Feuer unterm Dach: Katars Verantwortung für Kriege in Nahost
Außenpolitik Katar steht wegen seines Umgangs mit LGBTQ-Rechten in der Kritik. Fragwürdig ist auch die Außenpolitik: Sowohl in Syrien als auch im Jemen hat sich Katar als Partner der USA und Saudi-Arabiens gezeigt. Warum wird daran kein Anstoß genommen?
Auch hier redselig: Hamad bin Dschassim Al Thani (2. v. r.), u. a. mit US-Außenministerin Hillary Clinton, Golf-Kooperationsrat in Riad, März 2012
Foto: Brendan Smialowsky/Afp/Getty Images
Im Oktober 2017 sagte Hamad bin Dschassim Al Thani, damals Regierungschef und Außenminister von Katar im Fernsehen des Emirats, sein Land und Saudi-Arabien hätten mit den USA den Regimewechsel in Syrien betrieben: „Alles lief über die Türkei, in Koordination mit den USA und unseren saudischen Brüdern, alle waren über ihr Militär beteiligt.“ Al Thani nahm kein Blatt vor den Mund. Er selbst sei im Frühling 2011 nach Damaskus gereist und habe Präsident Baschar al-Assad 15 Milliarden Dollar angeboten, wenn er sich vom Iran distanziere. Da der ablehnte, habe man zusammen mit den Saudis gehandelt. „Katar und Saudi-Arabien waren verantwortlich für die Finanzierung und Bewaffnung“, so Al Thani. Die Arabische Liga habe sich m
h mit Propaganda begnügt. Den syrischen Medien wurde der Zugang zu Arabsat und anderen Satelliten gesperrt. Allein die katarische Herrscherfamilie Al Thani habe viel Geld ausgegeben, um den Aufstand zu finanzieren. So wurden Deserteure der syrischen Armee mit hohen Summen belohnt.Gegenüber der BBC nannte der Scheich weitere Details: Die Militäroperationen, der Nachschub und die gesamte Logistik seien in Jordanien und auf dem türkischen NATO-Stützpunkt Incirlik koordiniert worden. Die Geheimdienste der USA, Frankreichs, Großbritanniens, der Türkei und Jordaniens hätten kooperiert, um die syrische Regierung zu stürzen.Katar am Regime Change in Syrien beteiligtWas man dem weltweit zweitgrößten Gaslieferanten Katar also tatsächlich vorwerfen könnte, ist ein Bruch des Völkerrechts, der darin besteht, einen Angriffskrieg unterstützt zu haben. Wie entschlossen der geplant war, wurde zwar öfter bestätigt, aber selten so lapidar eingestanden wie durch einen der politischen Führer Katars. Hat man dazu während der vergangenen Monate etwas vernehmen können? Kein Wort. Stattdessen arbeitet sich eine Medienkampagne ohne Unterlass daran ab, dass in Katar Frauenrechte und Rechte von LGBTQ-Minderheiten verletzt werden. Diese Erkenntnis steht schon fest und wird ständig wiederholt, seit dem Emirat mit der Fußball-WM eines der weltweit größten Sportereignisse anvertraut ist.Und der Versuch, mit Milliarden Dollar einen Regime Change in einem der arabischen Nachbarstaaten auszulösen? Daran haben große westliche Medien offenbar wenig auszusetzen. Imperiale Strategien der USA und ihrer Verbündeten sind politisches Routinegeschäft. Wegen eines Championats in Katar wird man sich nicht mit Washington anlegen, wo man zwar wütend war, dass diese Weltmeisterschaft nicht an die USA vergeben wurde, und Staatsanwältin Loretta Lynch nichts unversucht ließ, der FIFA an den Karren zu fahren. Aber, wohlgemerkt, dem Weltfußballverband, nicht Katar. Denn Al Udeid bei Doha ist eine der wichtigsten Luftbasen von Amerikanern und Briten in Mittelost. Was von dort seit dem Afghanistan-Exit alles ausgeht, will niemand so genau wissen. Jedenfalls nicht jetzt, mitten im Ukraine-Krieg.Was die Intervention gegen den Jemen angeht, das gleiche Bild: Katar gehört zur Militärallianz, die unter saudischer Führung 2015 begonnen hat, den Jemen zu bombardieren. Ist das kein Grund, Katar als fragwürdiges Gastgeberland einzustufen? Die