Regierung der Masken

Im Gespräch Der kubanische Schriftsteller Amir Valle über Fidel Castro, das Recht auf eine eigene Meinung und revolutionäre Seifenblasen

Amir Valle wurde 1967, in Guantánamo geboren, wuchs in Santiago de Cuba auf und lebte seit 1986 in Kubas Hauptstadt Havanna. Er stammt aus einer Familie, die die kubanische Revolution immer unterstützte.

FREITAG: Sie sind in Kuba ein recht bekannter Mann. Sie haben Literaturpreise erhalten, wurden als viel versprechender Nachwuchsschriftsteller gefeiert. Wofür steht Ihr Name heute in Kuba?
Amir Valle: Mein Name ist in Kuba so stark verteufelt, wie es früher nur die von Guillermo Cabrera Infante und Reinaldo Arenas waren. Das haben mir mehrere Kollegen und Journalisten, die jüngst in Kuba waren, gesagt. Das geht so weit, dass Kollegen mich davor warnen zurückzukehren, weil ich dann im Gefängnis landen würde. Das hat mich sehr überrascht, allerdings kann das in eineinhalb Jahren schon wieder ganz anders aussehen.

Warum leben Sie seit dem Spätsommer 2005 im Ausland - erst in Spanien und seit dem März 2006 in Deutschland?
Ich bin 2005 mit meiner Frau auf Einladung meiner spanischen Verleger nach Asturien gereist, um dort mein neues Buch vorzustellen. Zudem war ein weiteres Werk, der gerade in Deutschland erschienene Roman Die Wörter und die Toten, für einen Literaturpreis vorgeschlagen worden und das Buch kam in die engere Wahl. Das war der Grund, um meinen Aufenthalt in Spanien zu verlängern. Das war von der kubanischen Botschaft genehmigt worden, nur erhielt ich die Erlaubnis der Wiedereinreise nicht. Ohne die erhält man jedoch kein Flugticket nach Kuba, so dass wir de facto nicht nach Kuba zurückkehren können. Zwar habe ich die zuständigen Stellen in Havanna wiederholt angeschrieben, um die Papiere zu bekommen, doch nie eine Antwort erhalten. Im März 2006 erhielt ich dann ein dreimonatiges Stipendium vom Heinrich-Böll-Haus in Köln. Dort konnten wir dann noch weitere drei Monate bleiben, bevor ich dann ein "Writers in Exile"-Stipendium der deutschen P.E.N.-Sektion erhielt. Seitdem leben wir in Berlin.

Wollen Sie zurück nach Havanna?
Ja, natürlich, aber ich will nicht unter bestimmten Konditionen zurückkehren. Ich möchte das Recht haben aus- und einzureisen, wie es meine berufliche Arbeit nötig macht. Ich will kein Gefangener im eigenen Land sein. Dafür kämpfe ich und nicht allein für mich, denn ich bin der Meinung, dass es um das Prinzip geht. Man darf den Kubanern dieses Recht nicht vorenthalten.

Sie stammen aus einer revolutionären Familie. Ihr Vater ist Anhänger des kubanischen Gesellschaftsmodells, Sie sind hingegen in Kuba eine unerwünschte Person. Wie kam es zum Bruch mit dem kubanischen Establishment?
Ich habe mich mit Fidel Castro und den Machtstrukturen in Kuba auseinandergesetzt und das ist ein Tabu in Kuba. Ich habe es gewagt, die Rolle Fidels und seine Bedeutung in meinem Leben zu schildern und auf meiner Webseite zu veröffentlichen. Auf die Idee bin ich gekommen, weil ich die immer gleichen Fragen von Journalisten leid war.

Ferner habe ich mich in meinem Roman Die Wörter und die Toten mit dem Wandel in Kuba und der Geschichte der Revolution beschäftigt. Das Buch ist ein Nachruf auf die Revolution, und ich stelle darin der offiziellen Geschichtsschreibung die der Leute, der Kubaner in den Stadtvierteln, gegenüber. Es ist die Geschichte der Revolution aus Perspektive der Leute von unten, wobei die Repräsentanten dieser Revolution auch benannt werden - ob Fidel, Raúl oder Carlos Lage. Dieser Roman ist für kubanische Verhältnisse sehr gewagt. Ich versuche jedoch nur denen, die keine Stimme haben, eine zu verleihen. Die offiziellen Repräsentanten der Revolution sind doch keine Götter, sondern Menschen aus Fleisch und Blut, die man mit all ihren Fehlern auch so darstellen kann. Diese Freiheit habe ich mir genommen.

Wann haben Sie sich denn von der Revolution abgenabelt und hat Ihr Vater das toleriert?
Ich habe mich im Laufe der periodo especial (der mit dem Zusammenbruch des sozialistischen Lagers 1990 einsetzenden existentiellen Wirtschaftskrise) verändert und mich von der offiziellen Position immer weiter entfernt. Als ich entdeckte, dass die revolutionären Träume wenig mit den Realitäten in Kuba gemein haben, war das ein Schock für mich. Daraufhin begann ich, mich von der Revolution zu entfernen. Das war nicht einfach, denn mein Vater ist ein überzeugter Revolutionär, und es gab viele Auseinandersetzungen mit ihm. Letztlich billigte er mir jedoch das Recht auf eine eigene Meinung zu und akzeptierte sie - obwohl er sie nie teilte.

