Ruhrfestspiele Recklinghausen

Festival Die Eröffnung war als glamouröses Ausrufezeichen gemeint, hatte aber symptomatischen Charakter. Mit Verve pflügten sich die Hollywoodstars Kevin ...

Die Eröffnung war als glamouröses Ausrufezeichen gemeint, hatte aber symptomatischen Charakter. Mit Verve pflügten sich die Hollywoodstars Kevin Spacey und Jeff Goldblum durch David Mamets Farce Speed the Plow (Die Gunst der Stunde) und kochten sie in ihrem dialogischen Dampfkocher klein. So mäßig das Stück, so vielsagend sein Konflikt um Kunst und Kommerz für die Ruhrfestspiele selbst, die im vierten Jahr unter Frank Hoffmann immer noch um ihr Profil ringen.

Der aktuelle Themenschwerpunkt stellt nicht einen historischen Dichter wie in den Jahren zuvor, sondern einen Kontinent ins Zentrum: "Amerika". Die Wahl des metaphorisch befrachteten Begriffs anstelle des politischen der "USA" gibt dabei die Richtung des Programms vor. Wer zeitgenössische Dramatik, Veranstaltungen zu aktuellen Themen oder vielleicht sogar die Dramatisierung eines Pynchon-Romans erwartete, sieht sich getäuscht. Mit Autoren wie O´Neill, Miller, Williams, Steinbeck, Shepard oder Mamet bescheidet man sich auf den Erwartungshorizont eines dramatischen Schrebergartens: überschaubar, vertraut und vielfach bepflanzt - auch wenn die Regisseure Kriegenburg oder Ostermeier heißen.

Dem Vertrauten gesellt sich das Glamouröse hinzu. Neben Kevin Spacey und Jeff Goldblum kam auch Cate Blanchett und brachte ihre Inszenierung von Mark Ravenhills Pädophilenstück Blackbird aus Sydney mit. Auch hier Theater unter Volldampf, aber so emotional bedrängend, so psychologisch genau (vor allem dank der hinreißenden Paula Arundell), dass man Abbitte für jede Starvorverurteilung leistet.

Die Schwierigkeiten bei der Profilbestimmung des Festivals haben wie in Mamets Farce auch eine ökonomische Seite. Pointiert gesagt: Die Ruhrfestspiele sind zu erfolgreich. Seit der Übernahme durch Frank Hoffmann, dessen Vertrag gerade bis 2012 verlängert wurde, explodieren die Besucherzahlen. In diesem Jahr waren vor Beginn bereits 70.000 Karten verkauft. Das Festival hat deshalb innerhalb von drei Jahren die Anzahl der Vorstellungen um mehr als die Hälfte erhöht. Inzwischen platzt das Programm mit Schauspiel, Tanz, Zirkus, Lesung, Kinder- und Jugendtheater, Straßentheater, Konzert und Kunstausstellung aus allen Nähten. Darauf ist man stolz in Recklinghausen. Doch zusätzliche Inszenierungen, so ist aus der Festivalverwaltung zu hören, bringen zwar mehr Zuschauer, die Ausgaben steigen aber überproportional zu den Einnahmen. Und dies bei einem gleich bleibenden Etat von etwa fünf Millionen Euro. Ein finanzieller Spagat, der nach einer Lösung verlangt.

Die Ruhrfestspiele expandieren auch räumlich. Erstmals wird in diesem Jahr die Grubenausbauwerkstatt der Zeche Auguste Victoria in Marl durchgängig bespielt. Der etwas abseits gelegene Spielort wird mit Namen wie Cate Blanchett, Jan Bosse oder Peter Zadek in die öffentliche Wahrnehmung gehievt. Während Cate Blanchett überzeugte, blieb Bosses Dramatisierung von Anna Karenina hinter den Erwartungen zurück. Aus Tolstojs gesellschaftlichem Großpanorama über die Dialektik von leidenschaftlicher Liebe und Familie wird die pseudoexistenzialistische Liebelei einer zeitgenössischen Großstadtbohème. Man hockt vereinzelt in seinen Wohnwaben, beklagt die Flüchtigkeit der Gefühle und ertränkt jede Leidenschaft in selbstgefälliger, flapsiger Melancholie.

So begrüßenswert das Engagement von Jan Bosse ist, nachzubessern wäre eher bei der mangelnden Attraktivität der ausländischen Gastspiele. Leiter Frank Hoffmann hat in Hinsicht auf das Kulturhauptstadtjahr 2010 Besserung gelobt. Doch Hansgünther Heymes Verortung der Ruhrfestspiele als europäisches Festival, einst mit Namen wie Peter Brook oder Ariane Mnouchkine, gilt so nicht mehr. Heute reicht es allenfalls für das Londoner Old Vic Theatre (mit Kevin Spacey), das Tanztheater Philippe Decouflé oder das von Hoffmann geleitete Théâtre National de Luxembourg. Man mag sich gar nicht ausmalen, welche Möglichkeiten der "Amerika"-Schwerpunkt geboten hätte. Spacey hin oder Zadek her, der Bedeutungsverlust der Ruhrfestspiele gegenüber der weit besser finanzierten Ruhrtriennale ist unverkennbar. Frank Hoffmann muss das Profil schleunigst und deutlich schärfen, sonst könnte aus der Gunst der Fluch der Stunde werden.

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