Eigentlich mache ich mir nicht viel aus Fleisch. Genau genommen bin ich vor ungefähr zwei Jahren endgültig zum unideologischen Vegetarier geworden. In letzter Zeit zieht es mich dennoch des öfteren in die Metzgereiabteilung meines Supermarkts. Der Grund dafür heißt L. Brand und arbeitet dort als Verkäuferin. Das ist beinahe schon alles, was ich über sie weiß. Meine beiden zaghaften Versuche, über die Verkaufstheke hinweg ein Gespräch anzuknüpfen, wurden jeweils im Keim erstickt. Beim ersten Mal von einer Horde Rentnerinnen, die sich neben und hinter mir drängte und kollektiv die Hälse nach den besten Stücken reckte. Ich ließ mir unterdessen die Vorzüge eines Schulterstücks erläutern. Gebannt folgte ich jedem Fingerzeig der grazilen Hände, dann sahen mich ihre braunen Augen erwartungsvoll an. Im selben Moment ertönte links hinter mir eine gereizte Stimme: "Nu machense mal hinne, junger Mann. Träumen könnse in der Getränkeabteilung." Ich geriet ins Stottern, senkte den Blick, als müssten sich die passenden Worte irgendwo zwischen Kasseler und Aufschnitt finden. Als ich wieder zu mir kam, hatte ich zweihundert Gramm Kartoffelsalat im Einkaufskorb. Von L. Brand sah ich hinter einer Wand aus zeitlosen Mänteln nur noch den kastanienfarbenen Haarschopf.
Wofür das L wohl stand: Lara, Luca, Leila? Beim zweiten Mal hatte ich gerade Luft geholt, um zwanglos nach Kalbskoteletts aus artgerechter Haltung zu fragen, da wurde sie vom schlecht gelaunten Chefmetzger nach hinten gerufen. Mit bedauerndem Lächeln verwies sie mich an ihre Kollegin. Auch in den folgenden Tagen ergab sich keine Gelegenheit, meine reizende Angestellte in einem ungestörten Moment anzusprechen. Ich drückte mich an den Tiefkühlregalen entlang und tat so, als interessierte ich mich für die dort aufgeschichteten Schweinsohren, Kalbskopfsülzen und Hähnchenschlegel. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich, wie sie die Kunden bediente, mit den freundlicheren ein paar Worte wechselte und selbst die unerträglichsten unter ihnen mit ironischer Gelassenheit behandelte. Manchmal wirkte ihr Gesicht müde oder irgendwie abwesend. Von mir schien sie keine Notiz zu nehmen.
Ob das ihr Beruf war? Oder nur ein Job, mit dem sie eine finanzielle Durststrecke überbrückte? Ich malte mir aus, wie ich sie aus den obszön-rosigen Fleischgebirgen befreite, wie ich ihren bulligen Chef, der sich uns entgegenstellte, mit einem eleganten Täuschungsmanöver ins Leere laufen ließ. Ich wüsste eine Arbeit für sie, an einem gemüsebunten Marktstand, wo die Frühlingssonne ihrem Haar ganz neue Töne entlocken könnte.
Gestern habe ich nach ihr gefragt. Sie habe vor einer Woche gekündigt, hieß es, und sei für längere Zeit ins Ausland gefahren, nach Spanien. Um diese Nachricht angemessen zu betrauern, besorgte ich bei meinem Weinhändler zwei Flaschen besten Riojas. Ob ich was zu feiern hätte oder eher das Gegenteil, wurde ich an der Kasse gefragt. Auf das schelmisch-charmante Lächeln der neuen Aushilfe wusste ich plötzlich keine Antwort. Aber demnächst soll sie mir einmal genau den Unterschied zwischen Prosecco und Sekt erklären. Dass ich beides nicht besonders mag, erfährt sie dann noch früh genug.
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