Religion als Staatsraison

Integration Die Kritiker Christian Wulffs verkennen – ganz wie der Präsident selbst: Es gibt nur ein bürgerliches Recht und Gesetz, dem der Islam so egal ist wie das Christentum

Eines zeichnet sich nach Christian Wulffs Rede zum Tag der deutschen Einheit relativ klar ab: Wie kaum ein anderer Christdemokrat wäre er geeignet, die Option einer schwarz-grünen Zusammenarbeit auf Bundesebene authentisch zu verkörpern – läge diese nicht gerade in sehr weiter Ferne. Die Vermittlung zwischen grünem Bürgertum und moderner Christdemokratie scheint er für die Zeit seiner Präsidentschaft zum Programm erhoben zu haben.

Erstere Klientel beglückt er mit multikulturalistischen Statements, letztere mit einer interreligiösen Variante konservativer Integrationspolitik. Zwei Sätze seiner Rede stehen für diese Allianz: „Wenn mir deutsche Musliminnen und Muslime schreiben: ‚Sie sind unser Präsident‘, dann antworte ich aus vollem Herzen: ‚Ja, natürlich bin ich Ihr Präsident!‘“ und „Es ist Konsens, dass in Deutschland deutsches Recht und Gesetz zu gelten haben. Für alle – wir sind ein Volk.“ Einerseits gehöre der Islam zu Deutschland, andererseits müsse, wer „unser Land und seine Werte“ verachte, mit „Gegenwehr“ rechnen.

Der Widerspruch erfolgte prompt, kam aber hauptsächlich aus der CSU. In ihrem Namen rügte Norbert Geis, der Bundespräsident habe den Islam mit Christentum und Judentum gleichgesetzt, und Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer mahnte, aus „Religionsfreiheit“ dürfe nicht „Religionsgleichheit“ werden. Nichts auszusetzen hatte dagegen Renate Künast, sie fand Wulffs Rede „okay“. Tatsächlich klingen viele seiner Anregungen, als hätte sie ihm ein Pressesprecher der Grünen diktiert: Die Länder forderte er auf, „islamischen Religionsunterricht von hier ausgebildeten Lehrern“ einzurichten, und den Hinweis, wer in Deutschland lebe, müsse Deutsch lernen, ergänzte er durch die Forderung nach „mehr Unterrichtsangeboten in den Muttersprachen“. Auch sein wohlfeiles Plädoyer gegen die „Zementierung von Vorurteilen“ dürfte Grünen ebenso gefallen haben wie ökumenischen Christen. Einig sind sich alle in der Beschwörung einer „Kultur der Toleranz“, in der Muslime die „deutsche Kultur“ ebenso achten wie die Deutschen deren „islamische Wurzeln“.

Kulturalistisch argumentieren auch Wulffs Kritiker, die ihre Skepsis gegenüber dem Islam nicht mit dessen Verhältnis zur staatlichen Souveränität begründen, sondern mit dem Hinweis auf Deutschlands „christlich-jüdische Kultur“. Die Religionsausübung wird so unter der Hand von einer Privatsache wieder zur Frage der Staatsräson, scheint „Religion“ für Wulffs Verteidiger ebenso wie für seine Kritiker doch Prototyp von „Kultur“ überhaupt zu sein. In Vergessenheit gerät dabei, dass gerade die Säkularisierung der Religionsausübung zu einem privaten Recht dem Islam, in dem Religion und staatliche Gewalt zusammenfallen, weitgehend unbekannt ist.

Deshalb – nicht wegen seiner „kulturellen Fremdheit“ – lässt sich der Islam in der Tat nicht mit Christentum und Judentum gleichsetzen. Wulff aber geht es weniger um den säkularen Rechtsstaat als um das „Volk“, das durch „Werte“ zusammengehalten werde, zu denen hierzulande „deutsches Recht und Gesetz“ zählen. Wer sich zu diesem „Volk“ bekenne, dürfe auch seine „Kultur“ ausleben. Tatsächlich aber gibt es nur ein unteilbares bürgerliches Recht und Gesetz. Wer aus ihm ein „deutsches“ macht, hat es schon zur Hälfte aufgegeben.

Magnus Klaue schreibt im Freitag regelmäßig über aufgeklärtes Denken zwischen Skylla des Kulturalismus und Charybdis des Multikulturalismus

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