USA und etliche NATO-Staaten unterstützen die teils schweren Luftangriffe, um den Iran einzudämmen und den Öltransport durch die Meerenge von Bab al-Mandab zu sichern. Als Katars WM-Botschafter Khalid Salman Anfang November in einem ZDF-Interview Homosexualität als „damage in the mind“ bezeichnete, waren die Medien alarmiert. Die 370.000 Toten im Jemen und die verheerende humanitäre Krise dort scheinen dagegen, wenn es um Katar und die WM geht, kein Argument von Interesse zu sein. Die Gründe für das große Schweigen über die Außenpolitik Katars liegen auf der Hand. Schließlich saßen sie alle im gleichen Boot, als der Syrien-Krieg begann: die USA und ihre Verbündeten, die Golf-Emirate, der Westen mit seinen Medien, Think Tanks und Hilfswerken.Katar beteiligt an Kriegen in Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien, Jemen Ein Wehklagen über verletzte Menschenrechte stieg zum Himmel. Folglich war – wie in Afghanistan, im Irak und in Libyen – erneut die Weltgemeinschaft gefordert, um Syrien auf den Weg der Demokratie zu führen. Diese Community führte Namen wie Hillary Clinton, Barack Obama, David Cameron, François Hollande und „Freunde des syrischen Volkes“. Dieser Kreis wollte unter dem Kommando der Neocons in Washington einen Regime Change in Damaskus voranbringen, um einen neuen Korridor zu haben für den Aufmarsch gegen den Iran. Assad schießt auf sein eigenes Volk, hieß der Textbaustein, auf den jahrelang kein News-Moderator verzichten wollte.Die Frage, auf wen eigentlich die Dschihadisten aus mehr als 50 Nationen schossen, die in Syrien christliche Madonnenbilder zerfetzten, wurde dagegen kaum gestellt. Die Kopfabschneider, die in westlichen Medien häufig als „Rebellen“ geführt waren, kassierten Petrodollars aus Riad und Doha. Der in der arabischen Welt wegen seiner Unerschrockenheit geschätzte katarische Kanal Al Jazeera wurde mit Beginn des Syrien-Krieges zum Lautsprecher der „Rebellen“ umfunktioniert. Integre Journalisten, wie der Berliner Korrespondent Aktham Suliman, warfen das Handtuch und verließen den Sender, weil sie im Verschweigen von Fakten immer öfter eine Methode der Meinungsmanipulation sahen.Die maßgeblich von NATO-Staaten unterstützten Kriege in Afghanistan, im Irak, in Libyen, in Syrien oder im Jemen mit Hunderttausenden von Toten und Flüchtlingen sind schlimmere Vergehen als die Diskriminierung von Frauen und Homosexuellen in einem Land wie Katar, auch wenn man das nicht gegeneinander aufrechnen soll. Katar hat an diesen Kriegen teilgenommen, meist sogar als militärische und logistische Drehscheibe der USA. Ex-FIFA-Präsident Sepp Blatter äußerte jüngst in einem Interview für einen Dokumentarfilm des Schweizer Fernsehens, Ex-UEFA-Chef Michel Platini habe ihn 2010 angerufen und erklärt, er sei bei einem Essen im Élysée-Palast von Präsident Nicolas Sarkozy gebeten worden, doch zu schauen, was er bei der WM-Vergabe „für Katar tun könne“. Einige Wochen nach dem 2. Dezember 2010, als die Vergabe der WM an Katar im Zürcher FIFA-Hauptquartier besiegelt wurde, avancierte Platinis Sohn Laurent zum Europa-Chef der Qatar Sports Investments. Sechs Monate später kaufte Katar für 14,6 Milliarden Dollar französische Kampfflugzeuge.Michel Platini meinte am 10. November in einer Dokumentation des Westschweizer Fernsehens SRF 1 in schöner Offenheit, an besagtem Essen in Paris habe der Kronprinz von Katar teilgenommen, aber er, Platini, sei nicht direkt gebeten worden, sich für Katar einzusetzen: „Ich kenne die Kataris seit 30 Jahren. Mir muss kein Präsident sagen, ich sollte etwas für Katar tun.“Placeholder infobox-1
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.