Religion ist privat, Islam ist politisch

Glaube In Berlin hat Seyran Ateş eine liberale Moschee gegründet. Lässt sie sich in Wien vor den Karren der FPÖ spannen?
Ausgabe 49/2018
Gründerin Seyran Ateş versucht in ihrer Moschee, einen moderaten und liberalen Islam zu vermitteln
Gründerin Seyran Ateş versucht in ihrer Moschee, einen moderaten und liberalen Islam zu vermitteln

Foto: John MacDougall/AFP/Getty Images

Vor dem Freitagsgebet in Berlin-Moabit lässt der Muezzin mit leiser Stimme sein „Allahu akbar“ erklingen, Gott ist groß! Dann predigt ein Imam über Goethe und den West-Östlichen Diwan, schließlich kniet die Gemeinde auf kleinen Gebetsteppichen und neigt den Kopf Richtung Mekka, ein Augenblick inniger Andächtigkeit.

Diese Innigkeit vollzieht sich vor Publikum. Man kann in die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee kommen, ins Hinterhaus der St.-Johannis-Kirche in Berlin-Moabit, um Muslimen bei etwas Privatem, beim Gebet, zuzugucken. Heute kommen auf neun Gläubige dreimal so viele Zuseher. Denn dieses Private ist politisch.

Die Gründerin der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee, Seyran Ateş, ist an diesem Freitag nicht hier in Moabit, sondern in Hamburg. Sie nimmt den „Marion Dönhoff Preis für internationale Verständigung und Versöhnung“ entgegen, Christian Wulff spricht die Laudatio. Ateş wird dafür ausgezeichnet, „für einen modernen, aufgeklärten Islam“ zu kämpfen, eben auch durch die Mitgründung der „liberalen“ Ibn-Rushd-Goethe-Moschee.

Die Moschee ist inzwischen eineinhalb Jahre alt, der harte Kern der Gemeinde ist auf 15 Mitglieder angewachsen. Das sind 15 von geschätzt viereinhalb Millionen Muslimen, die es in Deutschland gibt. Trotzdem hat das Neue, dass hier Frauen und Männer ohne Unterschied nebeneinander beten, dass Lesben und Schwule explizit willkommen sind und dass Frauen in die Rolle der Imamin und der Muezzinin schlüpfen können, Kritik bis hin zur Feindseligkeit hervorgerufen. Auch viel Beifall. Und noch mehr mediales Interesse.

Schon bald nach der Eröffnung habe die Gemeinde beschlossen, keine Kamerateams mehr zum Gebet zuzulassen und keine Besuchergruppen, die aus mehr als zehn Leuten bestehen, sagt Marlene Löhr, Gemeindemitglied und Pressesprecherin. Manchmal habe man kaum mehr Platz zum Beten gefunden, einige Gemeindemitglieder hätten sich beobachtet gefühlt, „wie im Zoo“. Dabei gehe es doch darum, eine religiöse Gemeinschaft zu sein, die zum Beten zusammenkomme, „keine politische Zurschaustellung von irgendwelchen Positionen“, sagt die Muezzinin Susanne Dawi.

Beides – Religion und Politik – verbindet sich allerdings in der Person von Seyran Ateş, der Gründerin, ohne die es diese Moschee nicht gäbe. Ateş, geboren 1963 in Istanbul und aufgewachsen in einem türkisch-kurdischen Elternhaus in Berlin-Wedding, verließ ihre Familie mit 17, wurde dann politisch sozialisiert in der linken Hausbesetzer-Szene in Westberlin. Zugleich studierte sie Jura, wurde schließlich Rechtsanwältin, Polit-Aktivistin und Frauenrechtlerin.

Ateş setzt sich seit Jahren gegen Zwangsehen, häusliche Gewalt und ganz allgemein die religiös oder kulturell begründete Unterdrückung der Frau ein. Im Jahr 1984, noch während des Studiums, arbeitet Ateş in einer Beratungsstelle für türkische und kurdische Frauen, als der Mann einer Klientin auf diese schießt und dabei Ateş lebensgefährlich verletzt.

Ateş braucht Jahre, um sich davon zu erholen. Sie wird trotzdem Anwältin. Und sie bleibt Aktivistin, auch wenn sie dafür bedroht und angegriffen wird. Zeitweise muss sie sogar unter Polizeischutz stehen. Ziel ihrer Kritik sind muslimische Verbände genauso wie etwas, das sie „Multikulti-Fanatiker“ nennt, also Linke und Liberale, die in Ateş’ Augen aus falsch verstandener Toleranz patriarchale Machtstrukturen und frauenfeindliche Zustände in migrantischen Milieus tolerieren oder ignorieren.

