Kurz vor Ultimo stand der für den 21. Dezember 1975 geplante Überfall auf die OPEC-Konferenz in Wien offenbar auf der Kippe. So erzählte es den deutschen Behörden vor zwölf Jahren jedenfalls der Ex-Terrorist Hans-Joachim Klein. Die von Libyen avisierten Waffen für das Kommando des venezolanischen Topterroristen Carlos waren demnach noch nicht in der österreichischen Hauptstadt eingetroffen. Deshalb soll Sonja Suder – angeblich wie Klein Mitglied der linksextremen „Revolutionären Zellen“ (RZ) – ein mit Waffen und Sprengstoff vollgepacktes Auto von Frankfurt nach Wien gebracht haben. Letztlich sei dann nur der von Suder gelieferte Sprengstoff benötigt worden.
Kleins Erzählung steht ab Freitag im Mittelpunkt eines Strafprozesses vor dem Landgericht Frankfurt am Main. Es ist wohl das letzte Verfahren um den OPEC-Überfall von 1975, hinter dem der libysche Staatschef Muammar al Gaddafi gesteckt haben soll und bei dem drei Menschen starben. Sonja Suder, heute 79, muss sich wegen Beihilfe zum Mord verantworten.
Ob die Rentnerin in dieser Sache aber auch verurteilt wird, ist höchst fraglich. Denn mehr als Kleins Aussage, der in seinem eigenen OPEC-Prozess 2001 dank der Kronzeugenregelung einer lebenslangen Freiheitsstrafe entging, hat die Frankfurter Staatsanwaltschaft nicht in der Hand. Dass das ein bisschen dünn sein könnte, zeigt ein anderer Prozess. Vor zwölf Jahren hatten sich die Frankfurter Ankläger ebenfalls auf Klein verlassen und den RZ-Aktivisten Rudolf Schindler wegen dessen angeblicher Beteiligung am OPEC-Überfall angeklagt. Schindler wurde jedoch mangels Beweisen freigesprochen. Damals befand das Gericht, beim „Kronzeugen“ Klein habe wohl die Erinnerung an Sicherheit eingebüßt.
Diese Erinnerungssicherheit dürfte nun auch im Verfahren gegen Sonja Suder eine Rolle spielen. Und zwar nicht nur im Fall des Kronzeugen Klein. Denn in dem Frankfurter Prozess, in dem Suders Lebensgefährte Christian Gauger, 70, mitangeklagt ist, geht es auch um drei Anschläge der RZ, die Mitte der siebziger Jahre Sachschäden anrichteten. Suder und Gauger sollen daran beteiligt gewesen sein.
Verhör auf der Intensivstation
Die Ankläger berufen sich dabei auf die Aussage des früheren RZ-Aktivisten Hermann Feiling. Feiling war am 23. Juni 1978 schwer verletzt gefasst worden. Ein Sprengsatz, mit dem er ein Loch in die Mauer des argentinischen Konsulats bomben wollte, war zu früh explodiert. Noch auf der Intensivstation der Uniklinik in Heidelberg, wo Feiling beide Beine amputiert und die Augen entfernt werden mussten, wurde er von Staatsanwälten vernommen. Später setzten die Ermittler ihre Verhöre in den Polizeikasernen Oldenburg und Münster fort. Feiling machte umfangreiche Angaben über Mitglieder der RZ und wohl auch über Suder und Gauger. Später widerrief er sie allerdings. Nun wird mit Spannung erwartet, was er im Prozess sagt. Wobei die Verteidiger der beiden Angeklagten, die Kölner Anwälte Detlef Hartmann und Wolfgang Heiermann, bereits Zweifel am Beweiswert formuliert haben: Durch die Explosionsverletzungen und Schmerzen sei Feiling damals in seiner Erinnerungs- und Einsichtsfähigkeit stark eingeschränkt gewesen, argumentieren sie. Die Behörden hätten den Schwerverletzten zum Werkzeug von Ermittlungszielen herabgewürdigt und das Verbot unzulässiger Vernehmungsmethoden verletzt.
