RIP Internet

Uploadfilter Die im Europaparlament verabschiedete Urheberrechtsreform stärkt die Interessen reicher Konzerne – zu Lasten von Künstlern, Aktivisten und nicht zuletzt Privatpersonen

Mein Freund Patryk reist viel um die Welt. Mit seinem iPhone filmt er sich gerne in Selfie-Pose und erzählt seinen daheim gebliebenen Freunden und Verwandten von seinen neuen Eindrücken in den Straßen von Phnom Penh, berichtet direkt vom Gipfel eines aktiven Vulkans oder filmt sich in der vollgepackten Shanghaier Metro. Doch letztere wurde ihm kürzlich zum Verhängnis. Sein neuestes Video wurde wegen „mutmaßlicher Urheberrechtsverstöße“ von Youtube gelöscht – nur wenige Sekunden, nachdem er es hochgeladen hatte.

Dabei war sich Patryk keiner Schuld bewusst. Ein erneuter Versuch, das Video hochzuladen, scheiterte ebenfalls. Was war geschehen? Gemeinsam haben wir uns seine Reportage mehrmals angesehen, konnten zunächst nichts Auffälliges entdecken. Doch langsam dämmerte es uns. Die Shanghaier Metro spielt auf ihren Bahnsteigen klassische Musik über Lautsprecher ab – wohlmöglich um Obdachlosen das Schlafen in der Station zu vergraulen. Während Patryk nun in die Kamera sprach, von seinem Schlafmangel, scharfem Essen und neuen Freundschaften berichtete, war eben jene Musik noch leise im Hintergrund vernehmbar. Leise, aber eben doch vernehmbar.

Uns war die Musik zunächst gar nicht aufgefallen. Für das automatisierte Filtersystem von Youtube waren die wenigen Klänge hingegen eindeutig eine Verletzung von Urheberrechten. Das Video wurde umgehend und ohne Rückfrage entfernt. Wem durch diesen Umstand geholfen ist? Wir wissen es nicht. Nun lässt sich über den kulturellen Wert von Patryks Berichten sicher streiten. Doch was wäre gewesen, wenn Patryk von politischen Missständen, einer Demonstration oder Polizeigewalt berichtet hätte? Wäre das öffentliche Interesse an seinem Video nicht ungleich größer als sich der striktest möglichen Auslegung des Urheberrechts zu unterwerfen?

Recht auf Remix

Es sind Überlegungen wie diese, die Internetaktivisten, Bürgerrechtler und Netz-Experten dazu veranlassen, eine Modernisierung des tradierten Urheberrechts zu fordern. Kleine Ausnahmen für private Inhalte, ein „Recht auf Remix“, welches den kreativen Umgang mit Netz-Inhalten ermöglicht oder die Legalisierung beiläufiger Musikeinspielungen wie in Patryks Fall — kleine Stellschrauben zur Verbesserung der Situation wurden jahrelang unter den Experten diskutiert. Nun sollten sie in die große Reform des Urheberrechts der Europäischen Union einfließen.

Doch der Traum eines Urheberrechts, das sich an den Nutzungsgewohnheiten des 21. Jahrhunderts orientiert, ist seit diesem Mittwoch ausgeträumt. In der finalen Copyright-Schlacht im Europäischen Parlament haben sich letztlich die Interessen der Film- und Musikindustrie durchgesetzt. Statt kreativer Ausnahmen sind die Regeln strikter, ihre Auslegung enger und die Strafen höher geworden. Filtersysteme wie das von Youtube bereits freiwillig installierte werden nun auf nahezu allen Internetplattformen Einzug halten, auf denen Nutzer Texte, Bilder oder Videos einstellen können.

Problematisch wird dies vor allem für unabhängige Journalisten, junge Künstler – oder Privatpersonen wie meinen Freund Patryk. Sie alle können sich keine eigenen Verbreitungskanäle leisten und verfügen über keine Rechtsabteilung, um gegen eine unberechtigte Löschung vorzugehen. Es steht zu befürchten, dass das Internet noch weiter von den Inhalten der großen Medienkonzerne dominiert wird und der Anteil von kreativer Kunst, unabhängigen Journalismus und privater Beiträge zurück geht. Das einst so emanzipatorische Medium wird so schrittweise zur reinen Konsum-Maschine umgebaut. Statt eine Mitmach-Gesellschaft zu ermöglichen, ebnen die neuen Regeln den Weg zur Rückkehr des klassischen Fernsehers mit seiner passiven Konsum-Kultur. RIP, Rest in Peace, old Internet.

Nikolas Becker ist Freiwilliger der Wikipedia-Bewegung, die sich politisch für den freien Zugang zu Wissen und Informationen einsetzt und sich aktiv in die Urheberrechtsdebatte einmischt

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