Reden über Bernhard

Klartext Er selbst hielt Gespräche für „unmöglich“. Dabei komme nur eine „unerträglich stinkende Wurscht“ heraus, „wie aus einem After.“ Drei Versuche, nichtsdestotrotz
Ausgabe 23/2013

Der Freitag: Hatte Bernhard Einfluss auf Ihre Arbeit?

Ulrich Seidl: Nicht bewusst auf meine Arbeit, er hat mich eher in meinem Selbst beeinflusst oder sehr viel beschäftigt. Dieser genaue Blick auf Menschliches, der in seiner Übertreibung ja noch genauer wird. Die Tragik, die dahintersteckt, aber auch der Humor – das ist etwas, das mir sehr entspricht. Ich hätte wahnsinnig gern einen Film über ihn gemacht, aber ich war damals noch nicht bereit, ich hab mich auch nicht getraut. Und vielleicht hätte er auch gar nicht gewollt. Aber ich bedaure das. Es wurde nichts über ihn gemacht, es gibt ein paar Fernsehinterviews, sonst nichts. Tragisch.

Thomas Bernhard hat die nicht aufgearbeitete Nazi-Vergangenheit Österreichs immer wieder auf die Agenda gesetzt, aber dieser inflationäre Gebrauch des Begriffs „Nazi“ für alles und jeden …

Naja, schauen Sie, die Österreicher gehen auch mit solchen Dingen anders um. Es gibt Humor, es geht um das Hinterhältige, das Boshafte, auch der Dialekt spielt eine Rolle. Und man beschimpft sich auch gleich, man ist nicht so höflich und konventionell wie vielleicht in Deutschland. Da schimpft man sich halt gleich „Nazi“, wobei es ja unglaublich ist, wie lange es in Österreich gedauert hat, Jahrzehnte, bis sich die Politik und die Bevölkerung dazu bekannt haben, dass wir Täter waren. Und zwar im selben Maße wie Deutschland. In der Schule habe ich ja noch gelernt, Österreich sei von Hitler überrannt worden.

Der Freitag: Wäre Bernhard dieses Nationalheiligtum, wenn er nicht so früh gestorben wäre?

David Schalko: Er ist in erster Linie Nationalheiliger, weil er zu Lebzeiten den Österreicher von der Bettkante gestoßen hat, und jetzt, da er sich nicht mehr wehren kann, legt sich der Österreicher in sein Bett, umarmt ihn ganz fest und sagt: Du hast mich immer geliebt. Zwischen Demütigung und Wertschätzung besteht in Österreich kein Unterschied.

In Österreich fehlte das Äquivalent zu 68, die Bewegung gegen Obrigkeitsgehorsam. War der Anarchist Bernhard Österreichs 68?

Es gab in Österreich die 68er-Bewegung, aber eher im Dreivierteltakt. Günter Brus hat immerhin auf einem Tisch defäkiert. Ich finde, das passt zum Österreicher, der besonders stolz auf seine Kanalisation und auf Freud ist. Bernhard war irgendwie das Gegenteil dieser 68er, eher ein Konservativer, der gerade begriffen hat, von lauter stumpfsinnigen Wahnsinnigen umgeben zu sein.

Hätte er überlebt: Hätte die Erfindung von Viagra Bernhards Leben radikal verändert?

Bernhard ist wahrscheinlich der einzige Schriftsteller, in dessen Werk es keine einzige sexualisierte Stelle gibt. Es besteht ausschließlich aus vergeistigten Menschen. Stellvertretend wird sich an Österreich gerieben, das war sein Masturbationsobjekt. Und je lauter es unter seiner Fuchtel gestöhnt hat, desto geiler wurde Bernhard. Er hat kein Viagra gebraucht. Er war ja in seinem Sinne nicht impotent.

Der Freitag: Wie erklären Sie sich die Mozartisierung Bernhards?

Martin Huber: Es gibt eine fatale Kontinuität zwischen der damaligen Erregung und der heutigen Nicht-Erregung: In beiden Fällen ist es ein Phänomen, das weitgehend ohne Werk auskommt, um es ein wenig polemisch zu sagen. Der Heldenplatz-Skandal hat bekanntlich stattgefunden, bevor sich der Vorhang des Burgtheaters überhaupt gehoben hat. Allein aufgrund einiger weniger vorab lancierter Seiten, mit den berühmten „sechseinhalb Millionen Debilen“, ohne dass überhaupt klar gewesen ist, dass es sich um Figurenrede handelt und welche Figur das im Stück in welchem Kontext äußert. Und auch heute ist Bernhard einfach Bernhard, ohne dass man sich anschaut, worum es im Stück überhaupt geht, ob es wirklich nur um die Frage geht, ob Österreich eine Nation von „sechseinhalb Millionen Debilen“ ist oder nicht – und warum eigentlich nur sechseinhalb Millionen? Österreich hatte auch damals schon mehr als sechseinhalb Millionen Einwohner.

Wie wichtig war dann im Nachhinein seine Selbstinszenierung?

Bernhard hat Nerven getroffen. Er hat sich in eine Position gebracht, von der andere Schriftsteller träumen. Literatur hat gesamtgesellschaftlich leider nicht den Stellenwert, den Schriftsteller gerne hätten. Wenn man schreibt, wird man damit in der Regel nicht zur Topmeldung in den abendlichen Hauptnachrichten. Bernhard ist das gelungen.

Die Fragen stellte Alexander Schimmelbusch

Der Filmemacher Ulrich Seidl ( Paradies -Trilogie) steht in Bernhards Nestbeschmutzertradition

David Schalko ließ das ORF mit seiner TV-Serie Braunschlag im letzten Jahr wie HBO – oder HBÖ – aussehen

Martin Huber leitet das Bernhard-Archiv in Gmunden am Traunsee

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