Robinson Crusoe

A–Z Vor 300 Jahren erschien Daniel Defoes Roman „Robinson Crusoe“. Sein Titelheld ist ja ein guter Freund dieser Zeitung, des „Freitag“! Anlass genug für unser Wochenlexikon
Ausgabe 17/2019
Robinson Crusoe

Foto: Imago Images/Prod.DB

A

Auswahl Nirgends wird so viel gelogen wie auf die Frage: Welche Bücher würden Sie auf eine einsame Insel mitnehmen? Denn die Ästhetik dessen, was man auswählt, soll stimmen. In David Gilmours Roman Unser allerbestes Jahr (direkt mein erster Tipp!) zeigt der Vater seinem Sohn ein Jahr lang jede Woche drei Filme, nachdem dieser die Schule abgebrochen hat. Gilmour wartet mit einem Kaleidoskop großer Filmkunst auf, wovon ich nichts verstehe. Ich halte mich also an die Literatur und empfehle: Thommie Bayer: Das innere Ausland; Fabio Volo: Zeit für mich und Zeit für dich; Tim Parks: Italien in vollen Zügen; Leon de Winter: SuperTex; Briefwechsel Handke/Unseld; Ronald Reng: Gebrauchsanweisung für London; Christiane Tramitz: Die Schwestern von Marzahn; Vivienne Gucwa: New York through the Lens (Sommer/Winter); John Grisham: Die Firma. Viel Spaß auf der Insel! Jan C. Behmann

H

Hiddensee 2014 schon ist der große Hiddensee-Roman von Lutz Seiler erschienen. Viel besser wurde es seitdem nicht mehr, wenn die Literatur die DDR-Vergangenheit in den Fokus nimmt. Das Buch erzählt von einer Freundschaft auf Hiddensee – kurz bevor die DDR verschwand. Diese so besondere Insel wird noch einmal als mythischer, poetischer Ort außerhalb der Zeit geschildert. „Kruso“, der Titel, stellt diesen Roman in die Gattung der Robinsonade – ist aber auch der Spitzname von Alexander Krusowitsch, dem der Protagonist Edgar Bendler auf der Ostsee-Insel begegnet. Vom Sommer 1989 bis in die Gegenwart reicht dieses Werk, welches das Leben der Saisonarbeiter und ihrer geheimen „Gemeinschaft der Erleuchteten“ genauso schildert wie die konkrete politische Sehnsucht der hier Gestrandeten, die allesamt auf der Suche sind nach der Freiheit. Mit seinem Debütroman schrieb Seiler sich direkt an die Spitze der zeitgenössischen deutschen Literatur (Deutscher Buchpreis 2014). Marc Peschke

I

Inselbegabung Es geht doch: sich über Nacht Klavierspielen selber beibringen, Musikstücke nach einmaligem Hören perfekt nachspielen können, 56 Sprachen fließend beherrschen, ganze Städte nach einem Rundflug detailgenau zeichnen, sich sowieso an alles erinnern und irgendwas in Sekundenschnelle bis auf die hundertste Nachkommastelle genau ausrechnen. Wer eine Inselbegabung hat, kann so was, dafür hapert’s dann manchmal im Zwischenmenschlichen. It’s lonely at the top. (Zusammen)Inselbegabten wird oft Autismus nachgesagt. Aber wer hat schon keine Defizite im Zwischenmenschlichen, und die meisten können trotzdem nicht mal gut rechnen, geschweige denn sich irgendwas merken.

Warum bloß ist es so schwer, sein Gehirn zu benutzen? Und wenn man es mal benutzt, fühlt man sich gleich so einsam. Die meisten Menschen versuchen noch nicht einmal, sich vom triebgesteuerten Tier zu unterscheiden, sie verstehen nichts und können nichts. Man muss nur einmal U-Bahn fahren oder an einem Samstagnachmittag ein Einkaufszentrum aufsuchen, um sich dessen gewahr zu werden. Da will man nur noch weg, auf eine einsame Insel zum Beispiel, aber da hört einem dann wieder keiner beim Klavierspielen zu. Ruth Herzberg

