Sehr viel länger wird in diesem Kohletagebau in der Lausitz nicht mehr gearbeitet
Foto: Barbara Laborde/AFP/Getty Images
Noch arbeitet sich die F60 betriebsam durch die Grube. Unablässig lösen die drei Eimerkettenbagger der gigantischen Förderbrücke den Abraum von der Grubenwand und spucken ihn am Rand des Tagebaus aus. Direkt hinter der Grube steht – fast klein am Horizont – das Kraftwerk Jänschwalde. Hier wird die Kohle verstromt, aus den Kühltürmen steigt dicker weißer Rauch wie aus Trichtern empor. Die F60 ist 640 Meter lang, mehr als doppelt so lang wie der Eiffelturm, würde man ihn der Länge nach hier in der Lausitz in den Tagebau legen. Und die Maschine ist fast genauso alt wie der Tagebau selbst: 1978 wurde sie im benachbarten Lauchhammer vom Volkseigenen Betrieb TAKRAF gebaut.
Doch die Betriebsamkeit hier täuscht: Bald wird die F60 ih
die F60 ihr Stampfen und Zittern einstellen, Ende dieses Jahres wird die Kohleförderung in Jänschwalde – mehr als elf Millionen Tonnen Braunkohle wurden hier 2021 abgebaut – für immer zu Ende gehen. 2028 soll dann auch das Kraftwerk vom Netz gehen. Auf der Website der LEAG, die die Lausitzer Braunkohlereviere betreibt, stehen die Maschinen bereits zum Verkauf. Auch die F60 lässt sich erwerben.„Die aktuelle Stimmung unter den Beschäftigten ist ein bisschen diffus“, sagt Katrin Lösche. Mit 16 hat sie im Bergbau ihre Lehre als Elektrikerin gemacht, bis 2002 arbeitete sie in dem Beruf. Seitdem ist die 57-Jährige am Standort Betriebsrätin und Vorsitzende der Vertrauensleute der Gewerkschaft IGBCE, die im Lausitzer Revier einen Organisationsgrad von über 80 Prozent hat. „Es war ja schon lange geplant, dass wir zu 2023 langsam runterfahren. Man hatte ja die beiden Blöcke im Kraftwerk eingemottet. Jetzt ist alles wieder andersrum. Seit dem Ukraine-Krieg müssen wir mehr Kohle fördern, sollen arbeiten wie die kleinen Teufelchen“, sagt Lösche.Die Bundesregierung entschied als Reaktion auf die durch den Ukraine-Krieg ausgelöste Gaskrise, bereits abgeschaltete Kohlekraftwerksblöcke wieder hochzufahren. Nach einem vorherigen Rückgang der Kohleverstromung stieg sie so wieder auf über 30 Prozent am Gesamtstrommix. Die LEAG teilte im November mit, mehr als 800 neue Mitarbeiter:innen eingestellt zu haben.So geht KohleausstiegDie gegenwärtig 550 Beschäftigten im Tagebau Jänschwalde werden ab 2024 in den noch verbleibenden Tagebauen Welzow-Süd (Brandenburg), Nochten und Reichwalde (Sachsen) eingesetzt. Einige werden zur sogenannten Nachraumversorgung in der Jänschwalder Grube bleiben. Da viele Kolleg:innen ganz in der Nähe wohnten, sei das ein verbreiteter Wunsch, so Katrin Lösche. Die Lage sei aber momentan noch zu vage, um fest sagen zu können, wer wohin käme. Persönlich hänge sie schon sehr an ihrem Arbeitsplatz. Wenn die F60, auf der sie mal gearbeitet habe, dann den Dienst einstellen muss, sagt sie, „da reicht dann ’ne Packung Taschentücher nicht“.Die Entscheidung, den Tagebau nicht noch mal zu erweitern, gab die LEAG bereits 2017 bekannt. „Das treibt die Beschäftigten überhaupt nicht um. Das war auch ohne das Kohleausstiegsgesetz klar“, sagt Ute Liebsch. Sie leitet für die IGBCE den Bezirk Lausitz von Cottbus aus. „Nicht an unsere Kohle“ steht auf einem Bild, das auf dem Boden ihres Büros steht. „Das ist noch von einer Demonstration, die wir 2015 gemacht haben“, sagt sie. Die gelernte Keramikmalerin, 62, arbeitete schon zu DDR-Zeiten für die IG Chemie Glas und Keramik. Mit dem Bergbau kam sie erst nach der Wende durch die Fusion mit der IG Bergbau und Energie in Berührung. Im Nachgang sei sie dankbar für diese Erfahrung: „Wenn wir irgendwo eine Demo gemacht haben, konnte und kann ich mich immer auf die Bergleute verlassen.