Der Freitag: In Spanien ist heute jeder Vierte arbeitslos, die Jugendarbeitslosigkeit liegt sogar bei 50%, gleichzeitig hat die Regierung Hilfen aus dem EU-Krisenfonds beantragt. Wie bewerten Sie die aktuelle Krise in Ihrem Land?
Arcadi Oliveres: Wir befinden uns in einer Krise, in der die Schuldigen ihre Verantwortung nicht annehmen, während die Bürger unzumutbare Kürzungen im sozialen Bereich ertragen müssen. Unsere jetzige Regierung hat ihre Karten vor der Wahl nicht offen auf den Tisch gelegt. Sie ist nicht wegen ihres Programms gewählt worden, sondern um die Sozialisten, die seit 2004 regierten abzustrafen.
Welche Verantwortung trägt Ihrer Meinung nach die Regierung des sozialistischen Premiers Zapateros an der jetzigen Lage?
Eine groβe – sie tat seit 2008 nichts, um die Krise zu verhindern und erleichterte den Immobilienboom.
Der Bau von Wohnungen war vor der Krise ein wesentlicher Pfeiler der spanischen Wirtschaft …
Ja, aber der Bauboom basierte auf einer Spekulationsblase. Man baute nicht Wohnungen, weil man sie brauchte, sondern um zu spekulieren, weil ihr Preis ständig in die Höhe ging. Viele der gebauten Wohnungen wurden nie verkauft. Auf jeden Obdachlosen kommen inzwischen 100 verfügbare Wohnungen. Das ist eine Schande.
Auch die ungleichen Volkswirtschaften der Euroländer haben sicherlich mit zu der Krise beigetragen.
Ich sagte schon vor zwölf Jahren, der Euro sei ein Fehler bei Ländern mit so unterschiedlicher Wirtschaftsleistung, mit abweichen Haushaltsdefiziten und Steuersystemen. Mit dem Euro stiegen die Armut und zugleich der Reichtum derer, die von Kapitaleinkünften leben. Wir sollten die Euroländer zumindest in zwei Gruppen teilen, wie es derzeit in Brüssel diskutiert wird: die stärkeren Länder einerseits und Länder, wie Spanien, Portugal, Italien und Griechenland, andererseits.
Was denken Sie über Merkels Forderungen nach einem Primat der Haushaltssanierung?
Merkel schaut zu sehr auf das Staatsdefizit. Diese Angst geht noch auf die Erfahrungen mit der deutschen Hyperinflation der zwanziger Jahre zurück. Doch mit dem Euro befinden wir uns in einer anderen Situation als damals, denn damit hat unsere Währung an Flexibilität verloren. Rajoy kündigte nun an, die Kürzungen während der ganzen Legislatur fortzusetzen. Vor allem im Gesundheitswesen sind sie schmerzhaft spürbar. Migranten ohne festen Aufenthaltsstatus werden nur noch im Notfall behandelt: Wie viel sind die spanischen Staatsbürger bereit zu schlucken?
Wird Rajoy bis zum Ende der Legislatur Regierungschef bleiben?
Ich hoffe nicht. Die Leute haben diese Art von Politik satt, die im Dienste von Unternehmen wie Repsol, Telefónica oder der Banco Santander stehen.
Welche Alternativen sehen Sie zu der verfolgten Austeritätspolitik?
Man sollte gegen die Steuerhinterziehung vorgehen, die in Spanien besonders hoch ist. Eine Studie der Universität Pompeu i Fabra in Barcelona beziffert die dadurch entstehenden Verluste auf über 80 Milliarden Euro im Jahr. Außerdem sollte man kein Geld mehr für den Rüstungsetat und die Rettung der Banken auszugeben. Es gibt nur ein Land, das es richtig gemacht hat: Island. Es hat die Banken zusammenbrechen lassen und den Direktoren den Prozess gemacht. Bei uns haben die Banker dagegen großzügige Entschädigungen erhalten. Zum Beispiel die Sparkasse Caja de Castilla la Mancha: Die Regierung zahlte 3,9 Milliarden Euro, um sie zu retten. Das entspricht den Mitteln, die man in etwa brauchte, um Renten für drei Jahre an das Inflationsniveau anzugleichen. Politiker nahmen beispielsweise in der Vergangenheit selbst Kredite auf und investierten sie in den Bau eines Flughafens in Ciudad Real, der später nie genutzt wurde. Daran beteiligt waren Juan Pedro Hernández, Senator der Sozialistischen Partei, und Ignacio López del Hierro, Ehemann der Generalsekretärin der heute regierenden Volkspartei. Wir befinden uns in den Händen von Kriminellen, und die werden die Probleme nicht lösen!
Am 15. Mai 2011 gründete sich in Spanien die Bewegung der” Empörten”, die vielerorts Plätze besetzte und international von sich reden machte. In letzter Zeit hört man weniger von diesen Aktivisten. Gibt es die Bewegung noch?
Natürlich. Hier in Barcelona bestehen lokale Gruppen der “Empörten”, die sich in ihren Vierteln in den Ateneus (meist politische, aber auch kulturelle Lokale - die Red.) treffen. Viele widmen sich der politischen Erziehung der Bürger, indem sie ihnen beispielsweise erklären, wie Wirtschaft und Politik funktionieren. Aber sie setzen sich auch dafür ein, dass die Notaufnahme der Polikliniken nachts bestehen bleibt oder ein alter Mann nicht aus seiner Wohnung hinaus geworfen wird. Es wird weitere Aktionen der "Empörten" geben, und ihre Bewegung wird für die Regierung wieder sichtbarer werden.
