Ritter der Nation

Putin Zehn Jahre steht Wladimir Putin an der Spitze Russlands. Es sieht so aus, als sollte das noch lange so bleiben. Er vermittelt das Gefühl, sich um alles zu kümmern

Nicht einmal die Finanzkrise kann der Popularität des Ex-Präsidenten etwas anhaben. Mit symbolischen Strafaktionen hat es Wladimir Putin verstanden, auch in dieser kritischen Zeit Pluspunkte zu sammeln. So geschehen, als er Anfang Juni im nordrussischen Provinznest Pikaljowo den Oligarchen Oleg Deripaska dazu verdonnerte, Lohnschulden zu zahlen und die Produktion einer stillgelegten Zementfabrik wieder anzufahren. Derartige Auftritte hinterlassen Eindruck. Das kommt genau so an wie damals, als der gerade frisch ernannte Ministerpräsident Putin im September 1999 seinen von Terroranschlägen auf Moskauer Wohnhäuser verängstigten Landsleuten versprach, man werde die tschetschenischen Terroristen notfalls "bis aufs Klo verfolgen".

Am 10. August 1999 hatte der schwer kranke Präsident Jelzin den damals völlig unbekannten Direktor des Inlandgeheimdienstes (FSB) zum Premierminister ernannt. Russland befand sich gerade in einer schweren Staatskrise – innerhalb von kurzer Zeit hatte Jelzin mit Jewgeni Primakow, Sergej Kirijenko und Sergej Stepaschin drei Ministerpräsidenten verschlissen. Der Rubel verlor gegenüber dem Dollar ein Drittel seines Wertes. Doch damit nicht genug, am 7. August 1999 fiel eine Gruppe von bis an die Zähne bewaffneten islamistischen Extremisten von Tschetschenien kommend in nordkaukasischen Dagestan ein und wollte im Nordkaukasus ein Kalifat errichten. Am 1. Oktober befahl Putin den Einmarsch russischer Truppen nach Tschetschenien. Der Auftrag lautete, die Kaukasus-Republik, die seit 1997 in der Hand von Separatisten war, militärisch zur Räson zu bringen.

Gegenspieler der Oligarchen

Während der Privatisierungsperiode in den neunziger Jahren verloren Millionen Russen ihre Arbeitsplätze, zwei Finanzkrisen vernichteten damals Sparguthaben und entwerteten den Rubel. Vor diesem Hintergrund ist erklärlich, warum die Russen bereit waren und sind, Politikern wie Putin bevorzugt ihre Stimme zu geben, die Sicherheit versprechen und die Grundbedürfnisse des Lebens garantieren. Natürlich wäre vielen auch mehr Meinungsfreiheit nicht unrecht, aber ein Arbeitsplatz und ein voller Kühlschrank – dieses Interesse steht zweifellos an erster Stelle wie in anderen Staaten auch.

Dass die Oligarchen in den wilden Neunzigern riesige Vermögen anhäufen konnten, während Millionen arbeitslos wurden, kreiden viele der Russen den Demokraten an, die seinerzeit nicht die alleinige, aber ein hohes Maß an politischer Verantwortung trugen – man denke nur an den Ministerpräsidenten Jegor Gaidar (1992 im Amt). Putin machte sich als Präsident diese Stimmung zu Nutze, als er politisch ambitionierte Unternehmer, die seinen autoritär-zentralistischen Kurs der Korrekturen nicht mitgehen wollten, kalt stellte. Als prominentestes Opfer gilt bis heute der einst reichste Mann Russlands, Yukos-Chef Michail Chodorkowski, der seit Jahren eine Strafe wegen Steuerhinterziehung in einem sibirischen Arbeitslager verbüßt. Solange Wladimir Putin es schafft, den Russen ein Mindestmaß an Sicherheit zu garantieren, wird er mächtig bleiben. Seine Kritiker, die diesem Kurs misstrauen können sich derweil im Internet und einer Handvoll Oppositionszeitungen austoben.

Feuerwehrmann und Co-Pilot

Im empfindlichen Westen jagt Putin mit seinen oft lax dahingesagten Sätzen den Menschen immer wieder Kälteschauer über den Rücken. Zur ermordeten Journalistin Anna Politkowskaja meinte er lakonisch, ihr Tod schade Russland mehr als ihre Artikel. Auf der Wehrkundetagung in München drohte er vor zwei Jahren wortgewaltig mit Gegenmaßnahmen, sollte die NATO ihren Drang zur Ost-Ausdehnung nicht zügeln und Russland weiter wie ein im kalten Krieg besiegtes Land behandeln.

Doch das ist nicht der ganze Putin. Es gibt noch einen, wie eingangs mit dem Beispiel beschrieben, für den Hausgebrauch. Das ist der Feuerwehrmann, der überall dort in Russland auftaucht, wo es scheinbar unlösbare Probleme gibt. Diese Putin fliegt auf dem Co-Piloten-Sitz eines Kampfflugzeuges im März 2000 nach Grosny, um zu demonstrieren, dass Moskau Tschetschenien niemals hergeben wird. In stundenlangen Fernsehsendungen beantwortet er Fragen von Bürgern aus dem ganzen Land und verspricht einer älteren Russin, sich persönlich um ihre schlechten Wohnverhältnisse zu kümmern oder er mischt sich – wie vor einem Jahr – von der Eröffnung der Olympischen Spiele in Peking kommend, unter Flüchtlinge aus Südossetien, die sich aus dem Kriegsgebiet retten konnten.

In diesen Tagen erscheint von Ulrich Heyden und Ute Weinmann das Buch Opposition gegen das System Putin.
Herrschaft und Widerstand im modernen Russland
Rotpunktverlag Zürich
24,00; ISBN 978-3-85869-389-1

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