Annie Sprinkle hat die nordische Tiefebene kurzerhand ins Bergische verlegt: Die Huren von Hamberg sind es, denen sie den Aphrodite-Preis für "sexuelle Dienstleistungen an der Gemeinschaft" verliehen hat. Die Urkunde ziert eine Ecke des Empfangzimmers, in dem Besucher sich auf die Ausstellung Sexarbeit. Prostitution - Lebenswelt und Mythen einstimmen können: Mit Samt im klassischen Bordeauxrot ausgeschlagen, mit Reizwäsche, Peitschen, Kuscheltieren und Groschenromanen ausstaffiert, soll es erste Tuchfühlung mit dem Ausstellungsthema ermöglichen. Vorbei an Filmplakaten wie Die Sünderin und Irma la Dolce betritt man von dort aus die "Meile": eine nachgebaute Straße, von der Wegweiser in Gelb auf die unterschiedlichen Themenstränge verweisen, die in Neb
änge verweisen, die in Nebenzimmern untergebracht sind. Von der Arbeit zur Gesundheit, von den Rechten zu den Kämpfen um ihre Anerkennung reicht die Spannbreite; Geschichte und Aktualität, Drogenprostitution, Frauenhandel, Freier und künstlerische Positionen zur Sexarbeit werden thematisch aufgegriffen. Wenig Stilisiertes ist dort zu sehen: Schnappschüsse, die Prostituierte bei der Arbeit zeigen, wechseln sich mit Arbeitsmitteln ab, die für das Anschaffen unumgänglich sind. Moonboots für die Straßenprostitution, Paillettenschürzen für die Animierdame, Massageliegen für die Masseuse und Cockringe für den Callboy sind ebenso ausgestellt wie Poster der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und Plakate der Hurenbewegung.Indem das Themenspektrum weit gefächert ist, gelingt es der Ausstellung, ihre beiden Schwerpunkte "Lebenswelt" und "Mythen" miteinander in Verbindung zu setzen. Denn in kaum einem anderen Berufszweig klaffen Mythenvielfalt und konkrete Arbeitsrealitäten so weit auseinander wie im Bereich Prostitution: Fast unmöglich scheint es, über die Bedingungen von Sexarbeit zu reden, ohne dass Phantasmen aufgerufen werden. Vielmehr sind bis heute gesellschaftliche Vorstellungsbilder über weibliche Sexualität ausschlaggebend, was als Prostitution definiert und wie über diese verhandelt wird.Es verwundert daher nicht, dass in den verschiedenen Themenbereichen einige Motive wiederkehren. Einerseits sind ein Wissen über und eine Nachfrage nach Prostitution offenkundig: Unzählige Postkarten mit Grüßen von der Hamburger Reeperbahn, auf denen nackte Brüste und Hintern prangen, der "Stadtplan für Männer" mit Hinweisen auf einschlägige Bars und Lokale, das von Modelleisenbahnern oft gekaufte Bordellhäuschen zeugen davon. Augenzwinkernd als etwas hingenommen, dass man - sprich: männlicher Freier - tut, verhindert dieses Wissen jedoch nicht, dass SexarbeiterInnen bis heute stigmatisiert, kriminalisiert und diskriminiert werden. Historisch sorgte die Konstruktion von "Kontrollmädchen", die Geschlechtskrankheiten verbreiten, für ihre Ausgrenzung aus dem öffentlichen Raum. In der NS-Zeit als "Asoziale" gezeichnet, wurden Prostituierte in KZs eingewiesen und mussten dort bisweilen in Lagerbordellen Zwangsarbeit versehen. Und bis ins Jahr 2001 waren Prostituierte dazu verpflichtet, sich so genannte Bockscheine ausstellen zu lassen, um vorweisen zu können, dass sie "sauber" - sprich frei von Geschlechtskrankheiten - seien: Obwohl SexarbeiterInnen im Durchschnitt weniger an sexuell übertragbaren Krankheiten leiden als der Bundesdurchschnitt. Die historische und soziale Bandbreite der ausgestellten Exponate sorgten dafür, dass die gesellschaftliche Doppelmoral, die einerseits hinnimmt, andererseits nichts von der Arbeit wissen will, deutlich zu Tage tritt.Unverzichtbar daher jene Fotografien, Filme oder Interviewsequenzen, in denen SexarbeiterInnen selbst ins Bild rücken oder zu Wort kommen. Wie sie ihre Arbeit verrichten und empfinden, was leicht fällt oder Schwierigkeiten bereitet, hält so manche Überraschung bereit. Der Hinweis auf die freiwillige Entscheidung, in der Sexbranche zu arbeiten, fehlt selten; nichtsdestotrotz ist der Job anstrengend und hart: Wer nachts arbeitet, bei Kälte stundenlang auf der Straße steht, mit Gewalt von Freiern rechnen muss oder in einem unfreiwilligen Arbeitsverhältnis steckt, kann keinesfalls vom leicht und schnell verdienten Geld reden. Frauen, die ein Doppelleben führen, können sich nicht von Alltagssituationen entlasten; die Konkurrenz ist groß, der Altersdruck enorm. Und nebenbei zeigen einige Exponate ganz unprätentiös Arbeitssituationen auf: etwa die Fotografie von Natalie Kriwy, auf der Sexarbeiterinnen sich das Warten auf den nächsten Kunden mit Kartenspielen versüßen. Gerade weil solche Einblicke nicht fehlen, ist die Ausstellung gelungen, denn sie zeigt auf, dass Sexarbeit, so unterschiedlich und vielfältig sie sein kann, vor allem eines ist: eine Dienstleistung, mit der viele Frauen und einige Männer Geld verdienen wollen.Die Ausstellung Sexarbeit. Prostitution - Lebenswelt und Mythen ist noch bis zum 7. Mai im Hamburger Museum der Arbeit zu sehen, weitere geplante Stationen sind Bonn und Berlin.
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