Das Gespräch führte Ingrid Wenzl
Arcadi Oliveres ist Wirtschaftsprofessor an der Autonomen Universität von Barcelona und Vorsitzender der Organisation Justicia i Pau (Gerechtigkeit und Frieden)
Kommentare 6
Die Empörten sind für mich - genauso wie Herr Olivieres - absolut unglaubwürdig.
Mir persönlich kommt diese ganze Lamento vor wie das gekrächze einer beleidigten, verzogenen Göre, der man den Lutsche weggenommen hat.
Herr Olivieres dürfte nach wie vor gut dotierte Arbeit haben, die Empörten teils nicht.
Es wäre interessant mit versteckter Kammera als verkappter "Head-Hunter" gut ausgebildete Empörte aufzusuchen, ihnen darzulegen, dass man ihre Eloquenz und ihre Intelligenz sehr schätze und einen vorerst auf drei Jahre besfisteten Job beim Konzern x anbieten könne.
Stelle ich den Konzern X als Logistikunternehmen in Sachen Konsumgüter vor - ich fürchte die Zusagequote läge bei 100%.
Stelle ich den Konzern X als Fleischproduktionsunternehmen vor, vielleicht läge die Quote nur noch bei 90%.
Stelle ich den Konzern X als Rüstungsunternehmen vor, wieviele würden wohl zusagen?
Wir vollversorgte Europäer - wir empören uns doch wenn, dann nur darüber, dass wir vom Einkommenstropf abgehängt wurden.
Laß den alten Mann mal auf die gebildeten, angepassten Studenten schimpfen, lass ihn zetern, dass sie vor einigen Jahren noch willig an den Unis studierten und sich kein bisschen empörten, dass sie dem Markt hinterherhechelten wie reudige Hunde einem Stück Aas, sie würden wich wohl schnell eine andere Person suchen, die sie mit einer kleinen Empörungsgemo für einige Stunden länger in der Bude belassen können.
Ich gönne jedem von uns hier, dass er möglichst bald aus seinen Helferträumen gerissen werde und sich zu den Empörten dazugesellen darf.
Die Gewinner lutschen weiter an den Lollis - die Empörten hätten ihren gerne wieder!
Spanien und Irland oder Ungarn galten noch vor 10 Jahren als Inbegriff von "Modernität" - und wurden uns in Deutschland, dem "kranken Mann in Europa" in perpetuo mobile vorgehalten. Heute sind alle drei ehemaligen Vorzeigestaaten pleite.
meine Tastatur ist völlig am Ende - sorry - das ist schon fast kryptisch - (auch für die, die wie ich nicht erst seit 2008 empört sind - sondern seit ihrer Jugend - seit sie - halbwegs klar denken konnten....)
Die Welt wird einfach präsentier - es gibt, angeblich, nur zwei Alternativen: den Kapitalismus aktueller Spielart - oder eben den Sozialismus sowjetischer Prägung. Wer jetzt genau hinschaut, weiß, warum Robert Havemann und Alexander Dubcek im Westen noch verhasster waren, als im Stalinismus.
Die "Märkte" jubilieren angesichts neuer "Rettungsschirme" für die spanischen Banken - und der damit möglich gewordenen Sozialisierung ihrer Verluste. Die "Neue Zürcher Zeitung" schreibt in der heutigen Ausgabe, das wochenlange Lavieren der politisch Verantwortlichen habe "den Anlegern viel Zeit gegeben, ihre Scherflein" (welche Verharmlosung der Geldmengen, um die es dabei geht!) "ins (vorerst) Trockene zu bringen". Es ist erfrischend, mit welcher Offenheit die NZZ die Tatsachen ausspricht. Der spanische Staat bleibt nämlich "in der Pflicht, den Kredit dereinst zurückzuzahlen; zudem erhöht dieser seine Verschuldung" (NZZ, 11. Juni 2012, S. 17).
Solche "Rettungspolitik", die Länder wie Griechenland, Spanien, etc., weiter in die Verelendung treibt, muss angeprangert und - wenn möglich - gestoppt werden! Zu diesem Zweck sollten sich die Widerstandbewegungen zu einem "Europa von unten" finden, denn eine Wiederkunft des Nationalismus kann auch nicht die Lösung sein.
Ob ein "Europa der zwei (und mehr) Geschwindigkeiten", wie es immer wieder diskutiert worden ist und mit Einführung des Euro auch teilweise in Praxis umgesetzt wurde, nun angesichts der Euro-Krise tatsächlich eine Lösung darstellen kann, wie Arcadi Oliveres meint, kann ich als Nicht-Ökonom nicht beurteilen; ich bin trotzdem skeptisch. Notwendig wäre meines Erachtens eine Stärkung der politischen Union - mit entsprechenden Kontrollmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger.
Senior Arcadi Oliveres spricht das ein wenig drastischer aus,was DIE LINKE schon seit langer Zeit sagt.Durch dieses "Merkelsche" Spardiktat rutschen einerseits die Staaten um Griechenland,Spanien,Portugal und jetzt auch Italien immer tiefer in die Rezession,andererseits tun die entsprechenden Regierungen nichts,um die Banken in ihre Schranken zu weisen.Die Casinos sind immer noch geöffnet,und die Steuergelder,vor allen Dingen der kleinen Leute,müssen zur Sanierung herhalten.Das ist in meinen Augen nichts anderes als kriminelle Energie,der Einhalt geboten werden muss.Die Profiteure, dieser Krise müssen zur Kasse gebeten werden,und zwar nicht nur in Spanien,Griechenland,etc.,sondern europaweit.