Alle waren sie gekommen: Arnaldo Forlani, Rocco Buttiglione, Pierferdinando Casini, Franco Marini, Silvio Berlusconi, Giulio Andreotti. Nur Francesco Cossiga fehlte wegen Krankheit, und Außenminister Lamberto Dini war entschuldigt. Das ganze ex- und neo-christdemokratische Gardekorps hatte sich Ende Mai in Rom versammelt, um ergriffen den Worten eines Großen Steuermanns zu lauschen: Helmut Kohl dozierte auf Einladung der Bewegung für ein Volkseuropa (MEP) am Tiber über die Höhen und Tiefen von Europapolitik im Jahre 1999. Mittlerweile sitzen Politiker von sieben Ablegern der einst mächtigen Democrazia Cristiana (DC) mit den Gesandten von Kohls CDU in Strasbourg auf denselben Fraktionsbänken der Europäischen Volkspartei (EVP) - nur in Italien reden sie aneinander vorbei. Selbst Kohl, der sich in langen Dienstjahren ein ungefähres Bild von der Parteienlandschaft Italiens machen konnte, gilt die viel beschworene »Mitte« als ein für den Außenstehenden kaum überschaubares Terrain. Innerhalb des breiten politischen Raumes zwischen der postfaschistischen Alleanza Nazionale (AN) von Gianfranco Fini auf der rechten und den Linksdemokraten (DS) Walter Veltronis auf der linken Seite gärt es seit dem tödlichen Kollaps der Democrazia Cristiana ständig. Den Platz der DC reklamieren mehrere Nachfolger, die sich nur dann mit der inkriminierten Mutterpartei identifizieren, wenn es politisch opportun erscheint. Ansonsten sind sie alle - PPI, CDU, UDR, CCD, Patto Segni (Pakt Segni), Rinnovamento Italiano et cetera - sehr auf ihre Originalität bedacht. In Wirklichkeit jedoch sind die programmatischen Differenzen eher marginal.
Dabei fehlte es nie an Versuchen, dieses Zentrum wieder zu einen. Von der Rückkehr des ehemaligen italienischen Staatspräsidenten Francesco Cossiga in die aktive Politik und der Gründung seiner Formation UDR ging zunächst ein erkennbarer Gravitationseffekt aus, dann jedoch spaltete sich die UDR, und das Heft des Handelns nahm nach einem Streit mit Cossiga der vigilante Christdemokrat Clemente Mastella in die Hand. Als abgelegter Koalitionär Berlusconis stützt er heute die Regierung D'Alema und wartet auf den günstigsten Zeitpunkt, ihr das Vertrauen zu entziehen.
Wer also nach dem Charakter der politischen Mitte Italiens forscht, stößt zwangsläufig auf Charakterlosigkeit, mit der über alle ideologischen Barrieren hinweg heute links und morgen rechts geparkt wird.
Vom politischen Überlebenswillen der kleinen Zentrumsparteien zehrt auch der Europawahlkampf und führt zu absonderlichen Allianzen. So überwarf sich der neue Präsident der EU-Kommission, Romano Prodi ,- offiziell war er stets parteilos - mit seinen linksdemokratischen Partnern und kreierte mit Blick auf den 13. Juni eine eigene Partei - die Demokraten. Warum deren Symbol ausgerechnet ein kleiner Esel sein mußte, bleibt das Geheimnis des Schöpfers. Mit Prodi treten der politisch eher verschlissene Ex-Staatsanwalt Antonio Di Pietro sowie Roms Bürgermeister Francesco Rutelli an. Ein Dreiergespann, das sich mit einer Wahlkämpferin namens Gina Lollobrigida zu drapieren verstand und am Sonntag allen Umfragen zum Trotz auf zehn Prozent hofft. Entsprechend gestärkt wollen die Demokraten danach gegenüber ihren Verbündeten - also den Linksdemokraten und der katholischen Volkspartei (PPI) - auftreten. Mit anderen Worten, für die Demokraten bleibt die Mitte-Links-Koalition des Ulivo weiter der archimedische Punkt. Francesco Rutelli schwebt sogar die Bildung einer monolithischen Partei aus dem Zentrum und der Linken vor. Eine Idee, die einmal DS-Chef Walter Veltroni faszinierte, als er sich noch gut mit Prodi verstand, dann aber wieder der Abteilung unerfüllbare Träume übergab.
Allein die Volkspartei (PPI), geführt von dem ehemaligen Gewerkschafter Franco Marini, kann für sich in Anspruch nehmen, eine eindeutige politische Richtungsentscheidung getroffen zu haben. Der PPI gehört als Verbündete der Linksdemokraten zu den Pfeilern der Mitte-Links-Koalition. Trotz seines geringen Wählerzuspruchs hat er großen Einfluß auf die Regierung. Der Partei ist es am ehesten zuzutrauen, ein substantiell neues Zentrum aufzubauen. PPI-Chef Marini verteidigt eifersüchtig seine Eigenständigkeit und will im Kampf um die Mitte das Feld auf gar keinen Fall dem umtriebigen Veltroni überlassen. Im Gegenteil. Insofern versteht Marini die Europawahlen als Test, wie selbstbewußt er gegenüber den Linksdemokraten auftreten kann, ohne Schaden zu nehmen.
So macht der PPI dieser Tage allen den Hof - angefangen bei Francesco Cossiga, der Marini im Wahlkampf unterstützt, bis hin zu Silvio Berlusconi, der selbst über ein »großes Zentrum« philosophiert und damit seine Forza Italia nebst etlichen Satelliten meint. Den PPI hat er ungeniert aufgefordert, sich »anzuschließen«, schließlich sei Forza Italia die »moderate und christlichen Werten verpflichtete politische Kraft Italiens«. In der Tat ist Berlusconis Formation mit etwa 20 Prozent Stimmenanteil neben den Linksdemokraten nach wie vor stärkste Partei. Im Europaparlament gelang es ihr, während der zurückliegenden Legislaturperiode sogar in die EVP-Fraktion aufgenommen zu werden. Doch waren und sind die Widerstände seitens der christdemokratischen Splitterparteien nach wie vor groß, von der potenten Forza aufgesogen zu werden.
Der PPI oder auch Rinnovamento Italiano von Außenministers Dini dürften demnach weiter zwischen den beiden großen Blöcken lavieren, solange sie selbst zu schwach, und die Voraussetzungen für eine große Zentrumspartei (noch) nicht gegeben sind, die den Linksdemokraten Konkurrenz androhen könnte. Wenn man indes einem Dinosaurier wie Gulio Andreotti zuhört, scheint dies ohnehin überflüssig, beschied er doch Helmut Kohl: »Italien ist natürlicherweise zentristisch, nur daß sich hin und wieder die Interpretation dieser Idee ändert. Mit anderen Worten, die derzeitige Regierung ist unter gewissen Aspekten absolut gemäßigt.«
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