Auf welche Realitäten stießen Sie damals?
Als ich 1989 meine Universitätsausbildung mit dem Journalistendiplom abgeschlossen hatte, habe ich angefangen für das kubanische Radio zu arbeiten. Ich galt als zuverlässig, weil ich eben aus dieser Familie stammte und wurde in der Öffentlichkeitsarbeit zweier Projekte eingesetzt, die damals höchste Priorität genossen. Zum einen der Bau der Raffinerie von Cienfuegos, zum anderen der Konstruktion des Atomkraftwerks von Juragua. Dort habe ich die Leute über die Gründe der Bauverzögerungen interviewt und viel gelernt über die Defizite dahinter und den Umgang damit. Doch es war unmöglich, darüber zu berichten; ich wurde zurückgepfiffen und 1992 erfolgte dann meine Versetzung nach Havanna. In Havanna arbeitete ich für Cubanacán, eine große kubanische Tourismusholding. Damals setzte der Tourismusboom erst ein und die kubanische Wirtschaft befand sich in einer verheerenden Situation. Das sozialistische Lager hatte sich aufgelöst, die Lieferverträge wurden nicht mehr eingehalten, und es fehlte an allem. Doch die Manager und Generäle bei Cubanacán lebten auf höchstem Niveau, während die Lebensbedingungen der Bevölkerung von Tag zu Tag prekärer wurden. Meine revolutionären Illusionen zerplatzen damals wie Seifenblasen.

Haben Sie schon damals geschrieben?
Ja, wenn auch nicht kontinuierlich, aber diese Erfahrungen habe ich natürlich auch literarisch verarbeitet. Das Gleiche gilt auch für die Zeit, als ich mit meiner Frau als Straßenhändler arbeitete. Das war 1998. Wir verkauften damals mit Kroketten belegte Brote und Erfrischungsgetränke. Ein Jahr lebten wir davon, bis ich die ersten Literaturpreise gewann und so in Kuba und darüber hinaus langsam bekannter wurde. 2002 fand ich schließlich einen spanischen Verlag für meine Krimis, wodurch wir finanziell unabhängig wurden.

Stand die steigende Popularität in Kuba nicht im Widerspruch zu Ihrer zunehmenden Distanz zum kulturellen Establishment auf der Insel?
Ja, aber es gab nicht nur positive Signale. So verzögerte sich die Drucklegung meiner Bücher in Kuba immer öfter. Ein Grund dafür war meine Arbeit für den puertoricanischen Verlag "Plaza Mayor". Für den betreute ich die "Colección Cubana" und der Verlag gehört Patricia Menoyo, der Tochter des bekannten kubanischen Oppositionellen Eloy Gutiérrez Menoyo. Unsere Arbeit war nicht einfach, obwohl wir nach rein fachlichen Kriterien auswählten und strikt alles von der Politik trennten. Drei Jahre ging dieser Ansatz gut. Dann beraumte Kulturminister Abel Prieto ein Treffen der Verlage in der Nationalbibliothek an, und bei dem Treffen fiel auch mein Name. Die Anwesenden wurden aufgefordert ,vorsichtig mit Einladungen an meine Person zu sein, denn ich würde mit dieser Señora arbeiten, von der man nicht wüsste, auf was sie warten würde. Ein anderer, vor dem auch gewarnt wurde, war Antonio José Ponte. Der war aufgrund seiner Artikel für das Encuentro Cubano (die von Jesús Díaz 1995 gegründete Kulturzeitschrift für Kubaner von der Insel und aus dem Exil) unangenehm aufgefallen. Ponte und ich wurden faktisch zu suspekten Personen erklärt. Das war 2002.

Wie erfuhren Sie denn davon?
Über einen Herausgeber aus Cienfuegos. Daraufhin schrieb ich einen offiziellen Brief an das Kulturministerium, also an Abel Prieto, und bat um eine Stellungnahme. Ich erhielt aber nie eine Antwort.

Sie haben sich in ihren Kriminalroman immer wieder mit brisanten Themen wie der Prostitution in Kuba, dem Umgang mit Homosexuellen und der Korruption beschäftigt. Ist der fiktive Kriminalroman ein Mäntelchen, um über die Gesellschaft und ihre Entwicklung schreiben zu können?
Ja, sicherlich. Doch grundsätzlich kann man in Kuba schreiben, worüber man möchte - auch über pikante Themen und aus regierungskritischer Perspektive. Was publiziert wird, ist wiederum eine ganz andere Frage. Generell gilt jedoch, dass man sich als intellektuelle Persönlichkeit auf die Seite der Regierung stellt.

Liegt da die Trennlinie?
Ja, das ist die Linie, die man nicht überschreiten darf. Man darf literarisch kritisieren, aber wenn man eine politische Position in der Öffentlichkeit einnimmt, dann hat man die Grenzen verletzt. Dann wird man einer anderen Kategorie, sprich: der Opposition, zugeschlagen und dann beginnen die Probleme.

Der Satz Fidel Castros an die Intellektuellen von 1961: "Innerhalb der Revolution alles, gegen die Revolution nichts!" hat also nichts an Aktualität verloren?
Nein, keineswegs.

Kubas medizinische Grundversorgung und das Bildungssystem gelten weltweit als vorbildlich. Hat Kuba zwei verschiedene Gesichter?
Die Regierung in Havanna ist die Regierung der Masken. Es gibt eine Maske nach innen, es gibt eine Maske auf der internationalen politischen Bühne, eine für die internationale Linke und es gibt eine ganze Reihe von Masken in den Beziehungen zu den internationalen Organisationen.

Ich persönlich glaube, dass die schönen Ziele der Revolution längst verraten wurden. Zwar wissen die Menschen in Kuba die Errungenschaften der Revolution zu schätzen, sie sind sich aber auch sehr wohl bewusst, dass sie davon immer weniger haben.

Das Gespräch führte Knut Henkel


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