Natasa Micic, Serbiens 37-jährige Parlamentsvorsitzende, hat zum Jahreswechsel kommissarisch das Präsidentenamt übernommen, nachdem im Spätherbst 2002 die Entscheidung über ein neues Staatsoberhaupt zweimal wegen zu geringer Wahlbeteiligung vertagt wurde. Damit dauert die Machtprobe zwischen dem serbischen Premier Djindjic und dem jugoslawischen Präsidenten Kostunica an. Nach Auffassung von Dusan Janijic - er gründete 1990 das Belgrader Forum als Nichtregierungsorganisation(NGO) für ethnische Beziehungen - treibt Serbien wegen der köchelnden Regierungskrise einer riskanten Situation entgegen, die von der internationalen Gemeinschaft völlig ignoriert werde. Für ihn ist der Machtpoker Symptom einer Krise der postjugoslawischen Ordnung Se
ischen Ordnung Serbiens, der man unverzüglich durch eine Verfassungsreform begegnen sollte.FREITAG: Zwei wichtige Gruppen aus der Zeit des Widerstandes gegen Slobodan Milosevic, das Expertenteam "G-17plus" und die Bürgerbewegung "Otpor", haben angekündigt, sich in Parteien umzuwandeln. Ein Misstrauensvotum gegen die politische Klasse Serbiens, die eine Mitschuld an der Wahlmisere trägt? DUSAN JANIJIC: Die Ökonomen von "G-17plus" werden eine verantwortungsethische, aber neoliberale Partei gründen. Im Machtkampf zwischen Vojislav Kostunica und Zoran Djindjic werden sie wohl auf der Seite von Kostunica landen, weil sie ihre Wirtschaftskonzepte auf einer realen und sicheren machtpolitischen Basis durchzusetzen gedenken. "Otpor" versucht dagegen den freien Platz einer sozialdemokratischen Partei zu besetzen. Es gibt ja bei uns bisher keine erfolgreiche Sozialdemokratie, aber ein Wählerpotenzial dafür.Es läuft also gegen Djindjic. Nicht unbedingt. Der hat es allerdings versäumt, seine Reformen sozialpolitisch abzusichern. Deshalb wäre "Otpor" als Partei, sollte sie denn Erfolg haben, ein Partner für ihn. Djindjic und Kostunica müssen sich mit ihren Ambitionen schließlich immer auf Alliierte stützen. Sie werden nie allmächtig sein. Wenn Kostunica seinen Gegenspieler Djindjic schon nicht stürzen kann, will er ihn wenigstens im Parlament in die Defensive drängen, um Neuwahlen auszuschreiben. Dazu muss er einen Teil der zerfallenen DOS-Koalition - des einstigen Regierungslagers - auf seine Seite ziehen. Es gibt dort Kräfte, die dazu bereit sind. Djindjic ist aber seinerseits sehr geschickt darin, auch seine ideologischen und machtpolitischen Verbündeten zu halten.Wie sähe eine Lösung für die permanente Regierungskrise in Serbien aus? Unabhängig davon, wer Präsident Serbiens wird, fest steht: Unser politisches System funktioniert nicht. Wir brauchen dringend eine neue serbische Verfassung. Die alte stammt aus der Milosevic-Ära. Sie ist faktisch nicht veränderbar, weil dafür zu hohe Hürden aufgebaut wurden. Es kommt hinzu, ließen wir derzeit eine Verfassungsgebende Versammlung wählen, hätten die destruktiven Kräfte der Radikalnationalisten um Vojislav Seselj und die Milosevic-Sozialisten zu großen Einfluss. Daher bin ich auch gegen Neuwahlen.Sie beschreiben nichts anderes als das Dilemma serbischer Politik, das letztlich doch darauf hinausläuft, keine neue Verfassung zu bekommen. Sicher, aber genau wegen dieses Dilemmas müssen wir einen revolutionären Schritt gehen. Die neue, von der EU vermittelte Verfassung für die Union Serbiens und Montenegros setzt die Verfassung der Bundesrepublik Jugoslawien - also des Staatenbundes zwischen Serbien und Montenegro, den es faktisch nicht mehr gibt - außer Kraft. Daraus ergäbe sich eine Möglichkeit, die serbische Verfassung auszuhebeln. Wir könnten sagen, eine Novellierung der serbischen Verfassung stelle eine Anwendung des Belgrader Abkommens vom März 2002 dar - man müsse internationalen Verpflichtungen nachkommen. Hierfür brauchen wir jedoch die Hilfe der EU.Ein gewagtes Manöver. Glauben Sie, Brüssel spielt mit? Das ist der einzige Hoffnungsschimmer, obgleich die EU augenblicklich keinesfalls auf der Höhe der Ereignisse ist. Javier Solana flieht vor der Verantwortung. Was hat uns Brüssel im vergangenen Jahr malträtiert, um den gemeinsamen Staat mit Montenegro zu erhalten. Und jetzt? Was Serbien angeht: Funkstille. Das ist typisch für die europäische Politik. Sie wird wieder einmal zu spät kommen.Wie sollte in einer neuen serbischen Verfassung der Status Kosovos behandelt werden ? Die Verfassung, für die bereits Vorschläge existieren, sollte die Territorialfrage gar nicht behandeln. Sie sollte die Institutionen und die Machtverteilung sowie die Dezentralisierung des Landes unter Einschluss einer Autonomie der Vojvodina definieren. Was Kosovo betrifft, müssen jenseits der Verfassung in Kooperation mit der dortigen UN-Verwaltung (UNMIK) die gleichen Standards besonders hinsichtlich der Minderheitenfrage in Serbien und Kosovo erreicht werden. Wenn die gegeben sind, ist es irrelevant, ob Kosovo Bestandteil einer Konföderation mit Serbien und Montenegro ist oder sich nach einer gewissen Zeit als unabhängiger Staat konstituiert.Das Gespräch führte Heiko Hänsel