Abschied am Airport Brasilia – ein kubanischer Arzt vor dem Rückflug nach Havanna
Foto: Evaristo SA/AFP/Getty Images
La Chapada ist eine kleine Stadt im Süden mit gut 10.000 Einwohnern. Mitte November kam sie in die Schlagzeilen des brasilianischen Blattes Folha de S. Paulo. Ihr Bürgermeister hatte einem kubanischen Arzt den Posten des örtlichen Gesundheitssekretärs vorgeschlagen und den Ortsrat gebeten, das Gesetz zu ändern, da ein solches Amt bisher Brasilianern vorbehalten blieb. Die Antwort des Mediziners ist nicht bekannt. Vielleicht bleibt er, vielleicht ist er längst wieder zu Hause, wie die große Mehrheit seiner Kollegen, die bis eben in Brasilien tätig waren.
Seit dem 22. November pendeln zwei Il-96-300-Flugzeuge zwischen Kuba und Brasilien. Die Rückholung der Ärzte sei eine „Aufgabe gegen die Zeit und die Entfernung“, so der Journalis
;, so der Journalist Sergio Alejandro Gómez auf der Website cubadebate.cu, „es ist das erste Mal, dass eine Evakuierung in solcher Größenordnung stattfindet“. Eine Aktion nahezu über Nacht, ausgelöst durch Jair Bolsonaro, den Präsidenten in spe, der am 1. Januar offiziell antritt und jüngst erklärte, er wolle die „Sklaverei“, der die kubanischen Ärzte durch ihren Staat ausgesetzt seien, nicht unterstützen und die „Diktatur“ in Kuba nicht weiter finanzieren.Viel DankbarkeitDie Reaktion aus Havanna folgte prompt. Am 22. November startete die Rückholaktion. Es geht um 8.332 Ärzte, die über das riesige Land verteilt sind und aus irgendeinem Winkel zu den Abholpunkten Brasilia, São Paulo, Ciudad de Manaos oder Salvador de Bahia kommen müssen. Gefragt, was sie empfinden, wenn sie an ihre Patienten denken, antwortet mancher der Rückkehrer mit dem portugiesischen „saudade“, etwas zwischen Traurigkeit und Sehnsucht, zwischen Melancholie und Weltschmerz.2013 kamen die ersten Kubaner, gerufen über die Organización Panamericana de la Salud (OPS), mit deren Hilfe die Regierung der damaligen linken Präsidentin Dilma Rousseff das Programm „Más Médicos“ realisieren wollte. Bei der OPS handelt es sich um die weltweit älteste regionale Gesundheitsorganisation, 1902 gegründet und Teil der Weltgesundheitsorganisation WHO. Sie bündelte seinerzeit die Interessen und Bedingungen Brasiliens (Mitglied seit 1929) wie Kubas (Mitglied seit 1925) und schloss die Verträge. Die Kubaner erhielten Kurse über das ihnen fremde Gesundheitswesen, lernten ein wenig Portugiesisch und reisten an Orte, deren Namen sie nie gehört hatten. Dort lebten Menschen, denen mit frischen Sprachkenntnissen nicht beizukommen war – zu vielfältig die Dialekte.Im Amazonasgebiet erreichte mancher Arzt seine Patienten nur per Boot. Andere landeten bei den Ärmsten der Armen in den Favelas der großen Städte. Über die Einsatzorte entschieden die brasilianischen Behörden. „Ich traf auf Menschen, die eine medizinische Betreuung, wie sie in Kuba für Schwangere so selbstverständlich ist, nie erfahren hatten“, so der Arzt Orlando Cuéllar nach seiner Rückkehr. Obwohl er von zu Hause an mancherlei Engpass, vor allem finanzielle Defizite, gewöhnt sei, habe es ihm doch die Sprache verschlagen: so viel Armut, so viel Rückständigkeit. Und dann, nach dem Sich-Einleben und Einarbeiten – so viel Dankbarkeit.Davon wollte Bolsonaro nichts wissen, als er jetzt ankündigte, das Projekt in wesentlichen Punkten zu ändern. Die Ärzte müssten ihre Qualifikation erneut nachweisen, sie sollten ihre Familien nachholen, zudem würde Brasilien das volle Gehalt direkt an sie zahlen. Mit anderen Worten: Der kubanische Staat habe sich aus allem herauszuhalten. Konsequenterweise bot Bolsonaro auch politisches Asyl an; es geht eben um gut ausgebildete Ärzte.Das Ganze wirkt wie eine Variation des Cuban Medical Professional Parole Program, mit dem die USA jahrelang kubanische Ärzte abwarben, bis Barack Obama es am Ende seiner Amtszeit kurzerhand strich. Es sei für niemanden ein Geheimnis, so kubanische Medien, dass die medizinischen Leistungen auch eine Einnahmequelle seien, um tägliche Probleme zu lösen, denen sich das Land gegenübersehe. Und das Gesundheitsministerium teilt mit: „Der Teil der Gelder, der über die OPS an Kuba gezahlt wird, geht nicht auf die Konten irgendwelcher Unternehmen oder Einzelpersonen, sondern fließt in das Gesundheitswesen für die Kubaner (inklusive der Familien von Ärzten im Auslandseinsatz), in die medizinische Ausbildung und die Gehälter der Ärzte in Kuba.“ Wie auch in Einsätze, deren Kosten man selbst trage.Gegner abschießenDenn für die „misiones“, wie Kuba seine weltweiten Hilfsaktionen nennt, gibt es drei Modalitäten: Kuba übernimmt sämtliche Kosten, etwa bei Einsätzen der Brigaden „Henry Reeve“ nach Naturkatastrophen; Kuba und das betreffende Land teilen die Aufwendungen; schließlich: Wer kubanische Ärzte anfragt, bezahlt die Dienstleistung. Für einen „Arzt im Einsatz“ läuft in jedem Fall das Gehalt zu Hause weiter, dazu die Sozialversicherung für den Betreffenden und seine Familie. Erhalten bleibt stets auch der heimische Arbeitsplatz. Für die externe Mission wird ein „estipendio“ gezahlt, wozu es von kubanischer Seite offiziell keine Zahlen gibt (womöglich, weil die je nach Land und Vertrag unterschiedlich ausfallen). Bei den Angaben einzelner Mediziner ist von 3.000 Dollar als Monatsgehalt die Rede. Im Fall Brasilien würden davon etwa 900 Dollar an den Arzt gehen, der Rest an den kubanischen Staat.Nirgendwo sind Mediziner reine Humanisten. Wer sich als Kubaner für einen Auslandseinsatz entscheidet, will in der Regel helfen, er will lernen, und ja, er will auch verdienen. Aber jeder weiß, dass er dabei nicht reich werden kann, auch wenn mehr verdient wird als in der Heimat. Und jeder kennt das kubanische Konzept.So sind die meisten von der Reaktion ihrer Regierung in Havanna nicht überrascht. Auch nicht von der Schnelligkeit der Aktion. Mit dem Wahlsieg Bolsonaros war leise Furcht aufgekommen. „Der Trump der Tropen“, wie weit würde er gehen, dieser Präsident, der im Wahlkampf – mit einem Kamerastativ ein Maschinengewehr andeutend – gepöbelt hatte: „Lasst uns die Anhänger der Arbeiterpartei niedermähen!“ Wie würde sich das Land verändern? Vielleicht, weil Kuba damit rechnen muss, dass sich mit Bolsonaros Amtsübernahme die Beziehungen verhärten oder gar abgebrochen werden, soll die Rückholung bis zum 12. Dezember abgeschlossen sein.
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