"Revis"

Im Bett der Bourgeoisie Eine Erinnerung

Mitte der siebziger Jahre - die griechischen Obristen hatten eben abgedankt und die alternative Vorhut der Touristikindustrie nahm die nun politisch korrekte Halbinsel wieder in Besitz - saßen wir in den kühleren Abendstunden zusammen und hielten "Schulung", den träg verbrachten Tag durch ideologische Aufrüstung sühnend. Das orangefarbene Bändchen wetteiferte dann mit der untergehenden Sonne und klärte uns - die Gruppe mag vielleicht 15 sehr junge Frauen und Männer umfasst haben - darüber auf, wie ein so viel versprechendes Experiment wie die Russische Revolution hatte schief gehen und eine so traurige Wirklichkeit wie die Sowjetunion hinterlassen können. Willi Dickhuts Restauration des Kapitalismus in der Sowjetunion kursierte damals als linkes Kultbuch und schien umso glaubwürdiger, als der Autor - Jahrgang 1920, in den fünfziger Jahren in die Ungnade der KPD gefallen und uns eigentlich unbekannt - die Hoffnung auf ein wahrhaft sozialistisches Morgen nicht aufgegeben hatte. Jedenfalls suchten wir dort nach dem Rüstzeug im alltäglichen Clinch mit den "Revisionisten", im politischen Alltagsjargon nur "Revis" genannt (und je nach Regionalzunge rollte das "r" etwas abfällig vorne oder hinten).

Wenn man von 1968 redet, darf man nicht nur von der RAF nicht schweigen, sondern auch nicht von den Zerfleischungen, in die sich die Linke wenige Jahre später verstrickte. Im Lager der sich ausdifferenzierenden maoistischen Kommunen mit den phantasievoll ausgehobenen K-Wortfeldern sowieso; diese aber geschlossen wiederum gegen die neu gegründete DKP, die man natürlich nicht mit der chinesischen Polemik über die Generallinie vor sich hertreiben konnte - denn wer kannte die schon? -, sondern der man sich satisfaktionsfähig erweisen musste in der Schule oder im Seminar, im Jugendzentrum oder im Betrieb. Denn natürlich kannte man sich, oft sogar gut.

Na, erhob mein alter Freund B. den Degen wenn er mich an der Bushaltestelle traf, schon wieder für die Revolution gelitten? Und es begann ein wilder Disput über die Sinnlosigkeit, einem "bürgerlichen Staat" Lehrstellen abtrotzen oder ihn mit Parolen wie Rüstung runter, Bildung rauf erpressen zu wollen. "Ihr legt euch ins Bett mit der Bourgeoisie!" und: "Ihr blöden Sektierer!", wurde ein solcher Krach dann häufig von der einen oder anderen Seite beendet. Passanten haben uns sicher für meschugge gehalten; uns aber war es todernst mit der strategischen Konkurrenz, die da zwischen annoncierter Weltrevolution und Reform ausgefochten wurde.

Natürlich war es damals leicht, sich in Straßendiskussionen zu distanzieren, wenn man mit dem obligaten "geht doch nach drüben" angepöbelt wurde; mit "drüben" hatte man ja nichts zu schaffen. Andererseits mussten wir aber auch feststellen, dass es den DKP-nahen Studenten- und Schülerorganisationen besser als allen anderen gelang, die wichtigen Ämter der Selbstverwaltungen und Mitbestimmungsorgane zu besetzen und hartnäckig zu verteidigen. Der gemäßigte Ton, die taktische Kompromissbereitschaft und eine - gemessen am damaligen Outfit der linksradikalen Jugend - äußerliche Anpassung prädestinierten die Vertreter von MSB oder SDAJ geradezu, als Verhandlungsführer mit dem "Feind" aufzutreten. Auch fanden ihre Jugendfestivals stärkeren Zulauf als unsere revolutionären 1.-Mai-Aufmärsche. Wobei uns die politische Bindungskraft der ersteren eher zweifelhaft schien.

Bündnisse gab es nur in den seltensten Fällen, auch wenn der Staat keine großen Unterschiede machte bei der Anwendung des Berufsverbots oder anderen Verfolgungsakten. Der ideologische Graben war einfach zu gewaltig, die gegenseitige Verachtung manchmal sogar handgreiflich. Vielleicht ist uns deshalb verborgen geblieben, wie ähnlich wir uns strukturell waren in Sachen Disziplin und Realitätsverkennung. Unsere "Revolution" löste sich dann ziemlich bald in der grünen Sammlungsbewegung auf; unsere Genossen mussten noch bis 1989 warten.

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