Sonja Suder und Christian Gauger hatten im August 1978 Deutschland illegal verlassen und waren in Frankreich untergetaucht. Dort schlugen sie sich unter falscher Identität als Flohmarkthändler durch. Mit den RZ hatten sie auch nach Auffassung der Ankläger offensichtlich nichts mehr zu tun. Im Jahr 2000 aber wurden sie in Paris aufgrund eines internationalen Haftbefehls aus Deutschland festgenommen. Nach drei Monaten kamen sie wieder frei, weil die Taten nach französischem Recht verjährt waren. Im Sommer 2007 unternahm Deutschland jedoch einen neuen Vorstoß mit einem europäischen Haftbefehl, und 2011 wurden Suder und Gauger tatsächlich nach Deutschland ausgeliefert.
Der schwerkranke Gauger wurde nach einigen Monaten aus der Untersuchungshaft entlassen. Suder aber sitzt bis heute im Gefängnis. Bei der letzten Haftprüfung attestierte das Frankfurter Oberlandesgericht der 79-Jährigen einen „besonders hohen Fluchtanreiz“.
Andreas Förster ist freier Journalist in Berlin
Kommentare 6
Wer das Sytem in Frage stellt und gar auch noch angreift, der darf nicht mit Gnade rechnen.
Wer als Neofaschist Menschen tötet, nur weil sie anders aussehen, kann mindestens mit der Schlampigkeit der dafür zuständigen Behörden rechnen.
Das Ziel der Gewalt macht den Unterschied bei der Reaktion der Sicherheitsbehörden des Staates darauf. Alles nichts Neues.
Dieses System garantiert die Pensionen von Ackermannern, also das Gegenteil von Humanität.
>>Das Ziel der Gewalt macht den Unterschied bei der Reaktion der Sicherheitsbehörden des Staates darauf.<<
Ja, es werden Signale für die Untertanen gesetzt:
Einerseits die jahrzehntelang währende konsequente Strafverfolgung durch den "starken Staat", andererseits die immer weiter perfektionierte "Schusseligkeit" der Behörden.
Siehe aktuell thematisch zu "Links weghauen, rechts wegschauen" auch auf den Nachdenkseiten die gestrigen 'Hinweise des Tages', die Abschnitte 'Friedrich will Linkspartei weiter überwachen lassen' und 'Wolfgang Bittner: Geheimdienste und Rechtsextremismus'.
Apropos "Zelle" zitiere ich aus dem Artikel Der Linken 'Als Kurt Eisner den "Freistaat Bayern" ausrief' (fette Hervorhebung von mir):
»Nach dem Ende dieser relativ kurzen sozialistischen Periode in der bayerischen Geschichte, die mit Eisners Ministerpräsidentschaft begonnen hatte, entwickelte sich Bayern zu einer konservativ-reaktionären „Ordnungszelle“ innerhalb des deutschen Reichs während der Weimarer Republik. In München begann in den 1920er Jahren, begünstigt durch eine nach der Revolution verbreitete antikommunistische und antisemitische Stimmungslage in der Öffentlichkeit, auch der politische Aufstieg Adolf Hitlers und seiner NSDAP.«
Die vorherrschende Stimmung dürfte zunächst Angst gewesen sein. Oskar Maria Graf hat ja beschreiben wie man in München schon weitem den Geschützdonner der Nosketruppe höerenkonnte, bevor sie in München einmarschierten. Und sie dann gewütet haben.
Auf der Angst vor der Gewalt und einer unmittelbar folgenden penetranten Propaganda konnte dann "das rote München" zur reaktionären Keimzelle des neuen Reiches umgebaut werden. Vollendet war das damals begonnene Werk 1933.
Und wir sollten uns nichts vormachen: Auch wenn zur Zeit noch nicht geschossen im Landesinneren: Es sind im Prinzipe immer noch die gleichen paar Familien, die die Macht innehaben. Wenn sie ihre Herrschaft nicht mehr anders erhalten können werden sie auch wieder schiessen lassen.