Ausstellung Das Haus der Kunst in München richtet Joan Jonas eine große Retrospektive aus. Die 86-Jährige gilt zurecht als eine der einflussreichsten Performance- und Medienkünstlerinnen
Die rotbraune Pappmachémaske eines Kojoten, Steine und geschnitzte Tierskulpturen liegen in stummer Erwartung arrangiert wie auf einem Altar. Irgendwo weiter hinten im Museum dröhnt, klirrt und singt es. Die würdevolle Ruhe der Objekte im Eingangsbereich der Ausstellung von Joan Jonas im Münchner Haus der Kunst kann nur ein kurzer Prolog für ein Drama sein. Und so ist es in der gesamten Ausstellung auch tatsächlich abgedunkelt wie im Theater oder Kino, Installationen erscheinen als verlassene Bühnenbilder, überall flimmern Leinwände, ein Gewirr aus überlagerten Soundspuren bestimmt die Atmosphäre. Dass das Objekthafte im Kunstsystem von Joan Jonas buchstäblich als Ruhe vor dem Sturm bezeichnet werden kann, besiegelt dann auch glei
leich zu Beginn der Titel einer sehr frühen Videoarbeit der Künstlerin. Wind von 1968 ist als Schlüsselwerk prominent in der Münchner Retrospektive inszeniert. Der Film zeigt in körnigem Schwarzweiß eine Gruppe von jungen Leuten, die in dicker Winterkleidung am vereisten Strand von Long Island eine Choreografie aufführen, dabei aber mit massiven Böen zu kämpfen haben. Die ritualisierten Bewegungen der Performer*innen werden durch die Naturgewalt spannungsreich aufgeladen und zugleich humorvoll karikiert. Diese erste Videoarbeit nimmt vorweg, dass Joan Jonas bei aller Dramatik immer auch selbstironisch ist.Die 86-Jährige gilt heute zu Recht als eine der einflussreichsten Performance- und Medienkünstlerinnen. Frappant ist die Nähe zu jüngeren Positionen, etwa Pippilotti Rists Videos oder Camille Henrots digitalen Filmcollagen. Ab 1968 experimentierte Joan Jonas nach einer klassischen Ausbildung als Bildhauerin in Boston mit Aktionskunst, die sie von Anfang an auch in Hinblick auf filmische Aufnahmen konzipierte. Klassische Kunstformen hinter sich zu lassen, hatte wesentlich mit ihrem Umzug in den New Yorker Stadtteil Soho zu tun. Hier bildete sich in leer stehenden Industriebrachen ein neues Epizentrum künstlerischer Avantgarde heraus. Die feministische Befragung des weiblichen Körpers und unvorbelastete Medien wie Video spielten dabei vor allem für Künstlerinnen eine wichtige Rolle. Es ging darum, eine eigene visuelle Sprache zu finden, die nicht schon patriarchal besetzt war.In den frühen Arbeiten von Jonas, die im Haus der Kunst zu sehen sind, erkennt man außerdem ein starkes Interesse am Formalismus. Der omnipräsente (männliche) Minimalismus der 1960er-Jahre geistert hier noch durch Jonas’ Filme. Fragen, wie sich der Körper im Raum verhält und wie er sich durch das Spiel mit Requisiten, etwa Spiegeln, Stangen, Kreisen und andere Formen in neue, unterschiedliche Relationen versetzen lässt, zeugen zugleich von Versuchen, andere Wege auszuprobieren und die Transformation in den Fokus zu rücken. Gesprochene Worte sind in ihren frühen Filmen lediglich Geräusche neben anderen Sounds aus der Umgebung, etwa dem Hupen von großen Schiffen, dem Wehen des Windes oder Schritten im körnigen Sand. Erst ab Mitte der 1970er-Jahre geht Joan Jonas in ein multimediales Arbeiten über, in dem das explizit Erzählerische an Bedeutung gewinnt. Seither werden ihre Installationen und Filme von Mythen bevölkert, die Vergangenheit und Gegenwart, aber auch unterschiedliche Kulturräume umspannen. In der Performance Juniper Tree von 1976, die 1994 in eine Installation überführt wurde, verarbeitet Jonas das grausame Märchen Der Wacholderbaum. Eine Stiefmutter tötet ihren Stiefsohn und serviert ihn dem Rest der Familie. Blutrote Zeichnungen dominieren die Raumarbeit, die auch als Ort einer Hexenverbrennung gedeutet werden könnte. Auch ohne Bezug zu dem Grimm’schen Märchen ist klar, dass man als Besucherin Zeugin eines Verbrechens wird, zumindest müssen Exerzitien stattgefunden haben, die Opfer nach sich zogen.Eindeutig ist die visuelle Sprache von Joan Jonas wohl kaum. Überlagerungen und das Prinzip Collage sind entscheidende künstlerische Mittel. In den Arbeiten schichten sich neben Bedeutungen auch visuelle Effekte, zum Beispiel filmisch aufgenommene Performances mit