K

Kritik Bei der Lektüre von Max Webers Schrift zur protestantischen Ethik kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er Robinson Crusoe vor Augen hatte. Doch so asketisch, produktiv und missionarisch der Gestrandete auch ist – in die Wahrnehmung des „guten Wilden“ Freitag mischen sich auch selbstkritische Töne. Wie überhaupt sich westliche Autoren im Zuge europäischer Kolonialisierung der Relativität der eigenen Perspektive bewusst(er) werden. In Swifts Gullivers Reisen (1726) lernt der Protagonist, wie dehnbar Größe sein kann. Montesquieu lässt in den Persischen Briefen (1721) fiktive Besucher aus Isfahan über die Zustände in Frankreich diskutieren. In Diderots Nachtrag zu Bougainvilles Reise (1796) warnt ein alter Tahitianer seine Landsleute gar vor dem Niedergang der eigenen Kultur in Folge des aggressiven Vorgehens der Europäer. Behrang Samsami

M

Moon Das britische Kammerspiel Moon ist das Regiedebüt von Duncan Jones, dem Sohn von David Bowie. In der Zukunft wird der Energiebedarf der Erde zu einem Großteil durch Helium-3 gedeckt, das auf der erdabgewandten Mondseite abgebaut wird (Oeconomicus). Der vom brillanten Sam Rockwell gespielte Astronaut Sam Bell arbeitet allein auf der Basis. Dabei wird er von einer KI namens „Gerty“ unterstützt. Nach fast drei Jahren ohne direkten Kontakt zu anderen Menschen steht er kurz vor seiner Ablösung. Durch seinen Klon. Elke Allenstein

P

Pinsel Ich habe ihn über alles geliebt, und er begleitete mich durch meine Kindheit: James Krüss, sein Gedichtband Der wohltemperierte Leierkasten und vieles andere. Ich kann ihn noch immer auswendig, zum Beispiel den Robinson: „Ganz allein auf einer Insel / saß er unter heißer Sonn / jeder kennt den armen Pinsel / denn es ist der ...“ Dass mir der Robinson dann beim Freitag wiederbegegnen würde als regelmäßige Beilage, wusste ich damals natürlich nicht. Aber kennen Sie nicht manchmal das Gefühl, wie dieser „arme Pinsel“ ausgesetzt zu sein? Und sich dann mit Gedichten, die Sie irgendwann mal gelernt haben, bei Laune zu halten oder sich wieder einzutakten? Der Krüss’sche Weltkosmos macht fröhlich, nicht nur Kinder. Ulrike Baureithel

O

Oeconomicus Wenn Robinson Crusoe acht Stunden am Tag fischt, wie viele Fische kann er fangen? Und wenn er sich aufs Kokosnusssammeln kapriziert, wie hoch sind seine Opportunitätskosten? Kaum zu glauben, aber wahr: Der schiffbrüchige Brite diente von Anfang an als Modell fürs Wirtschaften. Natürlich auch dem Vater der Nationalökonomie, Adam Smith. Letzterem war Crusoe das Sinnbild eines Homo oeconomicus, eines rational agierenden Marktteilnehmers: Robinson arbeitet, um essen zu können (Survival). Wie viele Stunden am Tag also muss er arbeiten? Wie lange darf er ruhen?

Die Ökonomen sind regelrecht verliebt in die Idee der menschlichen Isolation: Die Insel ist ein Markt, Crusoe ist Konsument und Produzent zugleich. Leider hat er abgesehen davon gar keine Interessen. Fürs Lesen und Lieben ist kein Platz in dieser Ökonomie. Letztere ist dem Namen nach ja übrigens die Lehre vom „ganzen Haus“. In Adam Smiths Haus wusch seine Mutter sein Leben lang seine Schmutzwäsche. Marlen Hobrack

R

Robinson Club Ausgerechnet nach dem Einsamsten der Einsamen, Robinson Crusoe, ist die deutschsprachige Variante des Club Med benannt. Man nehme ein, zwei, viele Robinsönchen und sperre sie auf ein umzäuntes Gelände in Strandnähe. Man füttere sie mehrmals täglich und biete ihnen pauschal und all inclusive Sport, Massagen und Kulturprogramme an. Fertig ist der Cluburlaub. Eine Art riesiger Kindergarten. Das Paradies auf Erden. Totale Regression. Oder sind Ferienclubs und Kreuzfahrtschiffe nur die Vorbereitung für die Besiedlung des Mars (Foto)? Da wird’s ja auch nicht anders gehen: Im lebensfeindlichen Umfeld wird man unter Glasglocken beieinanderhocken müssen und immer lächeln, denn auf dem Mars gibt’s keine Inseln, auf die man fliehen könnte, wenn einem alle auf den Geist gehen. Wer sich keinen Cluburlaub zum Trainieren der ewigen guten Laune leisten kann, geht auf ein Festival. Da bekommt man auch ein Bändchen und wird von früh bis spät bespaßt. Gemeinsam feiern und gemeinsam pullern. Wir sehen uns auf dem Mars. Ruth Herzberg