“Die DDR erzeugte ihren Strom zu mehr als zwei Dritteln aus Braunkohle, die wiederum fast in Gänze aus der Lausitz kam. Auf die Wende folgte der Strukturbruch: 1989 waren noch knapp 79.000 Menschen im Lausitzer Braunkohlebergbau beschäftigt. Schon 1992 waren es nur noch 39.000, und bis 1999 war die Zahl um 90 Prozent auf 8.000 gesunken. Andere Wirtschaftszweige in der Region, wie die Textilindustrie, wurden nahezu komplett abgewickelt. Aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit zahlte das Arbeitsamt bis in die 2000er Jahre an Menschen, die das Bundesland für eine Arbeit verließen, sogenannte Mobilitätshilfen von 2.500 Euro.„Jetzt, mit der Beschlusslage und den finanziellen Möglichkeiten, die durch das Strukturstärkungsgesetz den Kohleregionen gegeben werden, haben wir erstmals die Chance auf einen Strukturwandel und darauf, die Region ernsthaft neu aufzustellen“, sagt Matthias Loehr. Er ist Teamleiter des Projekts Revierwende. Revierwende ist eine Initiative des DGB, die im Anschluss an den Kohlekompromiss entstand, um diesen im Sinne der Beschäftigten umzusetzen. 17 Milliarden Euro sollen als staatliche Strukturhilfen in die Lausitz fließen. Jetzt baut die Deutsche Bahn in Cottbus ein Instandhaltungswerk mit bis zu 1.200 Arbeitsplätzen. Die Bereiche Universitätsmedizin, Wissenschaft und Forschung werden ausgebaut, der Bund verlegt einige seiner Behörden in die Region. Loehr sagt: „Das, was an Strukturmitteln auf den Weg gebracht worden ist, zieht Arbeitsplätze im fünfstelligen Bereich nach sich.“Da kommt kein Danke mehrWas derzeit statt zu Arbeitslosigkeit zu Arbeits- und Fachkräftemangel führt: Wenn ein Unternehmen Beschäftigte in die Arbeitslosigkeit entlässt, freut sich der Wettbewerber am Markt und nimmt sie gerne auf. Damit hat auch Uwe Schütze zu kämpfen: Den stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden für die Tagebaue Jänschwalde und Welzow-Süd beschäftigt aktuell vor allem der Personalmangel. „Während wir langsam runterfahren, die Älteren sozialverträglich nach Hause und in die Rente schicken, haben wir durch die enorme Nachfrage nach Strom Personalengpässe.“ Schütze kam mit 19 Jahren zum Tagebau, 2024 geht er nach 47 Bergbaujahren in den Ruhestand. Über die Zukunftsperspektiven seiner Kolleg:innen sagt er: „Keiner wird ins Bergfreie fallen. Die jungen Leute werden definitiv was finden.“Für die Kumpel ist also gesorgt. Nun heißt es im Gesetz, dass spätestens 2038 Schluss sei. Die Ampel-Regierung hat aber ihr Vorhaben – idealerweise den Ausstieg bis auf 2030 vorzuziehen – im Rheinischen Revier durch eine Vereinbarung mit RWE bereits in die Tat umgesetzt. Das nährt auch in der Lausitz Unsicherheit und Zweifel. Nicht nur darüber, wie dann auch hier, wie im Rheinland, die vereinbarten Absicherungen angepasst werden müssten: Anpassungsgeld, Abfindungen, Weiterqualifizierungen. Sondern auch, was die Frage der Versorgungssicherheit angeht.„Die Kollegen fragen: Wo kommt denn dann der Strom her? Speichern können wir ihn momentan ja noch nicht“, sagt Betriebsratsmitglied Schütze. In seinem Büro hängt ein Fan-Schal vom FC Energie Cottbus: „Ohne Kohle keine Energie“. Studien, die einen erhöhten Strombedarf aufgrund des Ausbaus der Elektromobilität prognostizieren, lassen ihn ebenfalls daran zweifeln, dass sich Deutschland vor 2038 ohne Kohle ausreichend selbst mit Strom versorgen könnte. Wirtschaftsminister Robert Habeck hatte kürzlich versichert, dass ein Ausstieg vor 2038 nur bei gegebener Versorgungssicherheit in Frage käme. Dazu meint Betriebsratskollegin Lösche: „Solange dann auch die restlichen Gesetze eingehalten werden, dass niemand ins Bergfreie fällt, könnte man das vielleicht unterschreiben, aber ich kann’s mir nicht vorstellen, dass wir vorher so weit sind.“Zudem sei die Selbstversorgung wichtig, um den Strompreis möglichst niedrig zu halten. Das gelte für jeden Einzelnen, aber auch für den Wirtschaftsstandort, sagt IGBCE-Bezirksleiterin Liebsch: „Wir sind die Gewerkschaft, die energieintensiv ist. Wir müssen immer mitdenken: Haben wir noch günstigen Strom? Bleibt das Zementwerk in Deutschland? Bleibt die Gipsfabrik, die Reifenindustrie?“ Dass Tesla die Verschiebung von Teilen seiner Batteriefabrik von Grünheide in die USA mit dem „Inflation Reduction Act“ begründe, zeige, wie wichtig gute Rahmenbedingungen für die Ansiedlung und den Erhalt von wertschöpfender Industrie seien, die ein gelingender Strukturwandel voraussetze.Placeholder infobox-1Aber es geht auch noch um mehr. Die Lausitz ist eine Bergbauregion, die sich neu erfinden muss. Was heißt das für die Menschen? Für ihre Lebensleistung? Schütze sagt: „Bergleute sind stolz auf ihre Arbeit: was dafür zu tun, dass das Licht nicht ausgeht, dass die Leute es warm haben in ihrer Stube. Und jetzt sagt einer, euch brauchen wir nicht mehr.“ Lösche stimmt zu: „Der Beruf als Bergmann wird ganz schön in den Dreck getreten. Da kommt kein richtiges Danke, dass wir die beiden Blöcke wieder ausgestaubt haben und ans Netz gegangen sind.“ Früher sei das anders gewesen, „weil sie dann gewusst haben, wenn wir hier keinen Strom machen, dann ist es überall, auch im Kühlschrank, dunkel.“ Mit dem Kohleausstieg gilt das nicht mehr. Vor diesem Hintergrund, meint Liebsch, zögen einige Kolleg:innen „ein Ende mit Schrecken einem Schrecken ohne Ende“ vor. Aber, sagt Uwe Schütze: „Es ist nicht so, dass die Kollegen jetzt wie das Kaninchen vor der Schlange sitzen und warten, was passiert. Wir haben vor allem junge Kollegen, die schon von sich aus gekündigt haben und gegangen sind.“Einer der Jüngeren ist Alexander Keil. Er schlägt für ein Treffen ein Café am Cottbusser Altmarkt vor. Der 26-Jährige arbeitet im Kraftwerk Jänschwalde als Elektroniker für Betriebstechnik. Er macht sich über seine berufliche Zukunft keine Gedanken. Respekt hat er vor seinen älteren Kolleg:innen, die ihr ganzes Leben im Kraftwerk gearbeitet haben. „Für die ist das natürlich ein hochemotionales Thema.“Für die älteren Generationen scheint der Kohlekompromiss mit dem Ausstieg 2038 genau das zu sein: ein Kompromiss, der „erkämpft“ wurde und mit dem man „erst mal so zufrieden ist“, wie Katrin Lösche es ausdrückt. Doch auch wenn Uwe Schütze betont: „2030 ist nicht, wir brauchen den Vorlauf“, so fügt er doch hinzu: „Wenn man unseren Leuten sagt: ‚Wir können die Arbeitsplätze und die Energieversorgung ersetzen. Euch brauchen wir jetzt wirklich nicht mehr mit eurem schwarzen Gold‘, dann sagen wir Okay. Das ist ja bei aller Technik so.“Ein Bündnis zwischen Klimabewegung und Gewerkschaft wie andernorts gibt es in der Lausitz nicht. Doch Keil meint: „Gut, wir haben noch keinen Streik mit Fridays for Future gemacht, aber wir sind immer offen. Ein gemeinsamer Streik würde voraussetzen, dass wir wirklich einen Punkt hätten, auf den wir uns zu 100 Prozent einigen können. Wir sind uns zwar alle einig, dass der Kohleausstieg kommen wird, aber über die Jahreszahl und wie das genau gestaltet wird, nicht.“
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