Wie ein Sketch von LoriotDer Rest soll laut Rummenigge Schweigen sein. „Der FC Bayern braucht keinen Friedensgipfel und auch kein Treffen.“ In beleidigtem Weißwurscht-Ton fügte er hinzu: „In Zukunft findet kein Essen mehr vor den Bundesligaspielen statt. Das ist vielleicht ein ehrlicherer Umgang, als wenn man sich trifft und sich dabei gegenseitig seiner – nicht vorhandenen – Hochachtung versichert.“ Was für ein Spektakel: Bayern straft Dortmund mit Essensentzug und Schweigen. Verhandeln zwecklos.Zugegeben, das erinnert ein bisschen an einen Loriot-Sketch. Oder an Ehealltag, wie er – glaubt man einigen Frauenzeitschriften – in vielen Wohnzimmern stattfindet. Demnach schaut die Frau den Mann irgendwann forschend an und wartet auf eine Erklärung (warum der Müll nicht rausgebracht ist, warum er so spät heimkommt, ob er eine Andere hat) – und er: schweigt. Vielleicht sagt er, während er seine Bierflasche anstarrt und in der hohlen Hand dreht: „Ich will darüber nicht reden.“ Oder: „Das macht doch keinen Sinn.“ Er ist eben ein „echter“ Mann, einer dieser Cowboys, die einsam in den Sonnenuntergang reiten, die stundenlang beim Angeln neben ihrem Kumpel sitzen können, ohne ein Wort zu sprechen. All das treibt sie auf die Palme, so dass sie immer weiter fragt. Und dann ist der Kladderadatsch da: Der eine wettrüstet mit Worten, der andere setzt Vernichtungsschläge durch Schweigen. Das nennt man wohl Kalten Ehekrieg.Aber all das hat nichts mit dem Ritual des gepflegten Männerstreits zu tun, oder besser: des ritualisierten Machtstreits. Schweigt der Mann in einer Partnerschaft, will er meist ausweichen, scheut die Konfrontation, will die Sache irgendwie aussitzen und hofft, dass irgendwann Ruhe einkehrt und alles vom Tisch ist. Meist funktioniert das nicht, und am Ende wird doch geredet – nur eben einige Tage später.Aber wenn zwei Männer oder auch zwei Mächtige miteinander streiten, hat das Schweigen nichts mit Verzweiflung zu tun, dann wird das Nicht-Reden zum Mittel der Macht, ein offener Angriff, schärfer als jede „Hurensohn“-Beleidigung. Schweigen wird zum Wort-Embargo, zum Aufmerksamkeitsboykott, zur Kriegserklärung. So wie bei Karl-Heinz Rummenigge, bei der EU oder bei Asterix und Obelix: Wenn sich die beiden im Wald vor ihrem kleinen gallischen Dorf über die Anzahl der Wildschweine streiten, die sie mit nach Hause bringen, gehen sie auf dem Heimweg auf zwei Seiten des Weges. Die Luft vibriert, alles wird zum psychologischen Machtkampf.Und manchmal schweigt im Comic sogar das ganze Dorf, wenn es um unterschiedliche Auffassungen über den Umgang mit den Römern geht. Aber weil es sich eben um Fiktion handelt, halten Asterix und Obelix das Schweigen nie lange durch und fallen sich in die Arme, bevor sie ihr Dorf erreichen. Und die Dorfgemeinschaft löst das allgemeine Schweigen in der Regel mit einer Keilerei auf: Die Gallier hatten keine Atombomben, ein kleiner heißer Krieg mit toten Fischen war daher die beste Lösung, um einen Kalten Krieg zu deeskalieren.Gestürzt über NichtgesagtesWir von der Oper – der Autor ist Musikkritiker – wissen längst, dass das Private immer politisch und das Politische irgendwie auch immer privat ist. Die persönlichen Eitelkeiten der Herren Watzke und Rummenigge sind eigentlich ein Opernstereotyp. Ach, hätte die tugendhafte Hure La Traviata nicht verschwiegen, das ihr Schwiegervater von ihr verlangte, den Geliebten zu verlassen – Verdi hätte ein Happy End komponieren müssen. Und hätten einige Leute in Aida oder Don Carlos nicht aus Eitelkeit die Klappe gehalten, würden noch ganze Imperien existieren.Die Oper und der aktuelle Fußball zeigen, dass der Satz „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“ kompletter Quatsch ist. Auch, weil wir ihn falsch verstehen, denn der Ursprung dieser Redewendung liegt im 12. Psalm: „Die Rede des Herrn ist lauter, wie durchläutertes Silber.“ Aber Hand aufs Herz: Der Herr ist grundsätzlich auch bloß ein Schweiger, der lieber seine Propheten über sich reden lässt – so gesehen ebenfalls ein Ur-Macho, der sich kaum vom Mann unterscheidet, der stumm mit seiner Bierflasche auf dem Sofa neben seiner Frau sitzt und hofft, dass alles gut wird, was er geschaffen hat.Irgendwie würde man verzweifelten Paaren, politischen Protagonisten und Karl-Heinz Rummenigge wünschen, mal wieder den Mund aufzumachen – aber nicht, um ein langes Schweigen anzukündigen. Vielleicht könnten sie einfach von Asterix und Obelix lernen und sich vor dem nächsten Match treffen: zur allgemeinen Tortenschlacht, oder einfach, um sich zu umarmen und private Fehden lieber auf dem grünen Feld auszutragen – denn dafür ist der Fußball doch da: Er ist ein perfekter Eiszeitbrecher.
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