Rigorose Stücke, kleine Blenden

Musikfest Das Berliner Musikfest verknüpft in diesem Jahr ältere und moderne Musik. Die Veranstalter beweisen Gespür und scheuen sich auch nicht, extreme Angebote zu machen

Am Montag ging das Musikfest Berlin zu Ende. Immens der Erfolg. Mit geringen Abstrichen ausverkaufte Häuser. Interessante, klug disponierte Programme. Spannungsvolle Schwerpunktsetzungen mit Schostakowitsch, Xenakis, Haydn. Aufhorchen ließen selten gespielte politische Werke von deutschen Komponisten: Helmut Lachenmanns Tanzsuite mit Deutschlandlied, Hanns Eislers Deutsche Sinfonie. Ein Musikfest, das es sich nicht bequem machte, sondern mit zum Teil extremen Angeboten ein „Zeitalter der Extreme“ besichtigte. Sodann hohes Geschick, ältere Musik mit moderner sinnvoll zu verknüpfen. Welch eine Bilanz.

Den Schlusspunkt setzte die Junge Deutsche Philharmonie unter Susanna Mälkki, einer jungen, früh berühmt gewordenen Dirigentin aus Finnland. Man sagt ja solche Vokabeln nicht gern, aber es ist immer wieder hinreißend, wie die jungen Musikerinnen und Musiker des Orchesters jenseits aller Routine ihr Können, ihr ungebärdiges Engagement demonstrieren. Haydns Londoner Sinfonie, seine letzte und vielleicht reifste sinfonische Arbeit, ging so leicht, so wunderbar affiziert vom Reichtum klassischer Sinfoniegestaltung über die Bühne, dass es einem wonniglich über den Rücken ging. Desgleichen Bernd Alois Zimmermanns Nobody knows de trouble I’ve seen, Konzert für Trompete und Orchester mit dem Solisten Marco Blaauw. Die für Zimmermann typische Polystilistik des Werkes – Spiritual, Rhythmen des Jazz, Choral – serielle Abläufe treten zu einer Einheit zusammen, kam beim Publikum erstaunlich gut an. Nicht minder Enno Poppes Markt für Orchester, das jüngste Werk des 40-Jährigen, das im Schlusssatz ein auf fernöstliche Topoi gestütztes Ritual aufbaut, entwickelt aus einer melodischen Zelle, die immer weiter ausgreift. Das rigorose Stück verklingt mit einer langen Blende.

Elf Sinfonien Schostakowitschs kamen auf dem Musikfest zu Gehör. Durchsichtig wurde eine bisweilen jäh sich verändernde Landschaft, Musik, so zerklüftet wie ebenmäßig, so monumental wie schlicht. Man konnte sich ein Bild machen, auch vom Stand der Interpretation. Schostakowitschs kurze Neunte, entstanden 1945, Europa war befreit, ist denkbar unheroisch, teils geformt wie ein freies, leichtes, Trauerepisoden einbindendes Charakterstück. Und so musizierte es das BBC Symphony Orchestra unter David Robertson in der Philharmonie auch. Kurt Masurs (Foto) Dirigat der Siebten mit dem London Symphony Orchestra entsprach dem Charakter des Werks als Antikriegssinfonie. Mit demselben Orchester dirigierte Valery Gergiev die 11. Sinfonie: Das Jahr 1905, wie die Zwölfte nicht unbedingt ein Wurf, eher in weiten Zügen ein monumentaler Schinken.

Einer der Höhepunkte war die Aufführung der chorsinfonischen Deutschen Sinfonie von Hanns Eisler auf Texte von Brecht: über Ausbeutung, Faschismus, Klassenkampf, die zu eindeutig, als dass man sie ummodeln könnte, so wie die Programmheftschreiber versuchten den bekennenden Revolutionsanhänger Schostakowtisch zu einem heimlichen Dissidenten zu machen, der er nicht war.

Der Gestus von Eislers Musik, stets auf Deutlichkeit bedacht, ist erhellend noch in den frei dodekaphonisch komponierten Gesangsteilen und orchestralen Abschnitten. Das Deutsche Symphonie-Orchester unter Ingo Metzmacher, der Rundfunkchor Berlin (Einstudierung Gerd Müller-Lorenz) und die Solisten Christa Mayer, Matthias Goerne und Thorsten Grümbel demonstrierten Engagement fürs Werk.


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