Retten, was zu retten ist

Hin zu einem neuen Irak Rashid Ghewielieb, Vertreter der Irakischen KP in Deutschland - bewaffnete Aktionen gegen die US-Besatzung dienen nicht der Befreiung des Landes

FREITAG: Wie viel hat der bewaffnete Widerstand im Irak gegen die Amerikaner noch mit dem ehemaligen Regime Saddam Husseins zu tun?
RACHID GHEWIELIB: Zunächst einmal: es handelt sich dabei um keinen Widerstand zur Befreiung des Irak. Die Akteure rekrutieren sich aus Resten des einstigen Machtapparates - das sind Saddam-Märtyrer, Mitglieder von Eliteeinheiten und Funktionäre der Baath-Partei. Diese Strukturen haben die Besetzung von Bagdad am 9. April unbeschadet überstanden, sie verfügen über Geld und Waffen. Das ist die Realität, und sie ist eindeutiger als je zuvor. Aber der Ring um Saddam schließt sich, wie der Tod seiner beiden Söhne zeigt.

Zugleich treten aber Fedayin vor die Kameras arabischer Sender und erklären, sie würden dafür Rache nehmen. Und sie tun es, wie sich zeigt.
Es gab natürlich im Irak Leute, denen das Regime Saddams 35 Jahre lang viele Vorteile gebracht hat. Jetzt sind sie mit der Besatzung konfrontiert und der Möglichkeit, dass der Irak - sollte er einmal seine Souveränität zurückgewinnen und wieder ein stabiler Staat sein - ein neuer Irak sein wird. Die ehemaligen Saddam-Eliten würden dadurch viel verlieren. Sie verteidigen mit ihrem Widerstand nicht den Irak, sondern ihre Interessen. Sie wollen retten, was zu retten ist, weil sie wissen - und ich glaube, da haben sie Recht -, dass sie im neuen Irak keinen Platz haben.

Wie bewertet Ihre Partei grundsätzlich bewaffnete Aktionen gegen die Besatzung?
Nicht viel anders als die anderen Parteien unseres Landes.

Also ablehnend?
Wenn ich die Realität und die Hintergründe dieses Widerstandes darstelle, versuche ich dadurch nicht, die Besatzung zu verteidigen oder zu legitimieren. Wir waren als KP gegen den Krieg und haben versucht, ihn zu verhindern, aber wir haben das - wie andere auch - nicht geschafft. Wir lehnen die Besetzung des Irak als Resultat des Krieges ab - doch ist sie eine Tatsache, die UN-Resolution 1483 hat die USA faktisch mit der Verwaltung des Landes beauftragt. Ich sage das bewusst in dieser Deutlichkeit, um im gleichen Atemzug zu sagen: Unser Hauptziel ist es, die Besatzung so schnell wie möglich zu beenden.

Weshalb ist Hamid Madschid Mussa, der Vorsitzende Ihrer Partei, in den von den Amerikaner jüngst installierten Provisorischen Regierungsrat eingetreten?
Wir haben mit anderen Parteien erreichen wollen, dass eine Nationalversammlung gebildet und eine Übergangsregierung gewählt wird, die sich der Normalisierung des Lebens bis hin zu freien Wahlen unter UN-Aufsicht widmet. Diese Absicht ließ sich gegenüber den USA nicht durchsetzen, die versucht haben, den Parteien nur eine sehr marginale Rolle einzuräumen. Nun ist dieser Provisorische Rat eine Zwischenlösung oder - wenn man so will - ein Kompromiss zwischen beiden Positionen.

Weshalb ist die KP nun eingetreten?
Man muss sich darüber im klaren sein, wie die irakische Gesellschaft derzeit beschaffen ist - sie hat 35 Jahre Diktatur überstanden, davon 23 Jahre Krieg. Unser Land stand kurz vor dem völligen Kollaps. In dieser Lage muss sich jede verantwortungsbewusste Partei zunächst um Stabilität und Sicherheit sorgen. Außerdem wollen die Iraker in ihrer übergroßen Mehrheit, dass es irgendeine irakische Struktur gibt, mit der sie selbst über ihre Zukunft entscheiden können. Wir betrachten den Rat als einen Schritt in diese Richtung und sind deshalb eingetreten - in Übereinstimmung mit der absoluten Mehrheit in unserer Partei. Welche Alternativen gäbe es denn? Wir können mit unserer Präsenz im Rat dafür sorgen, dass die Reste des Saddam-Regimes nicht wieder aufleben und keine fanatische Formation die Oberhand gewinnt. Wir haben bei alldem unser Ziel einer demokratischen Regierung nie vergessen.

Wovon hängt der Erfolg dieser Rates ab?
Von seiner Einigkeit, von der Option, weitere Kräfte zu integrieren, und der Akzeptanz durch die Bevölkerung.

Kann Ihre Partei derzeit im Irak legal arbeiten?
Wir sind zu 100 Prozent legal.

Von den Amerikanern akzeptiert?
Bisher hat die Besatzungsmacht noch keine politische Partei verboten. Ich will hier die Amerikaner keinesfalls in Schutz nehmen, aber manche Fakten sind im Irak anders als sie zum Teil in Deutschland oder anderswo gesehen werden.

Was müsste geschehen, damit Ihre Partei aus dem Regierungsrat austritt?
Wir sind nicht eingetreten, um darüber nachzudenken, wie wir wieder austreten. Wir kooperieren dort und fragen: Inwieweit ist dieses Gremium eine Möglichkeit, um die irakische Souveränität wiederherzustellen? Was kann der Rat für eine Normalisierung des Lebens tun? Ist er dieser Aufgabe gewachsen? Können wir unsere Positionen zur Zukunft des Landes darstellen? Gibt es auf diese Fragen nur negative Antworten, ist es logisch, dass wir für uns dort keinen Platz mehr sehen. Ich glaube aber, es ist sehr wichtig, sachlich mit der Lage im Irak umzugehen - eine linke, eine kommunistische Politik hat nur dann einen Sinn, wenn sie den Irakern etwas nützt.

Es gibt elementare Interessen der Menschen - die Versorgung mit Wasser, Strom, Medikamenten und Nahrungsgütern -, bei denen es offenbar keine Fortschritte gibt. Was kann der Regierungsrat in dieser Hinsicht tun, um den Irakern zu nützen?
Er muss diese Defizite zu überwinden versuchen, denn die Amerikaner haben dabei keinen Erfolg. Deshalb gestehen sie ja plötzlich den Parteien wieder eine begrenzte Rolle zu, sie tun das nicht zuletzt wegen ihrer strategischen Interessen in der Region und weil sie begriffen haben, dass es ein Fehler war, nach dem 9. April im Alleingang zu regieren. Wenn der Regierungsrat an Glaubwürdigkeit gewinnen und sich als politische Alternative zur Besatzung und zum einstigen Regime darstellen will, muss er alles tun, die von Ihnen genannten Probleme zu lösen.

Das Gespräch führte Lutz Herden

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