Reichstagsbrand am Kiosk

"Zeitungszeugen" In Bayern werden Zeitungen aus der Nazi-Zeit wieder aufgelegt. Darüber ist ein Streit entbrannt: Wird so eher rechte Propaganda befördert oder Erinnerungsarbeit?

Üblicherweise werden Produkte bei Ebay vor allem mit ihren Markennamen und Eigenschaften – neu/gebraucht/weiß/schwarz/Breite/Höhe – beworben. Seit dem vergangenen Wochenende ist das anders, nun häufen sich in den Beschreibungen plötzlich Slogans wie "unzensiert", "in Bayern indiziert" und "inkl. Völk. Beob. + Plakat". Mit solchen offenbar preissteigernden Etiketten werden Ausgaben aus der Reihe „Zeitungszeugen“ angeboten, eine erst vor zwei Wochen begonnene Edition, die Presseerzeugnisse aus der Zeit des Nationalsozialismus originalgetreu nachdruckt und in einen Umschlag mit historischen Kommentaren einmantelt.

Bereits bei der ersten Ausgabe regte sich in Bayern der Unmut darüber; vergangene Woche hat die Beschlagnahmung eines Teils der zweiten Ausgabe begonnen, die unter anderem ein Faksimilie des "Völkischen Beobachters" enthielt. Es wurde nicht nur ein Strafantrag wegen „Missbrauchsgefahr“ und der Verwendung verfassungsfeindlicher Kennzeichen gestellt, sondern auch eine zivilrechtliche Klage – wegen Verletzungen des Urheberrechts – ins Feld geführt.

Die Missbrauchsgefahr versteht sich von selbst: Nicht zuletzt das enthaltene Wahlplakat der NSDAP sowie der Nachdruck des "Völkischen Beobachters" dürften den Nazis von heute große Freuden bereiten. Darauf, dass den heutigen Gleichgeschalteten auch ohne diese beiden Druckerzeugnisse ausreichend Propagandamaterial zur freien Verfügung steht, wurde in der Folge zu Recht und zahlreich hingewiesen. Und wer wiederum seinen Kopf gelegentlich benutzt, der wird sich von dieser Rhetorik kaum auf dumme Gedanken bringen lassen.

Das Urheberrecht muss als Verbotsgrund herhalten

Die strafrechtlichen Aussichten des Verbots scheinen mithin gering. Deswegen wollen die bayerischen Juristen nun auch den Weg des Zivilrechts beschreiten, denn die Verletzung des Urheberrechts wirkt als das einzige tatsächlich justiziable Argument. Der Freistaat Bayern, genauer gesagt: das bayerische Finanzministerium, ist Rechtsnachfolger des NSDAP-Verlags Eher, in dem der "Völkische Beobachter" und auch Hitlers „Mein Kampf“ erschienen sind – ein juristisches Konstrukt, das bis heute den Auftrag der US-Militärregierung erfüllt, die Verbreitung von Nazipropaganda zu verhindern. So stellte und stellt sich das private Urheberrecht in den Dienst der öffentlichen Zensur, das Zivilrecht in den Dienst des Staates. Der "Zeitungszeugen"-Verlag (gegründet von dem britischen Historiker Peter McGee) hat konsequenterweise bereits angekündigt, man wolle nicht klein beigeben, sondern die Angelegenheit gerichtlich entschieden haben; spätestens eben vom Bundesverfassungsgericht.

Sollte Bayern in letzter Instanz Recht bekommen, müsste man das als Demokrat freilich bedauern, weil dann ein weiteres Mal ein paar gefährdete Gefährliche den Sieg über viele politisch Interessierte davon getragen hätten – und die paranoide Mythenbildung sich ungehindert fortsetzen könnte. Andererseits wäre es ein durchaus hübscher Treppenwitz der Geschichte, wenn das Urheberrecht eines NSDAP-Verlags über ein paar Umwege dafür sorgte, dass dessen Publikationen gleichsam in dessen Namen verboten werden. Manchmal ist das Recht eben in jedem Fall gerecht.

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Geschrieben von

Katrin Schuster

Freie Autorin, u.a. beim Freitag (Literatur, TV, WWW)

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