Angesichts von Seuchen, Ressourcenverschwendung und technischer Hochrüstung in einer vernetzten Welt ist es geboten, grundsätzlich über die Bedingungen der Möglichkeit eines Kurswechsels im globalen Maßstab nachzudenken. Der Wiener Historiker Philipp Blom tut zum 100. Jubiläum der Salzburger Festspiele genau das. Er geht davon aus, dass die mit der industriellen Moderne verbundene Wachstumsökonomie unausweichlich zu einem Ende gekommen, der Ideenpool für einen ökologischen und demokratischen Neuanfang aber noch kaum gefüllt ist.
Die Menschheit habe, zitiert er Bruno Latour, gar nicht genug Erde für so viel Fortschritt. Dass „unendliches Wachstum mit endlichen Ressourcen schwer zu verwirklichen ist“, ist aber längst nicht bei allen angekommen. Da gibt es die Auffassung vieler Liberaler, nach der es der Menschheit, was materiellen Wohlstand, Gesundheitsversorgung und Kriege betrifft, noch nie so gut gegangen sei. „Statistisch gesehen“, schreibt Blom, „ist dies die beste aller gewesenen Welten.“ Aber hilft es, wenn man am eigenen Ast sägt und dabei bemerkt, dass der Ast bequemer ist und eine bessere Aussicht bietet, wo schon so viele andere Äste gekappt worden sind? Auch die vom Silicon Valley genährte Hoffnung, dass sich alle existenziellen Probleme durch Technologie lösen lassen, teilt er nicht. Statt für eine Steigerung des technologischen Potenzials plädiert er für die vernünftige Eindämmung eines Fortschritts, dessen zerstörerische Nebenwirkungen zunehmend sichtbar werden.
Mit seiner Kritik an einem Weltbild, das Mensch und Welt „nur noch rationalistisch und zweckorientiert“ begreifen kann, begibt sich Blom auf das traditionell von Konservativen beackerte Feld der Romantik. „Sie wollte die Natur nicht nur als Materialsammlung für Wertsteigerung und Profit begreifen, sie sprach ihr eine eigene raunende Stimme zu.“ Dass die Aufklärer hierzu wenig beizutragen hatten, führt er einerseits darauf zurück, dass zu Beginn der Industriellen Revolution das Ausmaß der von ihr in Gang gesetzten Transformation nicht absehbar gewesen sei. Andererseits hätten sie die Bedeutung irrationaler Momente in der Konstitution der menschlichen Gattung unterschätzt. Sie „dachten nicht wissenschaftlich genug, als sie Menschen als Vernunftwesen beschrieben“.
Im Unterschied zum Reaktionär, der das Rad der Zeit zurückdrehen will, geht es dem liberalen Historiker um das öffentliche Durchspielen von Möglichkeiten, wie eine bessere Form des Zusammenlebens gestaltet werden könnte. Da, wo der Verweis auf die wissenschaftliche Faktenlage nicht reicht, sei die Zeit der Erzählungen gekommen. Neue Bilder müssten her, um eine Verbindung zwischen Begriffen und Gefühlen zu schaffen. „Die Romantiker, nicht die Protagonisten der aufgeklärten Vernunft, sahen in Imagination und Geschichtenerzählen die transformative Kraft einer Intuition, die neue Gestalten entwirft, neue Begriffe, Erfahrungen, die Möglichkeiten schafft.“ Im Grunde handele es sich auch bei Ideen wie Freiheit, Gleichheit, Solidarität und den Menschenrechten nicht um natürliche Sachverhalte, sondern um Fiktionen, die Gesellschaften zivilisierter machen.
Vielleicht auch mal Marx?
Bloms erklärte Absicht ist es, die Aufklärung ambitionierter und konsequenter zu denken. Mit seinem Argument, es sei nötig, neue Mythen zu schaffen, steht er dem bei Rechten heute wieder hoch im Kurs stehenden Georges Sorel erstaunlich nahe. Sicher ist es notwendig, über passende Narrative nachzudenken, mit denen Akteure zum richtigen Handeln motiviert werden können. Doch statt nach dem anderen „hinter dem Horizont der rationalen Erkenntnis“ Ausschau zu halten, hätte es der Argumentation des mit großer Fabulierlust geschriebenen und schon daher dringend zur Lektüre empfohlenen Textes gutgetan, sich auch bei der Kritik der Politischen Ökonomie zu bedienen. Die Grundzüge unserer heutigen Gesellschaft werden von Karl Marx nicht nur trefflich analysiert. Er ist auch ein Meister des wissenschaftlichen Erzählens und der politischen Polemik.
Info
Das große Welttheater. Von der Macht der Vorstellungskraft in Zeiten des Umbruchs Philipp Blom Zsolnay 2020, 160 S., 18 €
Kommentare 3
Ich weiß nicht in welchem Wolkenkuckucksheim Herr Blom lebt, doch von einem Ende der Wachstumsökonomie kann global gesehen nicht die Rede sein. China, Indien und allmählich auch Afrika sind erst am Anfang einer gewaltigen Wachstumsdynamik, die im Laufe des Jahrhunderts noch gewaltig an Fahrt aufnehmen wird.
Was ich bei Blom heraushöre, ist eher eine kassandrische Stimmung des Westens, im Bewusstsein, dass das Ende ihrer weltweiten Vorherrschaft nahe ist.
Übrigens sind die entsprechenden Mythen bereits da. Die Zombie Serien "The Walking Dead" und "Kingdom" sind Ausdruck dieser Angst vor einer bedenkenlos Ressourcen verschingenden Masse.
Insforern halte ich auch diese linken "downsizing" Fantasien für erschreckend naiv. Wenn der zu verteilende Wohlstand knapper wird, werden die brutalen Verteilungskämpfe erst richtig losgehen.
ja, technische lösungen sind immer noch gefragt:
die welt-bevölkerung zu saturieren und uns gegen viren zu retten.
der verschlingende charakter der technik,
der technische blick der menschen,
macht die natur zur bloßen ressource/wachtums-quelle.
-->wikipedia: "heidegger.technikkritik."
die gefahren der ent-sicherung des auf technischer aus-beutung
der natur gründenden wachstums könnten eingehegt werden,
indem wir unsere zugehörigkeit zur natur erkennen.
aber auch die soziale organisation der menschen
ist technisch-systematisiert, harrt auf das ent-borgen
durch aktivisten und aufnahme-bereites publikum.
oda?
korr.: ent-bergen..