Rückfall in die fünfziger Jahre

Anonyme Geburt Ulla Jelpke (PDS) über anonyme Geburt, Adoption und Abschiebung

Ulla Jelpke war sechzehn Jahre alt, als sie nach einer Vergewaltigung schwanger wurde. Sie gab ihre Tochter zur Adoption frei. Zusammen mit anderen abgebenden Müttern, Adoptierten, Adoptiveltern und Fachleuten hat sie sich in einer Erklärung gegen Babyklappe und anonyme Geburt gewandt. Ulla Jelpke ist Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der Arbeitsgruppe Innen- und Rechtspolitik der PDS-Fraktion.

FREITAG: Warum wollen Sie Frauen nicht das Recht einräumen, dem Kind gegenüber anonym zu bleiben? Ulla Jelpke: Dieses Recht gibt es nicht. Jede Frau hat Verantwortung für das Kind, das sie zur Welt bringt. Auch wenn sie es zur Adoption freigibt, was völlig legitim ist: Das Kind muss erfahren können, wer seine leiblichen Eltern sind. Es ist ein Grundrecht, seine Herkunft zu kennen. Das darf eine Frau ihrem Kind nicht vorenthalten.

Ist es nicht besser, die Anonymität in Kauf zu nehmen, wenn damit Kindern das Leben gerettet werden kann?

Frauen, die ihr neugeborenes Baby töten, sind so verzweifelt, dass sie gar keine Alternativen sehen können. Diese Frauen handeln in Panik. Die machen sich nicht auf den Weg zur Babyklappe, und die gehen auch nicht in die Klinik zur anonymen Entbindung. Ich glaube nicht, dass Babys vor dem Tod gerettet werden durch die Babyklappe oder anonyme Geburt. Ich fürchte eher, dass schwangere Frauen sich vermehrt ihrer Verantwortung nicht stellen, weil es ja so einfach gemacht wird.

Können das die Frauen nicht selbst entscheiden?

Wenn mir damals die Möglichkeit geboten worden wäre, anonym zu bleiben - ich hätte das wahrscheinlich gemacht. Ich weiß aber, wenn die erste Verzweiflung vorbei ist, dann wollen Frauen wissen, was aus ihrem Kind geworden ist. Abgebende Mütter leiden unter diesen Bedingungen ein Leben lang. Mehr als neunzig Prozent machen sich irgendwann auf die Suche nach ihrem Kind und suchen Kontakt.

Die Träger der Babyklappen sagen, dass sich vor allem illegale Frauen in ihrer Not an sie wenden ...

Das verwundert mich gar nicht, sie haben ja auch die größte Repression zu fürchten, zum Beispiel Abschiebung. Ich finde das skandalös, dass die gesundheitliche Versorgung noch immer nicht für alle Menschen in diesem Land sichergestellt wird - insbesondere für Illegale. Schwangere Frauen müssen dringend einen Abschiebeschutz bekommen. Denn für sie ist es unzumutbar zum Beispiel mit einem unehelichen Kind in den Iran oder die Türkei zurückzugehen. Legalisierung ist die Lösung - nicht die anonyme Geburt. Dann können Frauen auch wirklich frei entscheiden, ob sie das Kind behalten oder zur Adoption freigeben wollen.

Wie wollen Sie denn verhindern, dass Babys getötet werden?

Erstens ist es allemal sinnvoller, die vorhandenen Hilfen auszubauen und bekannter zu machen. Es ist keine Schande, ein Kind zur Adoption freizugeben. Frauen, die ihr Kind abgegeben haben, trauen sich immer noch nicht an die Öffentlichkeit. Anstatt diese Frauen noch mehr in die Anonymität zu verbannen, sollte für mehr Verständnis geworben werden: Dass sie nämlich keine Rabenmütter sind. Zweitens: Es ist eine geringe Zahl von Aussetzungen und Kindestötungen, die wir jährlich haben. Die Zahlen sind in den letzten Jahrzehnten sogar zurückgegangen. Wieso wird auf einmal so hysterisch reagiert? Es wird ganz offen gesagt: Adoption statt Schwangerschaftsabbruch. Darum geht es. Nicht um die Würde der Frau und auch nicht um ihr Selbstbestimmungsrecht. Die ganze Diskussion ist ein Rückfall in die fünfziger Jahre.

Das Gespräch führte Marion Mück-Raab

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