Reserven im Kopf

Attac-Sommer-Akademie Aktionen allein reichen nicht

Die Welt, in der man lebt, zu begreifen, ist schwer, sie zu verändern noch viel mehr. Das zeigte die dritte Attac-Sommerakademie, die in diesem Jahr zum ersten Mail in Ostdeutschland, in Dresden, stattfand. In über 200 Seminaren, Workshops und zum Teil prominent besetzten abendlichen Podiumsdiskussionen bot sich den 600 TeilnehmerInnen vom 30. Juli bis zum 4. August die Möglichkeit, den globalisierungs- und ideologiekritischen Geist zu schulen, Meinungen im politischen Streitgespräch zu entfalten und (immer wieder eine schwierige Angelegenheit) nötigenfalls zu revidieren. Straßenaktionen und politisches Theater versuchten die Akademie nach außen zu tragen, was in gewohnt bunter und provokanter Weise gelang.

"Es ist auf jeden Fall interessant, ein so vielfältiges, buntes und streitbares Programm angeboten zu bekommen," sagt ein älterer Aktivist, hält aber auch seine Kritik nicht zurück. "Andererseits blockiert diese Vielfalt einen konzentrierteren Widerstand. Nicht selten werden Ansätze diskutiert, die längst nicht mehr zeitgemäß und erfolgversprechend sind." In der Tat ist es schwer, den Überblick zu behalten und klare Linien zu erkennen. Bei aller Leidenschaft der Debatten, auf den Fluren, den Treppen und im Schatten der Bäume der TU Dresden - manche Fragen wiederholen sich allzu oft und verlieren vielleicht irgendwann ihren Mobilisierungseffekt. "Wie können Weltbank und Internationaler Währungsfonds reformiert werden?" "Warum fehlen in Deutschland vielfältige Basisbewegungen wie in Spanien, Italien und anderen Ländern?" "Sind die Zielgruppen unserer Aktionen klar definiert?" "Vernachlässigen wir den internationalen Kontext im Zuge von Hartz IV?"

Die nach Münster und Marburg diesmal im tiefen Osten abgehaltene Sommerakademie sollte auch der Mitgliederwerbung in den neuen Bundesländern dienen. Bisher ist der Organisationsgrad von Attac im Osten Deutschlands gering. Von den bundesweit rund 15.000 Mitgliedern leben nur etwa 2.000 nicht im Westen der Republik, davon allein die Hälfte in Berlin. Polemisch könnte man sagen: Was die PDS innerhalb des Systems im Westen nicht schafft, gelingt Attac von außen im Osten auch nicht. Ob die größere Existenzangst oder die fehlende APO-Tradition das im Osten schwächere Engagement erklären - darüber wurde in Dresden immer wieder gesprochen.

Eine andere Frage begleitet das 1998 in Frankreich gegründete Aktionsbündnis Attac bereits seit längerem: Wie effektiv kann eine soziale Bewegung ohne gemeinsame theoretische Basis sein? Ist sie zur ziellosen Aktion gegen die herrschenden Verhältnisse verdammt und kratzt folglich nur an der Oberfläche oder beginnt sie, ihr Potenzial in spürbaren gesellschaftlichen Einfluss zu verwandeln? Beim Nachdenken über ökonomische Zusammenhänge und bei der Formulierung erkennbarer Alternativen, die sich nicht allein in dem alle einenden Slogan "Menschen vor Profiten" erschöpfen können, steckt Attac Deutschland auch im vierten Jahr seines Bestehens noch in den Kinderschuhen.

So zeigte ein Seminar über die Paradigmen des ökonomischen Diskurses, dass eine alternative Strategie, die Ökonomie und Ökologie nicht nur rhetorisch, sondern auch praktisch integriert, bisher nicht formuliert worden ist. Wie die Menschen Sprache zum gegenseitigen Verständnis benötigen, wird der außerparlamentarische Widerstand neue theoretische Werkzeuge entwickeln müssen. Dass man dabei das Spannungsfeld von "breiter Vermittelbarkeit und Horizonte öffnender Radikalität" beherrschen muss, sich darin aber auch verlieren kann, gehört zu den großen Herausforderungen der kommenden Jahre, denen sich Attac wird stellen müssen.

Auch wenn die Zeit drängt, die inhaltlichen Debatten weiter zu führen, wenn nötig scharf und kontrovers - Offenheit und Transparenz sollen die großen Vorteile von Attac bleiben. So kann man schnell und effektiv auf aktuelle Ereignisse reagieren, wie im Sommer am Beispiel der Vodafone-Steuertrickserei demonstriert worden ist. Vielleicht ist das bisher fehlende gemeinsame Band auch der Anfang einer fernen Politik in anderen Kategorien. Ein radikal individualistischer Ansatz, der, so paradox das klingen mag, frei kooperierende Kollektivität erst ermöglicht, ist schon längst das praktizierte Prinzip unter den Attacies und womöglich auch als gesamt-gesellschaftliches Konzept jenseits des National-Staates tauglich. Ein demokratisch-argumentatives "Ausmisten" im linken Denkkanon scheint dennoch geboten, damit man sich nicht ständig im Kreise dreht.


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