FREITAG: Im vergangenen Jahr war das erste Europäische Sozialforum in Florenz ein großer Erfolg. Was erwarten Sie vom zweiten Akt, der jetzt vom 12. bis 16. November in Paris stattfindet?
ERHARD CROME: Inhaltlich wird es ähnlich wie in Florenz, vielleicht noch ein bisschen umfangreicher und interessanter. Insgesamt sind 50 große Konferenzen geplant, dazu noch 240 Seminare und eine nicht mehr überschaubare Zahl von Workshops. Bis zu 60.000 Teilnehmer werden erwartet. Ob die zentrale Demonstration so groß wird wie letztes Jahr, ist wohl eher zweifelhaft. Schließlich haben in Florenz Hunderttausende Italiener auch gegen Berlusconi demonstriert. Paris empfängt das Sozialforum freundlich, aber zugleich sachlicher. Die französische Regierung wird nicht so pöbelhaft auf die Megaveranstaltung reagieren wie Berlusconi.
Steht zu befürchten, dass sich die Bewegung der Sozialforen, die in Porto Alegre begann, irgendwann tot läuft, weil die Diskussionen zwar spannend sind, aber der Einfluss auf die Politik doch sehr begrenzt bleibt?
Natürlich muss man damit rechnen, dass es auch wieder Phasen schwächerer Mobilisierung gibt. Das haben soziale Bewegungen nun mal so an sich. Bislang war allerdings die von Porto Alegre ausgehende Bewegung der Sozialforen ein einzigartiger Erfolg. Und im kommenden Jahr wird es in London auf jeden Fall wieder ein Europäisches Sozialforum geben.
Inwieweit wird das Verhältnis zwischen jugendlichem Protest und alten Gewerkschaften in Paris eine Rolle spielen?
Die Frage des Alters, ob jung oder alt, ist kein sinnvolles Kriterium, um die Bedeutung der Sozialforen zu erfassen, obwohl bei Attac und ähnlichen Gruppen der Anteil der Jugendlichen natürlich sehr viel höher ist als bei Parteien und Gewerkschaften. Interessant und historisch gesehen etwas völlig Neues sind die Sozialforen vor allem deshalb, weil sie unterschiedlichste Organisationen und Initiativen bis hin zu kirchlichen Kreisen zusammenbringen. Menschen, die sich ansonsten nur mit einzelnen Problemen beschäftigen, finden hier einen gemeinsamen Ort der Diskussion, den es sonst nirgends gibt. Was die Gewerkschaften angeht, so müssen sie ihrerseits auf die sozialen Bewegungen zugehen, wenn sich die historische Symbiose mit der Sozialdemokratie auflockert oder vielleicht irgendwann ganz zerbricht. Auf jeden Fall war das Interesse der deutschen Gewerkschaften, sich am Sozialforum zu beteiligen, deutlich spürbar.
Und wie steht es mit politischen Parteien? Haben sie bei der Vorbereitung des Pariser Forums versucht, Veranstaltungen für sich zu instrumentalisieren?
Im Prinzip nicht. Es gibt ja die Regeln der Charta von Porto Alegre, die besagt, dass Parteien auf dem Sozialforum eigentlich nichts zu suchen haben. Bei einzelnen Veranstaltungen können Parteienvertreter allerdings auftreten. Zwei Konferenzen dienen explizit dem Dialog mit der offiziellen Politik. So wurden etwa Politiker eingeladen, um über die Zukunft des europäischen Sozialstaates und über die Demokratie in Europa mit den Teilnehmern des Forums zu diskutieren.
Das Gespräch führte Hans Thie
Erhard Crome ist deutscher Vertreter in der Programm-Kommission, die das zweite Europäische Sozialforum in Paris inhaltlich vorbereitete
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