S

Survival Überlebensratgeber in der Sachbuchabteilung, Survival-Videos auf Youtube, Outdoor-Kurse mit Regenwurmgrillen und Algenpulen: Die Angst ist offenbar gestiegen, selbst ein Robinsonschicksal zu erleiden. Da muss man gar nicht erst zu den Preppern schauen, die ihr Heim mit Vorräten, Schutzbunkern und Waffenhorten für den dritten und vierten Weltkrieg aufrüsten.

Vorbereitet sein ist ja an sich nicht unklug, doch der Übergang zu autosuggestiver Panik ist fließend. Zumal sich die Survivalangebote eben nicht nur auf das Leben im Dschungelcamp und Wandern im Schwarzwald beziehen. Spezielle Urban-Survival-Ratgeber empfehlen, immer mit einer Axt oder Machete unterwegs zu sein, um gewappnet zu sein. Es könnten sich ja im Katastrophenfall Hindernisse auftun. Da sind andere Webseiten sympathischer: Sie erklären mit einer an MacGyver erinnernden Bastelfreude, wie man nur mit einem Kaugummi und abgebrochenem Streichholz das Überleben sichern kann. Tobias Prüwer

W

Werbung Viele Zeitgenoss*innen empfinden sie als unzumutbare Belästigung. Der kostenlose Eintrag auf einer der sogenannten Robinsonlisten ist eine Möglichkeit, Werbemüll abzuwehren. Die Bezeichnung – dem Namen des berühmten Schiffbrüchigen entlehnt – suggeriert Unerreichbarkeit, aber es ist zweifelhaft, ob dieses Ziel jemals erreichbar ist. Die passwortgeschützten Schutzlisten decken verschiedene Bereiche ab, aus denen Werbung in die Privatsphäre dringen kann: E-Mail, Werbepost, Telefonwerbung.

Man kann Werbung aus bestimmten Branchen unterdrücken. Aber es funktioniert nicht mit einzelnen Werbetreibenden. Da muss man einen direkten Brief schicken. Kritiker meinen außerdem, die Werbeindustrie könne durch Abgleich mit solchen Listen auch erkennen, wer gegen Werbung nichts unternimmt. Wer nicht draufsteht, gilt als werbewillig. Aggressive Unternehmen müssen sich ohnehin nicht daran orientieren. Außerdem können solche Sammlungen auch gehackt werden. Und: Die verschiedenen Anbieter solcher Schutzlisten – es gibt nicht nur Robinson – müssen für sich ebenfalls werben.

Bleibt die Frage, wie hilfreich ihr Namenspate die Liste gefunden hätte. Vielleicht hätte der Schiffbrüchige auf seiner Insel die Werbeflyer eines Baumarktes begeistert aus den Wellen gefischt und sich berauscht an den Werkzeugen, mit denen der Bau eines seetüchtigen Vehikels zurück in die Zivilisation prima gelungen wäre. Magda Geisler

Z

Zusammen So als Achtjähriger begann ich mir meine eigene Insel vorzustellen. Als Zuflucht vor den Zumutungen des Schulalltags. Auf meiner Insel blieb ich unbehelligt von den Wichtigtuern und Strebern. Und als ich begann, einen beträchtlichen Umweg in Kauf zu nehmen, um Jacqueline nach Hause zu begleiten, wurde diese Insel zur Blauen Lagune. Hier waren wir beide alleine und ich stellte mir vor, dass sie zwischen Palmenstrand und Lagerfeuer mein wahres Ich erkennen würde. Nicht ahnend, dass dieses wahre Ich ja gerade dabei war, sie nach Hause zu begleiten und auf ihr Winken zu warten, wenn sie oben am Küchenfenster angekommen war. Marc Ottiker

€ 4,95 statt € 14,00 pro Monat

nur heute am Geburtstag von F+

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden