Der Weg nach Wünsdorf führt über baumgesäumte Straßen, durch Brandenburger Dörfer, so frisch saniert wie totenstill. Im „Waldstadttreff“, einem ehemaligen Pferdestall aus der Kaiserzeit, mitten im ehemaligen Sperrgebiet der russischen Armee, soll an Rosa Luxemburg gedacht werden. Es ist der 90. Jahrestag ihrer Bestattung, oder auch nicht. Draußen parken VW-Polos zwischen Tannen und Einfamilienhäusern. Drinnen blickt der Alte Fritz irre aus einem goldumrahmten Gemälde von der Wand. „Der Saal ist voll“, freut sich Organisator Carsten Preuß vom Kreisverband Teltow-Fläming der Linkspartei. Am Revers seines schwarzen Anzugs prangt ein kleiner roter Stern. Ohne die „Leiche in der Charité“ wären weniger zum Gedenktag gekommen, sagt Preuß.
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Kurzfristig hat er den Titel der Veranstaltung geändert. Eigentlich wollte man mit dem Luxemburg-Zitat „Die Demokratie ist unentbehrlich“ werben, nun steht eine sperrige Frage auf dem Programm: „Wurde der Leichnam Rosa Luxemburgs wirklich in Wünsdorf obduziert?“. Direkter hätte sich auch fragen lassen, ob der 13. Juni weiterhin als Datum der Bestattung gelten kann. Preuß formulierte aber lieber um die Ecke herum und brachte den Lokal-Bezug ins Spiel. Im Militär-Lazarett Wünsdorf soll Luxemburgs Leichnam nach der bisherigen Geschichtsschreibung untersucht worden sein. Das steht neuerdings auch in Frage.
Rosas Lehre interessiert, nicht ihre Leiche
Wichtige Experten hatte Preuß schon vor dem Wirbel um die Wasserleiche geladen. Ein glücklicher Zufall, wie er sagt. Doch die Experten spielen nicht mit. Der Historiker und Luxemburg-Herausgeber Jörn Schütrumpf ist sauer wegen der Titeländerung. „In der Pressemitteilung ist marktschreierischer Weise die Leiche breit getreten worden, und so etwas interessiert mich nicht“ wird Schütrumpf später bei einer Zigarette sagen. Einer Gedenkveranstaltung habe er zugesagt, an Spekulationen beteilige er sich nicht. „Die lebende Frau ist interessanter.“
Dementsprechend bleibt Schütrumpf bei seinem ursprünglichen Manuskript, präsentiert vor rund fünfzig, überwiegend weißhaarigen Zuhörern sozialistisches Erbgut aus dem frühen 20. Jahrhundert. Rosas Lehre ist sein Thema, nicht ihre Leiche.
Bis heute gelte es der „besonders perfiden Verleumdung“ zu entgegnen, Luxemburg habe in ihrer Politik auf den Terror gesetzt. Zum Beleg für das Gegenteil führt Schütrumpf eine Reihe von „Rosas Briefen“ an, in Auszügen vorgetragen von der Schauspielerin Regine Seidler. „Die proletarische Revolution bedarf für ihre Ziele keines Terrors. Sie hasst und verabscheut den Menschenmord“ schrieb Luxemburg. „…Sie ist kein verzweifelter Versuch einer Minderheit, die Welt mit Gewalt nach ihrem Ideal zu modeln, sondern die Aktion der großen Millionenmasse des Volkes, die berufen ist, die geschichtliche Mission zu erfüllen …“. Seidel, dem Anlass entsprechend im schwarzen Kostüm, stützt beim Lesen den Arm in die Hüfte, betont die Sätze kämpferisch, wenn nicht giftig. Zwischendurch spielt Schütrumpf Sequenzen von Beethoven ein, den Rosa Luxemburg für seine Entschlossenheit liebte. Einige Zuhörer schließen bei der Musik die Augen.
„Es war, als sei Rosa lebendig,“ sagt eine ältere Frau in der Pause, in der Schinkenbrötchen und amerikanische Muffins auf dem Buffet ausliegen. Natürlich habe sie Rosa Luxemburg nie live erlebt, sei aber schon immer tief beeindruckt von ihrem Mut, von ihrem Märtyrer-Tod gewesen. Eine andere Dame erzählt, sie sei als Kind vom Sofa aufgestanden, als das DDR-Fernsehen den Gedenktag für Luxemburg und Liebknecht übertrug. „Ich bin Kommunistin und ich bleibe Kommunistin, habe ich damals gerufen, zum Entsetzen meiner Eltern.“ Die DDR habe sich aber sehr weit von Rosa Luxemburgs Idealen entfernt, denkt die Frau heute.
Die Totenruhe ist das letzte Menschenrecht
Draußen in der Sonne – in einem benachbarten Garten wird gerade ein lautes „Prosit“ angestimmt – nimmt Schütrumpf doch noch zur Leichenfrage Stellung. „Ich weiß, die Medien sind ganz heiß darauf“. Er arbeite zurzeit an der Aufklärung. In Warschau vermutet Schütrumpf ein Buch Luxemburgs, in das die Botanikerin Pflanzen einklebte. Darin könnten sich auch DNA-Spuren finden, die eine Identifikation der Wasserleiche ermöglichen würden. Schütrumpf hält es für möglich, dass Luxemburg viele Jahrzehnte in einer Glasvitrine der Charite lag, auch wenn ihn der Gedanke graust, „nach allem, was man der Frau schon angetan hat“. Egal wer die Wasserleiche sei, sie müsse endlich ordentlich bestattet werden. „Die Totenruhe ist das letzte Menschenrecht.“
Von der skurrilen Leichendebatte könne Rosa Luxemburgs Werk aber nicht profitieren. „Es interessiert die Leute weiter einen Sch…, ich kann die Zahlen zeigen“, sagt der Verleger Schütrumpf. „Die Frau ist zu anspruchsvoll. Es ist den Leuten doch zu kompliziert, sich mit ihren Gedanken zu befassen.“ Ausschließen, dass er selbst noch zur Leichendebatte veröffentlichen wird, will Schütrumpf aber nicht. „Was in sechs oder acht Wochen ist, kann ich nicht sagen.“ Dann fährt Schütrumpf zurück nach Berlin, ohne seinen Nachredner abzuwarten, weil er sauer ist, dass die Gedenkveranstaltung bei dem Leichenrummel mitmischt.
Klaus Gietinger, Autor des Werkes „Eine Leiche im Landwehrkanal. Die Ermordung Rosa Luxemburgs“ erscheint nicht, er ist verhindert. Anders als Schütrumpf hält Gietinger an der bisherigen Version fest, wonach Rosa Luxemburg beerdigt wurde. Das blaue Kleid und eine Brosche der damals geborgenen Toten sprechen dafür. Es hätte also eine Art Historiker-Streit geben können, wäre nicht der eine abgerauscht und der andere überhaupt erst gekommen. Stattdessen ist Uwe Soukup da, Gietingers Assistent und Verleger, und hält stellvertretend eine Power-Point-Präsentation zu den komplexen Hintergründen des Mordes. Auf violettem Hintergrund erscheinen 90 Jahre alte Schwarzweiß-Fotos der Täter. Am Ende meldet sich ein Zuhörer zu Wort „Unser Gedenken an Rosa Luxemburg soll sich nicht an diesem Leichenrummel orientieren, sondern an dem was sie gesagt und geschrieben hat.“ Die Leute klatschen und schauen im Anschluss die Rosa-Luxemburg-DVD.
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