Doch die Polit-Aktivistin Ateş ist mit der durch sie ins Leben gerufenen Moschee nicht zu verwechseln. Es ist Ateş, die als Anwältin den Berliner Senat in Verfahren zum sogenannten Neutralitätsgesetz vor Gericht vertritt, jenem Verbot des Zeigens religiöser Symbole für Lehrerinnen und Beamte also, das de facto als Kopftuchverbot wirkt. In der Moscheegemeinde, so Marlene Löhr, gebe es dazu keine einheitliche Meinung.

Sie will doch nur reden

Es ist Ateş, die eine Petition für einen „säkularen Islam“ zusammen mit dem ehemaligen Bundesvorsitzenden der Grünen, Cem Özdemir, und einer Riege von sogenannten Islamkritikern wie der Soziologin Necla Kelek und dem deutsch-ägyptischen Islamismus-ist-gleich-Faschismus-Theoretiker Hamed Abdel-Samad als Erstunterzeichnerin unterstützt, nicht die Gemeinde. Und es ist Ateş, die auf Einladung der österreichischen Rechtsaußenpartei FPÖ nach Wien reist, um dort bei der „Freiheitlichen Akademie“ der Partei einen Vortrag zum Thema „Der politische Islam und seine Gefahren für Europa“ zu halten. Mit auf dem Podium: der österreichische Vizekanzler und Parteichef der FPÖ Heinz-Christian Strache.

Sie wolle nur reden, sagt Ateş während ihres Vortrags am 13. November. Dafür sei sie nach Wien gekommen. Denn die FPÖ sei eine demokratische Partei, sogar eine Regierungspartei, die von mehr als einem Viertel der österreichischen Bevölkerung gewählt worden sei. „Ich suche den Dialog“, sagt Ateş, „warum nicht auch mit Ihnen, Herr Vizekanzler?“

Zum Reden aber kommt Ateş in Wien erst, nachdem sie sich gerechtfertigt hat. Drei Viertel ihres Vortrages verwendet sie darauf, zu erklären, warum sie hier stehe und rede. Nach Bekanntwerden ihrer Zusage hatte es Kritik gehagelt. Hassmails, die bekommt Ateş regelmäßig. In diesem Fall aber gab es auch Kritik von Weggefährten: Ein Mitgründer der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee, der Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi, war als Gesellschafter der Moschee sogar zurückgetreten, weil er ihre Teilnahme an einer FPÖ-Veranstaltung nicht gutheiße. Er war das dritte von sechs Gründungsmitgliedern, die Ateş seit der Eröffnung verloren gingen.

Doch zurück nach Wien: Ateş sitzt im Kursalon Hübner im blauen Schein der Hintergrundbeleuchtung auf der Bühne und sagt, sie sei genervt davon, in politische Schubladen gesteckt zu werden. Warum solle man nicht mit Rechten reden? In einer „wehrhaften und wahrhaften Demokratie“, so Ateş, sollten der Dialog und die Diskussion im Vordergrund stehen. Sie sei eine Linke, sagt sie: „Ich werde nicht als Rechte aus dem Saal treten.“ Gelächter. „Und auch Sie werden den Saal nicht als Linke verlassen.“ Applaus.

Lässt sich Ateş instrumentalisieren? Oder glaubt sie, sie könne die FPÖ für ihre Agenda gewinnen? Immerhin hat sich die Freiheitliche Partei seit Jahr und Tag mit einer dezidiert islamfeindlichen Politik hervorgetan, aufgespießt von ihren Werbeslogans „Daham statt Islam“ und „Pummerin statt Muezzin“. Die Wirkung von Ateş’ Zusage und die ihres Vortrags auf die FPÖ-Anhänger und -Sympathisanten scheint klar: Es ist die Legitimation der islamophoben Politik der FPÖ durch eine eigentlich linke Aktivistin. Die für ihr Projekt einer liberalen Moschee in Deutschland gefeiert wird. Aber eben auch für ihre Kritik an den organisierten Islamverbänden.

War der Vortrag ein Erfolg? Seyran Ateş ist sichtlich genervt von der Frage. Sie sagt, dass es nie möglich sei, die Extremen vom Gegenteil zu überzeugen. Aber sie habe neue Themen setzen und Denkanstöße geben können, auch hier.

Ist eine Darstellerin verantwortlich dafür, wer ihr applaudiert? Tut der falsche Beifall ihrer Sache Abbruch? Und sollte sie etwas unterlassen, weil sie damit dem falschen Beifall in die Hände spielen könnte?

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