Revolution auf Raten

Bolivien Die vorgezogenen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen haben Evo Morales bis 2015 mit einer komfortablen Mehrheit versorgt. Er kann seine sozialen Reformen fortsetzen

Die Kokablätter, aus denen die Porträts von Evo Morales und Che Guevara im Empfangssaal des Palacio Quemado bestehen, sind längst nicht mehr grün. Ihre dunkle Färbung bezeugt auf symbolische Weise vier ereignisreiche Jahre, in denen die weiße Oberschicht Boliviens immer wieder versucht hat, den „schmutzigen Indio“ aus La Paz zu vertreiben. Nun gibt ihm eine überzeugende Wiederwahl frische Kraft – theoretisch kann Morales bis 2015 mit einer sicheren Mehrheit regieren. Seine Bewegung zum Sozialismus (MAS) verfügt künftig in beiden Parlamentskammern über eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Wohl noch nie war ein Staatsoberhaupt Boliviens so beliebt, so erfolgreich und so mächtig zugleich.

Was hatte man dem einstigen Lama-Treiber zu Beginn seiner ersten Amtszeit 2006 alles nachgesagt: Inkompetenz und Populismus würden der Andenrepublik eine Kapitalflucht, vielleicht sogar einen Bürgerkrieg, bescheren. Geschehen ist das Gegenteil. Weder vertrieb die Verstaatlichung des Gas-Business die Multis (stattdessen verdreifachten sich Einnahmen des Staates), noch zerbrach die Allianz zwischen einer linken Regierung und den sozialen Bewegungen, weil die Basis in kritischen Momenten stets ihr Mitspracherecht behielt. Selbst von der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds, nicht gerade ein Sympathisant staatlicher Eingriffe in die Wirtschaft, kommt Lob. Bolivien habe in der Weltfinanzkrise dank eines gesundeten Haushalts vier Prozent Wachstum und damit einen Spitzenwert in Südamerika zustande gebracht, zugleich die Armut mit Sozialprogrammen spürbar reduziert.

Mit bewundernswerter Geduld wird der Beweis angetreten, wie eine auf Ungleichheit gründende Gesellschaft gegen den gewalttätigen Widerstand der Oligarchie veränderbar ist – Schritt für Schritt, friedlich und per Stimmzettel. Die neue Magna Charta erklärt Dekolonisierung und Abkehr vom Neoliberalismus zum Staatsziel. Sie verbannt tradierte Privilegien, ohne das Privateigentum zu verteufeln. Eines der großen revolutionären Reformwerke, das Lateinamerika dem „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ näher bringt, gewinnt seit dem 6. Dezember 2009 weiter an Fahrt.


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