neuen installativen Set-ups, in denen wiederum Performances stattfinden können. Insofern wird das zeitliche Moment des Erzählens und Wiedererzählens auch Teil von Jonas’ künstlerischer Praxis. Wie ein Mythos sind auch ihre Werke niemals abgeschlossen, sondern offene Systeme, die in unterschiedlicher Gestalt weitergesponnen werden können, im Kern aber doch Ähnlichkeiten aufweisen. Das wird besonders deutlich in Lines in the Sand, einer Arbeit, in der sich Jonas dem Helenamythos widmet. Der Raub der schönen Helena aus Sparta als Auslöser für den Trojanischen Krieg wird hier als Konstrukt verhandelt, als Vorwand, um einen Krieg aus wirtschaftlichen Interessen zu führen. Zwischen 2002 und 2004 entstanden, ist eine Parallele zum Irakkrieg naheliegend. Die kulturelle Rolle der Frau als Zankapfel, als Ursprung allen Übels wird in Jonas’ Helena-Adaption so auch mit einem exotisierenden Orientalismus verschränkt. Settings liefern ägyptische Landschaften und Las-Vegas-Kulissen der Pyramiden.Wieder blitzt ihr Humor aufDas erzählerische Moment in den Werken von Jonas ist kein Grund für stringente, lineare Darstellungen. Die überbordende, bewegte Bildsprache der Künstlerin wirkt unmittelbar, ist aber kaum sofort verständlich. Man muss in ihren Multimediainstallationen verweilen, um die Themen und Geschichten aufzuspüren.Placeholder image-1Die Natur, die schon in ihrem ersten Film Wind Protagonist spielen durfte, ist ein weiteres großes Thema, das in Jonas’ Arbeit in den letzten 20 Jahren immer zentraler wurde. Auch hier ist sie eine Vorreiterin, die sehr früh für die ökologischen Krisen unserer Zeit sensibilisiert hat und vor allem der Komplexität dieser Krisen gerecht geworden ist. Um die schlichte Verklärung eines scheinbar verloren gegangenen Urzustands von Natur kann es nicht gehen. Vielmehr findet das seit Menschengedenken überlagerte Zusammenspiel von menschlicher und nicht-menschlicher Materie im verschränkten Prinzip von Jonas’ Kunst eine Darstellungsform. Ihre performativen Multimediainstallationen können in diesem Sinne als wandelbare Ökosysteme beschrieben werden, die sich neuen Bedingungen anpassen. In ihren jüngsten Arbeiten koppelt Jonas ausdrücklich ihr künstlerisches System mit Aufnahmen natürlicher Ökosysteme. In der Arbeit Reanimation erforscht sie die Gletscherlandschaft Islands. 2012 war eine erste Variante auf der documenta 13 zu sehen. Weiterentwickelt bildet sie in München das Herzstück der Ausstellung und setzt sich nunmehr aus vier Videoprojektionen, einer Kristallskulptur, zwei Videoskulpturen und 18 Zeichnungen zusammen. Sie ist nicht nur visuell eine Überforderung. Als Gesamtkunstwerk verarbeitet sie zusätzlich Textmaterial des isländischen Nobelpreisträgers Halldór Laxness, umfasst eine Klavierkomposition des Musikers Jason Moran und Gesänge des indigenen Volkes der Samen. Die Arbeit hat die Kraft einer Lawine.2019 geht es schließlich mit Off the Land II von den Bergen hinab in die vielfältige Welt der Ozeane. Jonas’ Filmaufnahmen von Aquarien und Videos des Meeresbiologen David Gruber bilden den Hintergrund für Performances. In den Aktionen verschwimmen die Performer*innen scheinbar mit der Unterwasserwelt, reagieren auf die Projektionen und gehen zugleich ein in das Filmmaterial der bunten Tiefseevielfalt. Besonders schön ist eine Überblendung, in der Joan Jonas vor einem riesigen, dunkelvioletten Tintenfisch zeichnet. Sie hält ein großes zerknittertes Papier vor ihren Körper, auf dem sie mit einem roten Stift den Umrissen ihrer Gestalt nachgeht. Die fertige Frottage sieht dann ein bisschen aus wie ein Oktopus mit Saugnäpfen. Da blitzt wieder der Humor dieser „elektronischen Zauberin“, wie eine Arte-Doku sie nannte, hervor. Das ritualisierte Zeichnen, das ihr so leicht von der Hand geht, weil sie über diese Praktik jahrzehntelang die Welt erfahren hat, verselbstständigt sich zu einem unvorhersehbaren Moment, in dem die Künstlerin die tiefe Verbundenheit mit einer fremden Unterwasserwelt beschwört. Im Fall von Joan Jonas kann die Künstlerin einmal zu Recht als Schamanin bezeichnet werden, die dabei aber zu cool ist, um eine problematische Esoterikerin zu sein.Placeholder infobox-1
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