Vor zwei Wochen lancierte der 42-jährige Rishi Sunak seine Kampagne für die Tory-Führung. Präsentiert wurde ein geschliffenes Video, mit dem es das übliche Portfolio aus beneidenswerten Charakterzügen, politischen Zielen und Wertvorstellungen zu bewundern gab. Es fielen Worte wie Patriotismus, Ehrlichkeit, Chancengleichheit. Tage später kursierte in den sozialen Medien ein zweites Video, das den Anwärter fürs höchste Partei- und Regierungsamt von einer etwas anderen Seite zeigte. Laut einstimmigem Fazit der Presse wirkte es „cringeworthy“ – höchst peinlich.
Zu sehen war der Ausschnitt aus einer 20 Jahre alten BBC-Dokumentation über das britische Klassensystem. Sunak, damals 21 Jahre alt und Student in Oxford, spri
ford, spricht darin zusammen mit seinen Eltern über deren Entscheid, den Sohn in die teure Privatschule Winchester zu schicken. „Ich habe Freunde, die Aristokraten sind, ich habe Freunde aus der Oberschicht, ich habe Freunde aus der Arbeiterklasse“, sagt Sunak, dann kneift er ein Auge zu und korrigiert sich schnell: „Na ja, nicht aus der Arbeiterklasse.“ Er sei Teil der „gesellschaftlichen Elite“. Das Video sorgte für viel Belustigung und diente seinen Gegnern als der perfekte Nachweis: Der Mann, der die besten Chancen hat, nächster Premier Großbritanniens zu sein, hat keine Ahnung vom Leben der Normalbürger – er kennt so gut wie keinen!Auf den ersten Blick kommt Rishi Sunak zwar nicht wie der stereotype Tory daher. Die Parteibasis ist mehrheitlich weiß und über 60 Jahre alt, Sunak hingegen ist deutlich jünger und indischer Abstammung. Aber abgesehen davon, ist sein Werdegang recht klassisch für einen Mann, der die Tories führen will. Sunak wurde 1980 in der englischen Küstenstadt Southampton geboren, seine Mutter führte eine Apotheke, sein Vater war Hausarzt. Laut Aussagen seiner damaligen Nachbarn, die in der Sunak-Biografie Going for Broke des Tory-Lords Michael Ashcroft (erschienen 2020) zitiert werden, war er ein eigentlich perfektes Kind: „lächelte oft“, „reizende Manieren“, einer, der in seiner Primarschule aufgefallen sei, erzählen ehemalige Mitschüler: „Man redete über ihn. Die Lehrer sagten: ‚Der wird noch mal Premierminister.‘ “Ob er selbst solche Aspirationen hegte, ist nicht bekannt, auf jeden Fall verträgt sich die Einschulung im Winchester College bestens mit dem Fernziel, eine politische Karriere zu machen. Die exklusive Privatschule, die einen Absolventen umgerechnet 50.000 Euro pro Jahr kostet, zählt so manchen späteren Minister zu ihren Alumni. Nach seinem Schulabschluss fuhr Sunak weiter auf der präferierten Schiene des Establishments: Er ging nach Oxford, um Philosophie, Politik und Wirtschaft zu studieren. Als Praktikant in der Wahlkampfzentrale der Tories sammelte er erste politische Erfahrungen. Danach ging es in die Hochfinanz.Zuerst als Investmentbanker bei Goldman Sachs, dann bei verschiedenen Hedgefonds häufte Sunak einige Millionen an. Im Oktober 2010 war er einer der Mitgründer des Finanzdepots „Theleme“, das auf den Kaimaninseln registriert ist, der notorischen Steueroase in der Karibik. Sunaks Vermögen wird mittlerweile auf 200 Millionen Pfund geschätzt. Das ist freilich recht bescheiden im Vergleich zu den Reichtümern seiner Frau Akshata Murthy, Tochter eines indischen Milliardärs, die Sunak 2009 heiratete. Allein Murthys Aktien am Unternehmen ihres Vaters sind über 400 Millionen Pfund wert.2014 folgte der Schritt in die Politik, Sunak wurde zum Tory-Kandidaten im Wahlkreis Richmond in Nordengland gekürt. Bei der Wahl im folgenden Jahr gewann er mit einer satten Mehrheit – Richmond versprach ein sicheres Tory-Mandat. Als bald danach die Debatten um den Brexit begannen, bezog Sunak klar Stellung. Er redete dem Ausstieg aus der EU das Wort. Als eigenständiges Land könne Großbritannien die Unternehmen von übermäßiger Regulierung befreien und Grenzen besser befestigen, hörte man – die klassischen Argumente der Establishment-Tories vom rechten Flügel.Als Boris Johnson seinen Brexit-Weggefährten im Februar 2020 zum Finanzminister machte, war Sunak noch eine weitgehend unbekannte Figur, was sich schnell änderte. Kurz darauf brach die Covid-Pandemie aus, und Sunak musste tief in die Staatstasche langen, um Millionen von Lohnabhängigen unter die Arme zu greifen. Plötzlich war er ein Superstar – die BBC produzierte sogar ein kleines Video, das Sunak in der Verkleidung als Superman zeigte. Schnell stieg er zum beliebtesten Minister in Johnsons Kabinett auf. Man handelte ihn als potenziellen Nachfolger.Aber je länger die Pandemie andauerte, desto klarer traten Sunaks ideologische Vorlieben – sprich: seine Abneigung gegen staatlichen Interventionismus – zutage. Der wöchentliche Zuschlag von 20 Pfund für Sozialhilfeempfänger etwa, den er zu Beginn des Gesundheitsnotstands eingeführt hatte, wurde vergangenen Oktober gestrichen – trotz der Forderungen von Armutskampagnen, ihn doch bitte beizubehalten.Als es um die Lebenshaltungskosten für viele Briten in diesem Jahr immer bedrohlicher stand, behauptete Sunak lange Zeit, dass der Staat überhaupt nichts ausrichten könne. Erst nach grassierender Kritik klaute er eine Idee der Opposition und führte eine Zufallsgewinnsteuer für Ölkonzerne ein.Spendabler ist er, wenn es um seinen eigenen Komfort geht. Im vergangenen Juli etwa wurde bekannt, dass er in seiner Villa in Yorkshire (er besitzt noch drei andere Häuser) einen privaten Swimmingpool, einen Fitnessraum und einen Tennisplatz bauen lässt. Insgesamt soll das Upgrade 250.000 Pfund kosten.