Es sieht aus wie ein normales Computerspiel, dient aber einer militärischen Werbekampagne: Zwei Jungs, einer zehn, der andere elf Jahre alt, sitzen in einem Kölner Internetcafé. Sie spielen: The Army Game. Im Internet sind sie mit 20 weiteren Mitspielern verbunden, irgendwo in der Welt. Diesmal lautet die Mission, ein Terroristennest auszuräuchern. In die Spannung der Aktion versunken neigen die beiden ihre Köpfe näher an den Monitor, um gänzlich in den Soundtrack aus Schüssen und Explosionen einzutauchen. »Den habe ich erledigt«, ruft der eine. »Verdammt, mich hat es erwischt. Ich bin tot«, flucht sein Partner. Das kostenlose Spiel ist seit Wochen ein Hit für die Fangemeinde der Computerspiele. The Army Game wird Tag fü
wird Tag für Tag von mehr als 40.000 Servern weltweit angeboten und von Millionen Usern gespielt.Sponsor des Spiels ist die US-Army, die sich davon nicht nur pure Spielfreude erhofft, sondern vor allem neue Rekruten. Bis dato blieb es Konzernen wie Sony oder Sega überlassen, die energiegeladene, kindliche Begeisterung für »Ballerspiele» profitabel zu nutzen. Seit dem 4. Juli, pünktlich zum amerikanischen Unabhängigkeitstag, konkurriert das Projekt der amerikanischen Regierung nun mit den professionellen Spieleanbietern. Immer schon Vorreiter bei der zivilen Nutzung von militärischem Knowhow präsentiert sie The Army Game kostenlos im Internet. Das »Ego-Shooter«-Spiel wurde unter den strengen Augen von Militärausbildern und -experten entwickelt. Dem überaus erfolgreichen, in der Debatte um die Ursachen jugendlicher Gewalt ins Zwielicht geratenen Computerspiel Counter-Strike verwandt, spielt The Army Game aber nicht in einer reinen Phantasiewelt, sondern in realistischen Kriegsszenarien.Die Soldaten im Spiel verwenden Waffen, wie sie den US-Soldaten zur Verfügung stehen, sie tragen Original-Uniformen und erfüllen Missionen, die unmittelbar an die Konfliktschauplätze der Gegenwart erinnern. The Army Game will »die realistische Erfahrung des Krieges im Internet vermitteln«, schwärmen die Produzenten vom MOVE Institute stolz. Dass die sogenannten Advergames als Werbeplattform genutzt werden, ist nichts Neues; Toyota, Nike und Sony machen das längst. The Army Game, mit dem die US-Militärs die Begeisterung für den professionellen Dienst mit der Waffe neu beleben wollen, ist bis heute allerdings der weitreichendste Versuch dieser Art. Gleich nach dem Spiel werden die Spieler auf die entsprechenden Webseiten gelenkt, die sie direkt mit dem Rekrutierungsbüro verbinden.Von der neuen Form der Kundenwerbung versprechen sich die Verantwortlichen nicht nur verbesserten Zugang zur jugendlichen Klientel, die Spielforen des Internets zu nutzen, ist auch extrem kostengünstig. »Wenn wir es ökonomisch betrachten, wird der Erfolg erst richtig deutlich: Die Armee gibt jedes Jahr mehr als zwei Milliarden Dollar für die Rekrutenwerbung aus. Die Kosten des Spiels sind 40 mal niedriger als der Etat eines einzigen Fernseh-Werbespots«, begründet Michael Zyda vom MOVE Institute die Bereitschaft der Army, in die Spielentwicklung zu investieren. Auch wenn noch nicht abschließend geklärt ist, welchen Anteil das Army Game daran hat, dass zur Zeit die Rekrutierungszahlen sprunghaft ansteigen, erhält das MOVE Institute nun aus Washington weitere Mittel zur Fortentwicklung virtueller Schlachtfelder.Der eigentliche Erfinder des Army Games ist der Militärökonom Casey Wardynski. Sein Sohn brachte ihn auf die Idee, die Begeisterungsfähigkeit der Jugendlichen fürs Internet und die Spielforen zu nutzen. Mit realitätsnahen Szenarios und einer attraktiven Gestaltung der Krisenschauplätze will man die Spieler für sich einnehmen. Auf diese Weise gelangen in der vernetzten Welt des Dritten Jahrtausends die Krisenherde der Welt mit der Geschwindigkeit der Datenautobahnen simuliert ins heimatliche Wohnzimmer. »Ein Mitarbeiter unseres Teams kam jetzt aus Afghanistan mit Fotos und Videos zurück. Wir werden dieses Material verwenden, um eine Reihe von Orten zu kreieren, die den wirklichen Schlachtfeldern sehr nahe kommen werden«, verdeutlicht Colonel Junktiv die Inhalte des Strategiespiels.Vermutlich werden auch die Vorbereitungen für einen Krieg im Irak bald weiteres Bildmaterial für neue Spielversionen liefern: eine virtuelle Sandkastenschlacht als Zweitverwertung nach einer gefährlichen Realmission. Die Leidenschaft der Entwickler gilt dabei immer der Detailgenauigkeit. So darf jeder Soldat nur mit einer begrenzten Anzahl von Patronen ausgestattet sein, die dem tatsächlichen Kontingent in der US-Army entspricht. Rückstoßeffekte der Waffen unter den jeweiligen Bedingungen werden präzise in die Programme eingerechnet.Geradezu naiv mutet da schon manche Spielregel mit pädagogischer Absicht an: Falls einer der Spieler seine eigenen Kampfgefährten beschießt, landet er im Militärgefängnis und wird für zukünftige Missionen disqualifiziert. Der große Vorteil der virtuellen Welt gegenüber der realen: Man kann sich umgehend mit einem neuen Spielernamen wieder einloggen. Auf der anderen Seite nähert sich die Wirklichkeit immer mehr dem Spiel an, wenn die Technik es möglich macht, die realen Folgen kriegerischer Auseinandersetzungen von den Verursachern in immer größere Distanz zu rücken. Erst kürzlich wurde im Rahmen des Krieges gegen den Terror im Jemen eine neue ferngesteuerte Drohne getestet. Der Soldat, der diese fliegende Kriegsmaschine steuerte, saß sicher in Florida vor seinem Rechner und war per Satellit mit der anderen Seite der Welt verbunden.Die Veränderung der Kriegstechniken und -strategien selbst also legen den Gedanken nahe, dass auch für die Rekrutierung der zukünftigen Soldaten neue Zielgruppen in Frage kommen. Das herkömmliche Soldatenbild, mit dem die Armeen dieser Welt bislang werben, ist im wesentlichen geprägt von körperbetonten, »männlichen« Tugenden wie Härte und Ausdauer. Zunehmend aber wird es ergänzt durch eine Gestalt, die bislang der physische Gegenentwurf alles Soldatischen war: den »computernerd«, der den Mangel an Fitness und Disziplin durch datentechnischen Einfallsreichtum und Geschick am Joystick wett macht. Für die Weltmacht USA mit ihrer Spitzentechnologie bei der Kriegsausstattung liegt es schon lange nahe, sich die Computer- und Spielebegeisterung der Jugend zu Nutze zu machen.