Rumoren in den Bäuchen

Kommentar Braucht Europa Atomwaffen?

"Keine weiterführende Einzelmeinung", beschied der Parlamentarische Staatssekretär Christian Schmidt zu den Einlassungen des Ex-Verteidigungsministers Rupert Scholz, in denen dieser eine deutsche Verfügungsgewalt über Atomwaffen forderte. In der Sache sind die Überlegungen des "Rechtsaußenprofessors" in der Tat völlig abwegig. Weder erlauben die derzeit gültigen völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands die atomare Aufrüstung noch haben die Atommächte angeboten, das deutsche Streben nach der Atombombe gegen den Widerstand der internationalen Gemeinschaft zu unterstützen.

Dass Rupert Scholz in der CDU eher einzelgängerisch denn meinungsbildend ist, scheint ebenso klar. So einfach ist es aber leider nicht. Das Rumoren in den Bäuchen der vermeintlich rationalen Geostrategen darf nicht ignoriert werden. Die mediale Resonanz auf solche Äußerungen zeigt, dass der gesellschaftliche und "staatspolitische" Konsens in Deutschland, ein für alle Mal auf Atomwaffen zu verzichten, durchaus Brüche aufweist. Die Politik redet einer Totalität der terroristischen Bedrohung das Wort, bei der jede Verhältnismäßigkeit der anzuwendenden Mittel verloren zu gehen droht. Ihr Mantra: Der Einsatz von Atomwaffen wäre zwar bedauerlich und nicht schön, aber die Staaten sind leider dazu gezwungen, für diese Eventualität zu planen. Monsieur Chirac hat mit seiner Ankündigung, zukünftig den Einsatz französischer Atomwaffen gegen Nicht-Atomwaffenstaaten zu erwägen, den Hinterhofstrategen und Fossilen der nuklearen Abschreckung hierzulande eine Steilvorlage geliefert. Michael Stürmer, der frühere Kanzlerberater etwa, kommt in der Berliner Morgenpost ins Schwärmen: Chirac wolle der nuklearen Waffe "wieder jene strukturbildende, stabilisierende Kraft verleihen, die sie im Zeitalter der nuklearen Bipolarität einmal hatte".

Der deutsch-französische Doppelpass hat in diesem Milieu immer funktioniert. Nicht zum ersten Mal sucht ein französischer Präsident öffentliche Unterstützung für die teure Modernisierung des Atomwaffenarsenals auch mit dem Hinweis, dass Europa diesen Schutz brauche. Der deutschen Regierung wird dann auch gern eine nicht näher spezifizierte Teilhabe (auch an den Kosten) in Aussicht gestellt. Als Anfang der neunziger Jahre der damalige französische Präsident Mitterrand Deutschland eine militärisch-technische Teilhabe anbot, war zum Beispiel ein gewisser Friedbert Pflüger schnell zur Stelle und empfahl, zuzugreifen. Pflüger ist heute Staatssekretär im Verteidigungsministerium.

Auch dieses Mal hat die französische Offerte nicht nur kritische Reaktionen, sondern auch ein verhalten positives Echo gefunden. Es muss aufmerken lassen, dass in der Beratung der parlamentarischen Gremien in der vergangenen Woche häufig das Stichwort "Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik" (ESVP) fiel. Man müsse jetzt die britischen und französischen Atomwaffen in der EU thematisieren, hieß es. Aber zu welchem Behufe? Sollen die europäischen Atommächte perspektivisch auf ihre Massenvernichtungswaffen verzichten oder sollen sie diese in die ESVP einbringen? Will man sich über diese Einbeziehung einen mittelbaren Zugriff auf die Waffen verschaffen - eine neue Art nuklearer Teilhabe gleichsam?

Die gegenwärtig zu verzeichnende Aufwertung der A-Waffe im Rahmen des Kampfes gegen die so genannten Schurkenstaaten, ihre Weiterentwicklung zu einer echten "Einsatzwaffe" - die USA und Frankreich arbeiten bei der Entwicklung von "mini-nukes" zusammen - und die Androhung präventiver, auch atomarer Militärschläge gegen Staaten, die sich A-Waffen zulegen wollen, ist Besorgnis erregend. Die Atomwaffe, als ultimatives Symbol des Rechts des Stärkeren, der selber die Spielregeln für andere gestaltet, wäre umso erstrebenswerter für andere Staaten, wenn sich diese Tendenz nicht umkehren lässt.

Bundesregierung und Bundestag sind daher dringend gefordert, nicht nur den Tabubruch des Herrn Scholz zu beklagen, sondern energisch die Glaubwürdigkeit Deutschlands als Vorreiter der atomaren Abrüstung zu stärken. Statt über eine erweiterte nukleare Teilhabe in Europa zu diskutieren, müssen Schritte zur Beendigung der nuklearen Teilhabe in der NATO und zu einer "atomwaffenfreien" Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik auf den Weg gebracht werden. Nur so kann die politische Idee des Nichtweiterverbreitungsvertrages, dass am Ende auch die Atomwaffenstaaten auf ihre Atomwaffen verzichten müssen, wieder belebt werden.

Paul Schäfer, MdB Die Linke


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